Schneller werden... Ein praktischer Ansatz

Alles, was mit dem Spielen des Instruments zu tun hat

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Bernd C. Hoffmann
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Schneller werden... Ein praktischer Ansatz

Beitrag von Bernd C. Hoffmann »

Hallo Markus, RB und Interessierte,

ich gebe hiermit meinen Einstand zu einem Thema, das auch im zivilen Leben immer wieder an mich herangetragen wird. Anlaß ist SlowPicker´s Anfrage im anderen Thread. Ich denke, daß ein neuer Thread für die Übersichtlichkeit angebracht ist (habe selber keine Lust, mich durch 1000 Beiträge durchzukämpfen). Dabei betrachte ich das Thema durch meine Brille im Klassik-/Flamencounterricht.
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Die ganz allgemeingültige Entwicklung, daß man mit der Zeit bei mehr Routine Stücke flüssiger d. h. schneller spielen kann, resultiert oft in einem erreichten Durchschnittstempo, daß sich (scheinbar) nicht mehr ohne weiteres steigern läßt. Zur Bewertung Sauberkeit <=> Tempo wurde m. E. nach alles gesagt; diesen Teil spare ich aus. Meine (stinknormalen) Technikübungen für Tempo haben allerdings auf der Fingerpickinglinie nur begrenzt Berechtigung, da es vom Stück individuell geprägt sein kann, wenn es um eine vorherrschende Spieltechnik geht. Als Beispiel hierfür scheint mir Reihnard´s Arkansas Traveller angebracht. Nach meinem laienhaften Empfinden tippe ich spieltechnisch im Schwerpunkt auf Flatpicking und Carter Lick d. h. Daumen u Zeigefinger picken bzw. Daumen pickt u Zeigef. mit Ab- und Aufschlägen (bitte korrigiert mich, wenn ich falsch liege). Bei letzterem ist Tempo keine Hexerei und nicht schwer zu lernen. Aber wie trainiert man den Rest?

Um im schnellen Tempo sauber spielen zu können, benötigt man zunächst einen sehr kurzen Bewegungsimpuls für den Anschlag. Um diesen Impuls zu bekommen, muß man sehr langsam und konzentriert arbeiten. Ich beziehe hierfür immer mentale Techniken ein. Für die Bewegunsimpulse selbst wie auch für das Tempotraining sind chromatische Tonleitern anfangs völlig ausreichend. Also gehen wir in medias res.
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1] In die 9. Lage gehen u alle 4 Finger auf die 1. Saite legen (jeder Finger einen Bund)
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2] p liegt auf (6) und m auf (1). Anschlag ausschließlich apoyando (jetzt noch nicht => nächster Schritt!)
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3] Der Anschlag - m - wird im Kopf langsam vorbereitet und dann im richtigen Moment ausgeführt, - m - liegt nach dem Anschlag an (2). Der gesamte Bewegungsablauf wird im Kopf aktiv mitgedacht.
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4] Jetzt kommt - i - in der selben Form, wie unter 3], aber: Der Impuls mit - i - anzuschlagen ist gleichzeitig der Impuls - m - zurück i. d. Anschlagsstellung zu gehen. Merke: Bei der Anschlagsstellung berührt der Finger nicht die Saite! Ausnahme: Nur beim 1. Anschlag d. h. beim Beginn kann der Anschlagsfinger an die anzuschlagenden Saite gelegt werden.
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5] Die Übung verläuft rechts im Wechselschlag mit - m - i - und links mit den Fingern - 4 - 3 - 2 - 1. Dann auf (2) weiterspielen bis (6) [p ist hierbei in der Luft]
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6] auf (6) einen Bund (mit der ganzen Hand) zurück und wieder - 4 - 3 - 2 - 1 - von (6) bis (1), dabei - p - wieder z. B. ab der A-Saite wieder auf (6) legen. Bei (1) angekommen wieder einen Bund rückwärts etc. bis in die 1. Lage.
:
7] Wenn die Greif- oder Anschlagshand noch nicht schlapp ist, dann wieder bundweise nach oben gehen.
:
8] Mit zunehmender Sicherheit/Durchaltevermögen auch auf den Bewegungsablauf der Greifhand konzentrieren und auch diese Bewegungen mitdenken. Merke: Nur saubere, klare Töne mit einem kräftigen und (sehr) kurzen Anschlag sind wichtig!

