Vom Mississippi zum Mainstream: Robert Johnson und .....

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ralphus
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Vom Mississippi zum Mainstream: Robert Johnson und .....

Beitrag von ralphus »

Für alle Blues-Liebhaber aber auch für diejenigen, die sich mit amerikanischer Folkmusic beschäftigen hier ein Buchtipp:

Vom Mississippi zum Mainstream: Robert Johnson und die Erfindung des Blues

Ich habe das Buch jetzt halb durchgelesen und bin der Meinung es empfehlen zu können!

Das Buch gliedert sich in drei Teile:
1. Die Entwicklung des Blues von seinen Anfängen bis zur "Kommerzialisierung" in den 1930ern
2. Die Betrachtung des Gesamtwerkes von Robert Johnson - allerdings wird diese Betrachtung nicht aus der heutigen Zeit rückwärts gemacht, sondern es wird bewusst versucht die Stücke zu analysieren aus der damaligen Zeit. Es wird explizit darauf eingegangen bei welchen Stücken/Musikern Robert Johnson Ideen geliehen hat - heute würde man wohl sagen plagiiert hat ;-) - es wird auch eingegangen auf die speziell eigenen kreativen Leistungen von RJ.
3. Die Weiterentwicklung des Blues bis in die Neuzeit.

Der Autor arbeitet viel mit Verweisen auf Musikernamen und bestimmte Musikstücke, die man gut mit YT nachvollziehen kann, da Vieles von dem zitierten bei YT verfügbar ist. Er unterstützt seine Aussagen und Schlussfolgerungen mit Quellenzitaten/-angaben und hat diverse noch lebende alte Blueser interviewt.

Meine wesentlichen Erkenntnisse bisher...
1. Die frühen Blueser waren keine Blueser, sondern waren Tanzmugger, die zum Entertainment gespielt haben. Blues war eine Stilrichtung von vielen.
2. Das wir heute den Eindruck haben, dass Blueser nur Blues gemacht haben liegt an den Plattenfirmen, die darauf aus waren Musik zu verkaufen. Das haben sie sich einfach gemacht, indem sie der zu verkaufenden Musik den "Stempel" Blues aufgedrückt haben. In der Realität haben auch die Delta-Blueser alles gespielt, was der Musikgeschmack des tanzenden Publikums verlangt hat - und das war das, was sie auf Platten zu kaufen bekommen haben, bzw. was sie im Radio zu hören bekommen haben. Im Wesentlichen waren die damaligen Musiker Profiunterhalter, die zum großen Teil Coverversionen gespielt haben.
3. Während Blues für uns heute rückwärts gewandt ist, war es in den 1920ern moderne Musik, die insbesondere der schwarzen Bevölkerung nach Überwindung der Sklaverei, ein Gefühl des "es geht voran" vermittelt hat. (Es scheint auch heut so zu sein, dass Schwarze wenig "rückwärts gewandte" Musik machen - ich kenne bei den vielen akustischen YT-Bluesern kaum einen Schwarzen - Quelle? -> siehe meine Abos in meinen YT-Kanal)
4. Robert Johnson war kein Bewahrer des Blues, sondern hat aus vielen in der Zeit verfügbaren Musikstilen, Musikinterpretationen eine neue Mischung gemacht.
5. Robert Johnson war "zu seiner Zeit" ein kleines Licht im Business - andere Blueser haben mehr Platten verkauft und waren bekannter.
6. Die "Schlussfolgerungen", die Weiße beim Bluesrevival Anfang der 60er Jahre gemacht haben, waren zum großen Teil geprägt von ihren eigenen Vorurteilen und werden in dem Buch zum Teil widerlegt, bzw. ergänzt durch andere Schlussfolgerungen, die durch Quellenangaben hinterlegt sind.
to be continued... (ich bin ja noch nicht durch)

Also - wer sich mit Blues (bzw. mit Volksmusik amerikanischer Herkunft) bzw. insbes. Robert Johnson "ernsthaft" beschäftigen möchte, für den ist das hier besprochene Buch ein Kauftipp.
Viele Grüße

ralphus
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string
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Beitrag von string »

Ich habe dieses sehr „ehrlich“ geschriebene Buch mit seinen genauen Recherchen vor etwa einem halben Jahr gelesen und kann es ebenfalls sehr empfehlen,
auch wenn dabei der „ursprüngliche“ Blueser, so wie ihn die meisten Blues-Fans gerne sehen wollen, ziemlich entglorifiziert wird.

Die Plattenfirmen bestimmten damals einzig und allein, was die Musiker einzuspielen hatte
– was als Blues gilt und was nicht dazu zählt.
Die damals „populäre“ Musik, die AUCH von den „Bluesern“ an Straßenkreuzungen und in Lokalen gespielt wurde, war nämlich aus verkaufspsychlogischem Kalkül von den Plattenfirmen nicht gefragt.
Entweder der Musiker erfüllte deren Vorgaben oder er bekam keinen Plattenvertrag, so wie es heutzutage eben auch der Fall ist.

Was ich allerdings etwas „anstrengend“ zu lesen empfand, war die Nennung bzw. Auflistung einer großen Zahl von farbigen Musikern und ihren Songs der damaligen Zeit, Namen die nur dem absoluten Aficionade ein Begriff sein werden.

Um aber einer möglichst objektiven Darstellung der Entwicklung dieser Musikrichtung und seinen vielen daran beteiligten Musikern musikgeschichtlich und auch persönlich gerecht zu werden, ist natürlich die Erwähnung all dieser Personen von Bedeutung.
Wem die unbekannten Namen und Songs zuviel erscheinen, der kann ja weiterblättern.

