Stress bei der Aufnahme?

Alles, was mit akustischer Gitarrenmusik zu tun hat und sonst nirgends hineinpaßt

Moderatoren: jpick, RB, Gitarrenspieler

Benutzeravatar
Brokenstring
Beiträge: 831
Registriert: Mi Jun 02, 2010 11:07 am

Beitrag von Brokenstring »

Roland hat geschrieben: ....vielleicht könntest du, so bald du dich sicherer fühlst,...
Das ist es doch letztlich, dass ich mich vor der Aufnahme "perfekt und absolut" sicher fühle, aber sobald der Knopf an ist, gehts los. In den 20 Versuchen gab es immer Fehler an jeweils anderer Stelle. Die Fehler bei der letzten Aufnahme waren also 19* nicht enthalten, dafür aber 19* andere....
Aber es scheint nicht nur mir so zu gehen, und da ich erst jüngst mit der Aufnehmerei angefangen habe, hoffe ich, dass es sich "auswächst". Das 14 tägige Vorspiel vorm Lehrer wurde ja auch etwas besser, ist aber auch noch nicht gänzlich weg. Früher sagte man wohl Lampenfieber....
Deerbridge Hare's Bell
Benutzeravatar
ralphus
Beiträge: 3355
Registriert: So Aug 19, 2007 11:39 am
Wohnort: Big Jack Village - Germany SH
Kontaktdaten:

Beitrag von ralphus »

Brokenstring hat geschrieben:Das ist es doch letztlich, dass ich mich vor der Aufnahme "perfekt und absolut" sicher fühle...
Ich glaube da gibt es einfach noch einen Unterschied zwischen "sicher fühlen" und "sicher fühlen" ;-)

Mit "sicher fühlen" meine ich.. Könnte man Dich nach einer durchzechten Nacht nachdem Du gerade erst 1,5 Std geschlafen hast, aus dem Schlaf rausreißen, Dir die Gitarre in die Hand drücken und Du könntest das Stück aus dem Stehgreif fehlerfrei spielen?

Das ist für mich "sicher fühlen". Ich glaube die meisten Amateure, mich eingeschlossen, kommen da gar nicht hin. Aber auf dem Weg dahin gibt es noch viele Abstufungen von "sicher fühlen" und wir glauben, wenn wir auf der untersten Stufe stehen ist es das schon ;-)

Beispiel für Stufen von "Sicherheit" aufsteigend
Man kann das Stück fehlerfrei vom Blatt spielen
Man kann das Stück fehlerfrei auswendig spielen
Man kann das Stück spielen ohne an Finger oder die nächsten Noten zu denken
Man kann das Stück auswendig aus dem Stehgreif spielen, ohne vorher ein paar Licks angespielt zu haben
Man kann das Stück fehlerfrei spielen und wenn man einen Fehler einbaut, kann man die nachfolgenden Noten fehlerfrei weiterspielen.
Man kann das Stück fehlerfrei spielen und kann dazu singen
Man kann das Stück fehlerfrei spielen und kann sich beim Singen auf den Ausdruck konzentrieren
Man kann das Stück mit besoffenen Kopf fehlerfrei spielen - wobei "Andere" das Urteil fällen über das "Fehlerfrei" ;-)
Mann kann das Stück fehlerfrei spielen und wenn man fertig ist, ist man "überrascht"
usw. ;-)

Stefan Grossman beschreibt den Prozess etwas anders http://www.youtube.com/watch?v=91u_0PccY4c

An dieser Stelle mal wieder mein Buchtipp zu dem Thema - Zen in der Kunst des Bogenschießens, könnte auch heißen ..in der Kunst die Gitarre zu spielen. (Es gibt so ein Buch auch zum Thema Gitarre, ich würde mich aber an das Original halten)
Zuletzt geändert von ralphus am Fr Feb 03, 2012 12:18 pm, insgesamt 1-mal geändert.
Viele Grüße

ralphus
Benutzeravatar
JeSter
Beiträge: 144
Registriert: Do Mär 31, 2011 5:31 pm
Wohnort: Münster

Beitrag von JeSter »

Schlimm finde ich auch folgenden Umstand:

Ich spiele und nehme auf und bin fast am Ende des Stückes, wohlwissendlich das ich es bis hierhin fehlerfrei gespielt habe,...dann passiert das unvermeidliche...

Letztens ist auch was lustiges passiert. Ich nehme die Spanische Romanze via Wbcam auf und mein Nachbar fängt in der Mtte des Stücks an zu bohren...Richtig laut...mein entgleister Gesichtsausdruck wurde zum Glück in 720p gespeichert :D
Duke GA-PF Cut
Alhambra 4P Zeder
Stromgitarre Höfner Stratocaster Nachbau von 1968

Wer anderen eine Bratwurst brät, hat ein Bratwurstbratgerät!
Tripple xXx
Beiträge: 1709
Registriert: Mi Jun 22, 2011 4:24 pm