Ich benutze diese Übung auch zum Einspielen sowie nach längeren Spielpausen wie z. B. Urlaub ohne Gitarre. Dabei benutze ich in der Reihenfolge folgenden Wechselschlag (jeweils komplett durch):
:
1] a - m
2] a - i
3] i - m
:
Man kann das ergänzen, indem man zusätzliche Durchgänge mit umgekehrten Anschlagsfolgen spielt.
Nach ein paar Tagen oder mindestens 1 Woche sollte sich eine etwas schnellere Tempofähigkeit herausstellen. Der Wechselchlag zwischen - m - i - wird schneller, wenn man vorher mit - a - m - und - a - i - sicher spielt. Aber nicht aus falschem Ehrgeiz übertreiben. Die Hand kann bei Überbeanspruchung üble Folgen nach sich ziehen, z. B. Sehenscheidenentzündung; deswegen: Wenn eine Hand schlapp macht, dann 3 Min Pause!!!
:
Man kann bei einem moderaten Grundtempo mit einem Metronom spielen. Ich schlage als ersten Anfang 70 Anschläge als 4tel vor. Wer schon etwas fitter ist - SAUBERE Töne! -, der kann auch Achtel 8tel, 8teltriolen oder 16tel spielen. Das Tempo kann mit zunehmender Übung auf 120 Anschläge oder noch höher eingestellt werden (haut aber bei 16tel schon ganz schön rein:-). Mit dieser Übung wird allerdings nur die Geläufigkeit trainiert, d. h. Basis-Training für schnelle Meldiefolgen, die aus einstimmigen Noten bestehen.

Die vorstehende Übung eignet sich auch hervorragend als grundlegendes picado-Training für Flamencogitarristen. Außerdem bildet sie nach einiger Zeit einen kraftvolleren Anschlag insgesamt heraus, d. h. auch im freien Anschlag beim Picken.

Zum Ausbauen der Übung kann man z. B. diatonische Tonleitern zunächst in einem bestimmten Lagenbereich spielen, später horizontal über den gesamten Tonraum, den die Gitarre hergibt. Ebenso kann man bei der Greifhand Überdehnungen einzelner Finger durch Überspringen von Bünden trainieren. In einem weiteren Ausbau kann man Barrée-Akkorde mit Überdehnungen und Lagenwechseln verwenden, in die man Verzierungen einbaut. Nach oben ist also alles offen und sind der Fantasie keine Grenzen gesetzt.

Um mehr Technik im Akkordspiel zu bekommen, muß man auch Akkordfolgen mit unterschiedlichen Arpeggien spielen d. h. sog. "gebrochene Akkorde": Akkorde werden in mehrere Einzel- oder mehrstimmige Töne in unterschiedlichen Fingerkombinationen der Anschlagshand zerlegt. Hierfür eignenen sich alle diatonischen Akkordfolgen. Es macht auch Sinn, sich Übungen mit Melodieübergängen auszudenken. Wichtig, gerade am Anfang, ist dabei immer ein "aktiver" Kopf.

Als jemand, der seinen Lebensunterhalt im Unterricht verdient, kann ich hier keinen kompletten Workshop über Technik und Mentales Training liefern. Aber mein angeführter Ansatz (der nun wirklich nichts Besondere ist) ist in der Praxis relativ leicht umzusetzen. Wichtig beim Übenden ist in der Konsequenz eine gesunde Beharrlichkeit und Ausdauer sowie ein klarer, freier Kopf.

Also nehmt Euch gerne 2 bis 3 Monate Zeit und vergleicht Euer Spiel. Es macht auch Sinn sein Lieblingsstück als Momentaufnahme akustisch festzuhalten und nach der Übezeitspanne noch einmal aufzunehmen und dann beide Aufnahmen zu vergleichen; da sollte sich etwas bemerkbar machen.

Ich hoffe, ich konnte etwas Licht ins Dunkel bringen.