Das Buch hat mein bisher bescheidenes Wissen über den Blues sehr bereichert und wird demjenigen, der mit diesem Thema vertrauter ist bestimmt noch viel Hintergründiges mehr vermitteln.
Zuletzt geändert von string am Do Mai 23, 2013 1:37 pm, insgesamt 1-mal geändert.
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"Das Wesentliche im Umgang miteinander ist nicht der Gleichklang,
sondern der Zusammenklang".
Ernst Ferstl
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wuwei
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Beitrag von wuwei »

Hallo ralphus,

danke für den Tip. Unter dem Amazonlink findet sich auch ein Hinweis auf des Autors neuestes Werk mit dem Titel:

How the Beatles Destroyed Rock ´n´ Roll

Na, wenn das nicht mein Mann ist! :wink:

Herzlichen Gruß, Uwe
"A Harf’n g’hert in ka Symphonie;
i’ hab’ ma nöt helf’n könna."
(Anton Bruckner über seine 8.)
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DeJe
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Beitrag von DeJe »

Hallo ralphus und string,

kann mich Euch nur anschließen, habe das Buch vor einigen Monaten gelesen und es hat mir viele neue und interessante Aspekte zur Entstehung bzw. zur Entwicklung des Blues gebracht, die ich so noch in keinem Buch zum Thema Blues gefunden habe. Sehr zu empfehlen...

Gruß Detlef
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Andi Saitenhieb
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Beitrag von Andi Saitenhieb »

Auch ich kann dieses Buch nur empfehlen, ich habe es allerdings im englischen Original gelesen:
http://www.amazon.de/Escaping-Delta-Rob ... lijah+wald

Ein sehr interessanter Augen-Öffner über Wunsch und Wirklichkeit der Sicht der Blues-Fangemeinde auf die alten Blueser.

Spielen kann Elijah Wald übrigens auch, nicht nur schreiben :D
http://www.youtube.com/watch?v=gU3W5Gx9PJU
http://www.youtube.com/watch?v=kyJm-tmO-oc
http://www.youtube.com/watch?v=yt5iQen4aBQ

Bluesige Grüße,
Andi
Andi Saitenhieb
Deutschlands Bluesgitarren-Coach Nr. 1

:guitar1:

https://andisaitenhieb.de
So geht Bluesgitarre
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ralphus
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Beitrag von ralphus »

@Andi, auf die Idee ihn zu youtuben war ich gar nicht gekommen....... ;-)

Aber nun habe ich ihn mal gegooglet und bin auf seine Homepage gestoßen und siehe da - was erblickt mein Auge?
Bild

Das Bild habe ich doch gestern in der TTT-Folge über die Cannes-Filmfestpiele gesehen - es ging um den Film Inside Llewyn Davis - hier die Filmkritik aus der ZEIT und hier der deutsche Trailer

Also Elijah Wald hat auch eine Biografie über Dave von Ronk geschrieben, die in dem o.a. Streifen nun verfilmt wurde.

Nachtrag - Uuuups, ich sehe gerade, der doc ist mir mit dem Filmtipp an anderer Stelle zuvor gekommen... http://www.fingerpicker.de/forum/viewto ... highlight=
Viele Grüße

ralphus
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DeJe
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Beitrag von DeJe »

Hallo ralphus,

habe letzte Woche die deutsche Ausgabe von "Dave van Ronk - Der König von Greenwich Village" zu lesen begonnen.

Der Film soll laut I-Net im Januar 2014 in deutsche Kinos kommen.

Nach dem Kauf des Buches habe ich mir auch noch 2 CDs von Dave van Ronk zugelegt, die mir gut gefallen.
Ich hatte bisher Dave van Ronk nicht gekannt. Erst über Elijah Wald bin ich auf ihn gekommen.

Gruß Detlef
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Johnny
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Beitrag von Johnny »

sehr geil... wunderbares Buch.
~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~
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Rainman
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Beitrag von Rainman »

Ich muss mich bei euch für den Tip mit dem Bluesbuch bedanken.
Das ist Oberhammergeil. Vor allem weil ich einen Teil der zitierten Stücke noch auf Platte habe und zwischendurch das Gelesene nachhören kann.
Locker bleiben
Andreas

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ralphus
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Beitrag von ralphus »

:-)
Viele Grüße

ralphus
schinkenkarl
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Beitrag von schinkenkarl »

Habe mittlerweile beide Bücher durch, "Escaping the Delta" hat mir der Andi Saitenhieb empfohlen.
Wahrlich eine Offenbarung für Bluesfans.
Das Dave van Ronk Buch fand ich allerdings gegen Ende hin etwas fad.
Mal schauen wie der Film wird.
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DeJe
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Beitrag von DeJe »

Hat einer von Euch schon "Inside Llewyn Davis" gesehen. Wie ist Euer Eindruck.. Die Filmkritiken gehen ja von -5 bis +5. Hatte noch nicht die Zeit mir selbst einen Eindruck zu verschaffen..

Gruß Detlef
schinkenkarl
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Beitrag von schinkenkarl »

Werde in mir am WE anschauen.
Wird wie alle Filme der Coen Brüder sehr unterhaltsam sein, gerade auch wegen der Folk Musik Geschichte.
Den Soundtrack habe ich mir auch schon bestellt.
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Bersuita
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Inside Llywen Davis

Beitrag von Bersuita »

Ich hatte das Glück Inside Llywen Davis am Dienstag im engl. OmU zu sehen und fand ihn echt super. coole Bilder, coole Musik, interessante schräge Typen, coole Katze :-). Ich finde ihn empfehlenswert 8)
Bersuita
"Ein Gespräch setzt voraus, dass der andere Recht haben könnte." (Hans-Georg Gadamer)
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