Liebe Grüße
Bernd
Zuletzt geändert von Bernd C. Hoffmann am Do Sep 15, 2005 3:44 pm, insgesamt 1-mal geändert.
Liebe Grüße
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Aläx

Beitrag von Aläx »

Hallo Bernd und auch alle anderen

Ist mal eine rein persönliche Sache. Bernd, du erklärst das alles richtig gut. Aber nun mal eine Frage. Wie schnell bist du persönlich? Wenn das alles so funktioniert wie du das lehrst dürfte es für dich keine Probleme in punkto Geschwindigkeit geben. Ich sags mal so: Ich hatte z.B. mal nen Lehrgang bei Eckhart Lindt. Der stellte darin seine Technikschule mit dem NAmen "der Weg zur technischen Perfektion" vor. Wenn man sich das Teil mal so durchliest und wenn man dem "Meister" dann mal so lauscht kommt man zu dem Eindruck dass der Mann alles beherscht und das auch entsprechend umsetzt. In der Praxis stellte ich dann fest, dass der Meister den mir bekannten Gitarristen sowohl in Geschwindigkeit als auch in anderen Dingen nicht mal das Wasser reichen konnte. Ich bin mir darüber im klaren, das Geschwindigkeit nicht alles ist. Ich habe aber manchmal den Eindruck, dass Theorie und Praxis in manchen Fällen auseinanderfallen. Ich denke die Anfragen in punkto Geschwindigkeit in diesem wie auch in anderen Foren werden deshalb gestellt weil die Leute denken, dass es ein Geheimniss gibt weshalb Paco de Lucia oder Al di Meola so schnell spielen können. Ich persönlich denke , dass man das ähnlich sehen muss wie in der Leichtatletik. Der eine rennt schneller der andere nicht. Da gibts wenig Geheimnisse. Ich denke , wenn jemand in der Lage ist den Kolibri von Sagreras in einem Tempo von cirka 132 bpm. hinzubringen ist das die Grenze die azeptabel ist. Das ist erlernbar. Alles was darüber hinaus geht ist Talent oder wie auch immer.

gruss Aläx
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OldPicker
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Beitrag von OldPicker »

Danke Bernd,

diese Übungen zeigen mir, was ich früher verpasst habe.

Als "angelernter" Gitarrist mit 11 Monaten Kneipenhinterzimmer-Gruppen-Mundorgelbegleiter-Ausbildung, ist ein strukturiertes Vorgehen beim Lernen in dieser Art eine Welt, zu der ich damals keinen Zutritt hatte.

Zunächst zu Aläx. Ich interpretiere Bernds Beitrag etwas anders:
Aber nun mal eine Frage. Wie schnell bist du persönlich? Wenn das alles so funktioniert wie du das lehrst dürfte es für dich keine Probleme in punkto Geschwindigkeit geben.
Ich kann nirgends in Bernds Hilfestellung etwas herauslesen, dass sich anhört, wie: Ich bin einer der Superschnellen. Vielmehr wird aufgezeigt, wie ein möglicher Weg aussehen kann, seine Spielgeschwindigkeit zu steigern. So verstehe ich es jedenfalls. Und Du schreibst es ja selbst:
Ich denke , wenn jemand in der Lage ist den Kolibri von Sagreras in einem Tempo von cirka 132 bpm. hinzubringen ist das die Grenze die azeptabel ist. Das ist erlernbar. Alles was darüber hinaus geht ist Talent oder wie auch immer.
Genau das lese ich aus Bernds Bericht heraus, wie man zu den 132bpm gelangen kann.

Ich selbst habe ein solches Übungsprogramm nie kennengelernt. Vielmehr war es so, dass ich ein Lied gehört habe, dann habe ich erst einige Passagen mitgespielt, dann langsam das ganze Stück. Irgendwann konnte ich das Tempo halten. Learning by doing. Auch ein Weg, aber halt ein absolut anderer, als der systematische klassische. Ich habe zunächst das Lied gelernt, dann die Technik. Über diesen Weg bin ich zu anderen Liedern gekommen. Hier nun sieht die Sache anders aus: Erst ein Haufen Technik und Theorie, dann der praktische Einsatz in den Stücken.

Am Rande fällt mir eine Szene auf der CD mit Doc Watson bei einer Session ein ( Reinhard, Du weißt welche ich meine ? ). Gemeinsam wollten sie eines von Docs Liedern spielen. Und einer der Freunde Docs sagte ( sinngemäß ), dass Doc dieses Lied im Laufe der Jahre immer schneller spielen würde und es schwer fällt, ihm zu folgen. Tja, practice würde ich meinen.... :wink:

Was oder wie auch immer: letztendlich hat jeder Weg zum Tempo einen gemeinsamen Tenor: üben - üben - üben. Man kann Geschwindigkeit nicht anlesen, da muss man schon selbst ein wenig trainieren. :lol: Und Bernds Weg ist einer, und gar kein schlechter. Ich zumindest, ohne irgendeinen Dunst davon zu haben, wie eine klassische Ausbildung abläuft, werde mir diese Anleitung einfach einmal vornehmen und einen Selbsttest wagen. Vermutlich übel für mich, da der Wechsel a - m / a - i / i - m für mich ein absolutes Novum sind. Meine Läufe kommen allgemein aus dem Daumen und Zeigefinger :wink: Aber gerade deshalb - weil ich es nicht kann - könnte dieser Versuch ausgesprochen hilfreich und aussagekräftig sein. :lol:

Ach ja.... ich habe eine richtige Konzertgitarre. Die muss ja auch mal wieder gequält werden :wink:
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Ursula
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Beitrag von Ursula »

Ich denke auch nicht, dass es hier um eine Anleitung geht à la: wie werde ich die schnellste Gitarristin aller Zeiten.

Vielmehr ist es doch einfach eine praktische Handreichung für Leute wie mich, die ich mich jahrelang selbst bemitleidet habe, weil alle anderen so gut spielen können nur ich nicht. Bis - etwas spät, ich gebe es zu :oops: - auch ich eines Tages realisiert habe, dass die andern halt auch etwas dafür tun... Und solche Übungsvorschläge sind für mich wirklich wichtige Hilfestellungen! Ich will auch gar keine zweite Paca de Lucia :wink: werden; ich möchte einfach besser werden. Und das werde ich nicht, wenn ich weiterhin unsysthematisch und halbherzig vor mich hin wurstle.

Übrigens: das mit dem 'Kolibri' ist ein gutes Stichwort. Der wurde von mir einstmals frustriert in meinen Technick-Ordner verbannt, weil er verdächtig nach Mistkäfer oder so klang. Wäre ja vielleicht eine gute Gelegenheit, das Stück nochmals hervorzunehmen...
Vielleicht kann ich ja dann einen Erfahrungsbericht abgeben: Kolibri Anfangstempo jetzt & Tempo nach 3 Mt. unter Berücksichtigung der Anleitung von Bernd. Mal schauen.
Ursula
Bernd C. Hoffmann
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Beitrag von Bernd C. Hoffmann »

Aläx hat geschrieben:Hallo Bernd und auch alle anderen

Ist mal eine rein persönliche Sache. Bernd, du erklärst das alles richtig gut. Aber nun mal eine Frage. Wie schnell bist du persönlich? Wenn das alles so funktioniert wie du das lehrst dürfte es für dich keine Probleme in punkto Geschwindigkeit geben. Ich sags mal so: Ich hatte z.B. mal nen Lehrgang bei Eckhart Lindt. Der stellte darin seine Technikschule mit dem NAmen "der Weg zur technischen Perfektion" vor. Wenn man sich das Teil mal so durchliest und wenn man dem "Meister" dann mal so lauscht kommt man zu dem Eindruck dass der Mann alles beherscht und das auch entsprechend umsetzt. In der Praxis stellte ich dann fest, dass der Meister den mir bekannten Gitarristen sowohl in Geschwindigkeit als auch in anderen Dingen nicht mal das Wasser reichen konnte. Ich bin mir darüber im klaren, das Geschwindigkeit nicht alles ist. Ich habe aber manchmal den Eindruck, dass Theorie und Praxis in manchen Fällen auseinanderfallen. Ich denke die Anfragen in punkto Geschwindigkeit in diesem wie auch in anderen Foren werden deshalb gestellt weil die Leute denken, dass es ein Geheimniss gibt weshalb Paco de Lucia oder Al di Meola so schnell spielen können. Ich persönlich denke , dass man das ähnlich sehen muss wie in der Leichtatletik. Der eine rennt schneller der andere nicht. Da gibts wenig Geheimnisse. Ich denke , wenn jemand in der Lage ist den Kolibri von Sagreras in einem Tempo von cirka 132 bpm. hinzubringen ist das die Grenze die azeptabel ist. Das ist erlernbar. Alles was darüber hinaus geht ist Talent oder wie auch immer.

gruss Aläx
Hallo Aläx,

vorab danke für Deine ehrliche und doch sehr berechtigte Frage.

Ich kenne die 3 Technikbücher von E. Lind (habe sie im Regal), war selbst aber nie bei ihm. Ich habe mich ansatzweise damit befaßt, doch hatte ich nie wirklich die Lust oder Motivation, das Programm durchzuhalten; ich fand es persönlich einfach zu langweilig. Auch wußte ich damals, daß ich Flamenco lernen wollte. Dies war der Hauptgrund, daß ich mir die Bücher gekauft habe. Aber auch hier gilt, daß Tempo lediglich ein Hilfsmittel zum Ausdruck ist. Man kann auch langsam mit einem sehr schönen aire spielen.

Wie schnell bin ich wirklich? Als ich Anfang der 90er noch allein gelebt habe, hatte ich neben dem Unterricht täglich zwischen 6 und 8 Stunden für mich selbst gespielt. Ich wollte es auch mal "richtig" wissen, wobei meine "Highlights" 1997 bei 16tel mit 145 bpm lagen. Die hatten allerdings keinen besonderen Praxiswert, weil es sich um die o. g. chromatische Tonleiter mit 4 Fingern auf einer Saite handelte. Die "sauberen" praktischen Läufe habe ich aber nie mit einem Metronom gespielt. Zur Orientierung kann ich von Paco de Lucia den e-Moll picado aus der Alegria "Recuerdo a Partiño" anführen. Er beginnt mit c´- h - b - h - c´- d´- e´- fis´... Der remate kommt über E - G - A - B - H => H7, dann kommt ein a-Moll arpegio (die Stelle ist leicht zu finden). Diesen Bereich konnte ich sauber mit der CD mitspielen. Gestern hatte ich auch den ersten picado aus "Barrio de La Viña" fast sicher (eigentlich mehr schlampig) im Griff, allerdings auch noch sehr kopflastig also noch nichts konzertreifes. Im etwas ruhigerem Tempo kann ich fast das ganz Stück spielen. Ich spiele seit einigen Monaten auch sehr viel unregelmäßiger, was mich natürlich einschränkt. Auch merke ich, daß mir durch das unregelmäßige Spiel Compásfehler unterlaufen.

Je nach dem, wie ich drauf bin, baue ich bei Flamencoworkshops mehr oder weniger Technikblöcke ein und spiele vorab 1 o 2 Stücke, die entsprechend schnelle picado falsetas enthalten. Dann zeige ich, wie man an dieses Tempo herankommen kann. Wenn ich aber sagen würde, ich habe Talent, dann würde ich es verneinen. Ich würde eher sagen, ich habe Temperament und eine ausgeprägte Beharrlichkeit in Dingen, die mich faszinieren - allerdings nicht immer ohne eine gewisse Kopflastigkeit im Spiel. Aber ich denke auch, daß irgendwann ein Maximaltempo erreicht ist, über das man nicht hinauskommt.

Ich persönlich bin heute an einem Punkt angelangt, wo es mir egal ist, wie schnell ich spielen kann. Das bringt natürlich besonders im Flamenco die Konsequenz mit sich, Stücke entsprechend zu gestalten. Allerdings bin nicht besonders kreativ...

Liebe Grüße
Bernd
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Bernd C. Hoffmann
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Beitrag von Bernd C. Hoffmann »

OldPicker hat geschrieben:...werde mir diese Anleitung einfach einmal vornehmen und einen Selbsttest wagen. Vermutlich übel für mich, da der Wechsel a - m / a - i / i - m für mich ein absolutes Novum sind. Meine Läufe kommen allgemein aus dem Daumen und Zeigefinger :wink: Aber gerade deshalb - weil ich es nicht kann - könnte dieser Versuch ausgesprochen hilfreich und aussagekräftig sein. :lol: ...
Hallo OldPicker,

wenn Du noch nie im Wechselschlag ohne Daumen gespielt hast, dann würde ich Dir empfehlen, vorab 3 - 4 Wochen nur mit - m - i - zu spielen, z. B. 4x jede Leersaite oder einfache Melodiefragmente mit gleichen Notenwerten, z. B. Alle meine Entchen, Fuchs du hast die Ganz gestohlen; das ganze ca. 10 - 15 Min im konzentrierten Zustand. Der Liedvorschlag klingt etwas "gewöhnungsbedürftig", aber die Anfänge bestehen aus gleichen Notenwerten - und die Melodien sind bekannt. m - i - ist der eigentliche Wechselschlag, der im praktischen Spiel zur Anwendung kommt. Mache es aber die ersten 2 Wochen tirando d. h. im freien Anschlag, also der Anschlagsfinger liegt nach dem Anschlag NICHT an tieferen Saite an sondern ist in der Luft! Wenn Du das locker kannst, dann übe 1 Woche dasselbe apoyando d. h. angelegt. Achte in JEDEM Fall auf eine simultane Anschlags-/Rückstellungsbewegung der Finger.
Wichtig: Beim Wechselschlag darf derselbe Finger nie 2x nacheinander anschlagen! Das gilt insbesondere beim apoyando, speziell beim Saitenwechsel, hier möchten Dich die Finger gerne austricksen!!

Liebe Grüße
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OldPicker
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Beitrag von OldPicker »

Hallo Bernd,

ich sag ja, das ist eine andere Welt. Es wird gewiss nicht besonders "spannend" sein und erst recht nicht leicht, aus Bequemlichkeit nicht einfach ein Stück "im alten Stil" zu spielen. :roll:

Mal sehen, ob ich das durchhalte.

Aus Bremen grüßt
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Ursula
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Beitrag von Ursula »

@Bernd

Bringt es etwas, deine Übung auch so zu spielen:

1) Rechts Wechselschlag auf (1) mit m - i und links mit den Fingern 4 - 3 - 2 - 1 im Tempo 70 bpm

2) Dasselbe noch einmal - d.h. mit der linken Hand auf den selben Bünden bleiben -, aber Tempo verdoppeln.

3) dann dasselbe auf (2) (zuerst Tempo 70 bpm, dann doppeltes Tempo) etc.

Oder ist davon eher abzuraten?
Ursula
Bernd C. Hoffmann
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Beitrag von Bernd C. Hoffmann »

Ursula hat geschrieben:@Bernd

Bringt es etwas, deine Übung auch so zu spielen:

1) Rechts Wechselschlag auf (1) mit m - i und links mit den Fingern 4 - 3 - 2 - 1 im Tempo 70 bpm

2) Dasselbe noch einmal - d.h. mit der linken Hand auf den selben Bünden bleiben -, aber Tempo verdoppeln.

3) dann dasselbe auf (2) (zuerst Tempo 70 bpm, dann doppeltes Tempo) etc.

Oder ist davon eher abzuraten?
Hallo Ursula,

da würde ich von abraten. Bei 70 bpm kann man sich sehr gut auf die kurzen Bewegungsimpulse der Anschlagshand konzentrieren, die im Kopf vorbereitet werden. Wenn es Streß machen sollte, einfach weiter runterschalten oder halbe Noten spielen d. h. 2 Anschläge den jeweiligen Ton klingen lassen. Wichtig ist die Kontinuität. Wenn Du Dich unterfordert fühlst, kannst Du natürlich das Tempo steigern.

Aber es gibt noch was, das ich oben bewußt nicht gesagt habe. Es gibt auch kurze Bewegungsimpulse in der Greifhand. Interessant ist aber nicht der Impuls des Greifens, sondern der Moment, wo die Note ihre maximale Dauer erreicht hat und der Greiffinger wieder weg muß. Beim Hebe-Impuls sollte der Greiffinger (optimalerweise) nur ganz nah, also ca. max. 5 mm über der Saite bleiben (das gilt generell auch vor dem Greifen). Andernfalls müßte man bei sehr schnellen Läufen für jeden Ton einen weiten Weg zurücklegen, was aufs Timing geht. Dies kann man aber auch separat üben. Wichtig für einen guten Ton ist ein schneller Anschlagsimpuls, aber der letzte Hinweis reguliert die Bewegungsökonomie ("nicht mehr als nötig machen".

Liebe Grüße
Bernd
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Ursula
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Beitrag von Ursula »

Danke vielmals, Bernd, für die Präzisierungen. Ich werde mich dann wohl etwas disziplinieren und nach deiner Beschreibung vorgehen.

Habe ich das übrigens richtig begriffen, dass der wichtige Punkt bei dieser Übung - neben dem impulsgenauen Anschlag - vor allem die mentale Vorbereitung desselben ist?
Ursula
Aläx

Beitrag von Aläx »

Hallo an Alle

Zunächst zu dir Bernd. Bin froh dass du meine Frage nicht als Provokation empfunden hast. Das war auch nicht in meinem Sinne. Hätt mich auch gewundert wenn du den Namen Lind nie gehört hättest. Da gibts eben aber noch viele die dir in Seminaren am Abend bei einem Schlückchen die ultimative Technik verkaufen aber selbst nichts bringen. Das klingt zwar alles ein bißchen arrogant aber ich denke dass ich in punkto Geschwindigkeit eigentlich alles spielen kann was ich möchte (natürlich ausser TE, Paco oder sonstigen in der Kategorie). Es gab mal ne Zeit da wurde die Chaconne von Bach als das schwierigste Stück bezeichnet. Das Teil ist deswegen furchtbar schwer weil du da Läufe spielen solltest die jenseits der 132 bpm Grenze liegen und weils trotzdem auch noch zehn Minuten dauert. Nichts desto trotz! Ich habe Geschwindigkeit dadurch gelernt dass ich ausser üben auch noch ne Menge Gitarristen gehört habe die nun mal unerhört schnell sind. Dadurch habe ich ein anderes Hörgefühl und eine andere Dimension kennnengelernt.Klingt blöd, ist aber so. Ein Flamencogitarrist namens Bernd Steinmann hat mal in einem Interview etwas ähnliches gesagt. Es gibt auch Ansätze dass im Gehirn bestimmte Regionen sozusagen auf Geschwindigkeit programmiert sind. Deshalb ist es bei bestimmten Passagen besser wenn man die gleich schnell übt. Klingt bescheuert aber mir gehts so, dass ich bestimmte Dinge sehr schnell spielen kann insbesondere bei der Stromgitarre die mir langsam nicht so von der Hand gehen, eben weil ich da überlegen muss.

tja denkt mal darüber nach

tschau Aläx
Bernd C. Hoffmann
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Beitrag von Bernd C. Hoffmann »

Ursula hat geschrieben:Danke vielmals, Bernd, für die Präzisierungen. Ich werde mich dann wohl etwas disziplinieren und nach deiner Beschreibung vorgehen.

Habe ich das übrigens richtig begriffen, dass der wichtige Punkt bei dieser Übung - neben dem impulsgenauen Anschlag - vor allem die mentale Vorbereitung desselben ist?
Ja. Das gilt aber nur für die Übung, denn dadurch bringst Du den gesamten Bewegungsablauf sehr viel schneller und bewußt präziser ins Unterbewußtsein. Später im freien Spiel denkst Du nicht mehr über den Anschlag und das Drumherum nach - da wirst Du die Gitarre aus Deinem Bauch heraus "erzählen" lassen.
Liebe Grüße
Bernd
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Bernd C. Hoffmann
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Beitrag von Bernd C. Hoffmann »

Hallo Aläx,

für eine Provokation habe ich nichts finden können, lediglich eine kritische Hinterfragung zu meinem Thema.

Stromgitarre habe ich in den 70ern gespielt, war aber nie wirklich gut, aber immer just for fun. Ich bezeichne mich auch heute nicht als "gut". Was Du beschrieben hast, daß durch Hören bestimmte Bereiche im Gehirn aktiv werden, die technische Fähigkeiten voranbringen, kann ich direkt unterschreiben. Ich erinnere mich noch als ich mich auf meinen ersten Spanienbesuch mit Quintolentremoli vorbereitet hatte, die einfach nicht in die Finger wollten. Ich konnte machen was ich wollte, es ging partout nicht. Allerdings hatte ich damals auch kaum Hörvorlagen. In Malaga hat mich Gabriel Cabera ausgestattet und mich wirklich überall mit hingeschliffen. Als ich bei ihm die erste Flamencostunde nahm, konnte ich das Tremolo am nächsten Tag nahezu perfekt und war sehr überrascht von mir.

Bei mir ist es ähnlich wie bei Dir. Auch ich kann eigentlich alles spielen, was ich möchte. Natürlich gibt es immer Stücke, die nie spielen können werde, aber damit kann ich gut leben.

Mir geht es darum, eine praktische Möglichkeit für viele aufzuzeigen, die ich für die eigene Entwicklung selber praktiziert habe und auch an meine Schüler bzw. Workshopteilnehmer weitergebe. Gitarristisch verkaufe ich nichts, das ich nicht selber kenne. Auch einige Bursch-Jünger haben von diesen Übungen profitiert, indem sie z. B. einen besseren, kräftigen Anschlag entwickeln konnten. Sicher gibt es unterschiedliche Möglichkeiten zum schneller werden. Mein dargestellter Ansatz ist nur ein Weg von vielen, aber er ist auch allein relativ einfach zu gehen. Da ich andere Wege selbst nicht praktiziert habe - mit Ausnahme von Lind, der mir persönlich zu langweilig war und auch schon wegen tageszeitlicher Vorgaben für Otto Normalverbraucher gar nicht praktizierbar ist -, kann ich nur hinter dem stehen, was ich selbst durchlaufen habe.

Liebe Grüße
Bernd
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marcel s.

Beitrag von marcel s. »

Ich bin ein bisschen skeptisch ob es Sinn macht, speziell Geschwindigkeit zu üben. Im Allgemeinen gilt: Geschwindigkeit ist ein Abfallprodukt von Präzision. Es macht auf jeden Fall Sinn, die Anschlagbewegungen genau zu analysieren und unökonomische Bewegungsmuster zu korrigieren. Was man dann auf lange Sicht für Geschwindigkeiten erreicht, hängt meiner Meinung nach nur von der Anatomie ('Talent') und der aufgewendeten Zeit ab. Man darf nicht vergessen, daß die ganzen Geschwindikeitsweltmeister eines gemeinsam haben. So unterschiedlich auch ihre Technik ist, sie haben alle über Jahre täglich zahllose Stunden geübt. Es mag Übungsprogramme geben, die etwas effektiver erscheinen als andere und theoretisch schneller zum Ziel führen. Aber ob das in der Praxis wirklich einen Unterschied macht, läßt sich kaum beweisen.
Damit ihr mich nicht falsch versteht, ich habe meinen Schülern auch immer geraten sich Gedanken über ihre Anschlagtechnik zu machen und nicht einfach draufloszudaddeln. Aber es sollte sich keiner Illusionen machen, mit 2 Stunden üben am Tag so schnell zu werden wie Paco und Konsorten.
Was als 'Talent' dazukommt, sind neben allgemeiner Bewegungsbegabung halt körperliche Unterschiede wie der Anteil von schnellen und langsamen Muskelfasern, unterschiedliche Hebellängen der Gelenke, und günstiger oder ungünstiger verlaufende Sehnen.
Geschwindigkeit ist für die Qualität des Spiels der sicherlich unwichtigste Faktor, daher würde ich ihm auch keine Sonderstellung im Trainingsprogramm einräumen.

Marcel

P.S. So schnell wie Paco spielt, kann ich nicht mal nervös auf der Tischplatte trommeln. :)
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Ursula
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Beitrag von Ursula »

@Marcel
Aber ist das nicht das, was auch Bernd sagt. Ich für mich verstehe Bernds Übung in erster Linie als eine Möglichkeit, einen präzisen, gleichmässigen (von der Kraft her, aber auch von der Lautstärke her) angelegten Anschlag zu üben - das kann ich für das Flamenco-Spielen gut gebrauchen. Wenn dabei auch Geläufigkeit und Tempo trainiert werden, um so besser...

@Bernd
Ich schäme mich ja, aber ich habe noch zwei Fragen zu deiner Übung.

1) linke Hand: ich fange an mit allen 4 Fingern auf (1) und hebe einen nach dem anderen ab: 4 weg, 3 weg, 2 weg, zuletzt ist nur noch 1 im IX. Bund auf (1).
Jetzt wechsle ich auf (2). Muss ich nun mit allen 4 Fingern der linken Hand wieder gleichzeitig greifen oder setze ich von nun an einen Finger nach dem anderen auf, will heissen:
4 auf (2), XII. Bund - gleichtzeitig 1 von (1) weg
dann 3 auf (2), XI. Bund - gleichzeitig 4 von (2) weg etc.

2) In welchen Schritten würdest du später das Tempo steigern. Man hat mir einmal geraten, immer mit Verdoppelungen zu arbeiten...
Ursula
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