Beitrag von Tripple xXx »

mbern hat geschrieben:
Tripple xXx hat geschrieben:Aber woher wisst ihr dann wo die Stelle ist wo man "Perfekt" gespielt hatt?
Sucht ihr die solange oder was?
Oft weiß man doch nach der Aufnahme, ob es ok war oder nicht - dann abschalten und das letzte Stück wählen.
Wenn ich das mache, trommel ich zwischendurch mal auf eines der Mikros. So erkenne ich die Pausen ganz leicht wieder.
Wenn man einfach nur spielt und spielt, wird es in der Tat ein wenig schwieriger - besonders wenn man am Ende auf den Dreh kommt, dass irgendwo in der Mitte eine perfekte Aufnahme entstanden sein könnte :)
Na mein Problem ist so richtig zufireden bin ich NIEEE^^ :shock: :D .
Benutzeravatar
RB
Beiträge: 20119
Registriert: Di Feb 08, 2005 11:18 pm
Wohnort: Wetzlar
Kontaktdaten:

Beitrag von RB »

Der Aufnahmestress legt sich mit den Jahren. Dann wird es besser und Aufnahmen klappen auch schon mal im ersten Anlauf. Die Situation, in der man 20 Anläufe benötigt, habe ich aber hin und wieder auch noch.
mbern
Beiträge: 1327
Registriert: Mo Nov 01, 2010 10:24 am

Beitrag von mbern »

Tripple xXx hat geschrieben: Na mein Problem ist so richtig zufireden bin ich NIEEE^^ :shock: :D .
Sieh es so, die Unzufriedenheit ist eine der grundlegenden Eigenschaften eines Musikers. Es gibt welche, die zufrieden sind, aber oft sind die einfach nur unmusikalisch.
Neulich hat Gitarrenspieler ein Interview mit Frau Mutter verlinkt und was sagte sie, als sie gefragt wurde, ob für sie die Gefahr bestünde, irgendwann abzuheben - oder vielleicht war die Frage auch, warum sie nicht abhebe oder sowas? Jedenfalls hat sie sinngemäß geantwortet, dass es dazu nicht kommen könne, weil ihr reales Spiel, niemals ihr Ideal, niemals ihre Vorstellung erreicht.

Wenn Frau Mutter sich in dieser Art äußert, wäre jeder Musiker, der seine eigene Interpretation perfekt findet, ein lustiger Spinner.
Das Doofe ist sogar, dass mit dem Fortschritt der eigenen Musik, auch der Anspruch wächst. Vor 30 Jahren war ich genauso weit von meinem Ideal entfernt, wie ich es heute bin, weil leider auch das Ideal sich weiter entwickelt, nicht nur das irdische Spiel.
gitarrenthomas
Beiträge: 19
Registriert: Do Dez 01, 2011 9:38 pm
Wohnort: Neuss und Ribnitz

Beitrag von gitarrenthomas »

Hallo zusammen.

ich habe über viele Jahre immer mal wieder Aufnahmen gemacht; ganz unterschiedlicher Art und Stilrichtung. Folgendes finde ich gegen Stress hilfreich:
- eine Aufnahme, die nur die Funktion hat, ein Dokument einer Idee oder Komposition zu sein, muss nicht gut sein.
- ich bin ja kein Tontechniker, von daher gehe ich davon aus, dass insbesondere eine Akusikaufnahme hinter dem realen Klang meiner Edelklampfen zurücksteht.
- Charisma ist eine schwer zu bestimmende Eigenschaft. Ich habe Aufnahmen mit Spielfehler und "schlechtem" sound, die ich großartig finde, andere - besser gespielt - sind zum Kotzen langweilig.

Für mich ist es besser mit jemand zusammenzuarbeiten, um nicht selber auf on und stop drücken zu müssen. Ich habe nach einigen (Fehl-) Versuchen keine Lust mehr, das Stück zum 5x zu spielen....die Steigerung der Unlust ist beim 20igsten Versuch deutlich zu hören.
Benutzeravatar
Herigo
Beiträge: 4328
Registriert: Sa Apr 03, 2010 11:23 pm

Beitrag von Herigo »

natürlich habe ich auch das gleiche problem, und schon fast hundert versuche durchgeführt, inclusive furchtbare zerstörungsfantasien ob dieses scheißinstrumentes zu entwickeln. allein der preis hält mich davon zurück, eine billige chinaklampfe wäre für mich also eher kontraproduktiv. 8)

ich habe nun festgelegt nicht mehr in einem guss aufnehmen zu wollen sondern mit möglichst viel ausdruck zu spielen und notfalls (eigentlich die regel) die besten stellen zusammen zu schneiden (eigentlich kleben).

es gibt keinen grund sich mit einer aufnahme zu beweisen, dass man es fehlerfrei spielen kann, das kann man auch ohne aufnahme. das schafft man fast täglich. aber eben nicht bei der aufnahme. weil eben jede unsauberkeit auf dauer konserviert ist.

die aufnahmesituation ist keine live-situation, wenn auch stress empfunden wird, ist die ursache doch eine andere, noch mehr als bei der aufnahme kommt es bei der live situation mehr auf ausdruck, gefühl, tempo an, als auf völlige fehlerfreiheit (klassik mal ausgenommen). und genau diese punkte sind eigentlich bei der aufnahme das geringste problem. man kann schön einzählen, braucht sich "seiner gefühle nicht zu schämen", der "sound" ist eigentlich auch eher optimaler als auf der bühne. es geht "nur" um die absolute sauberkeit. warum eben dann nicht schneiden. kein film funktioniert ohne guten schnitt, niemand verlangt, dass die schauspieler wie im theater alles in einem rutsch durchspielen.

also aufnahme durchlaufen lassen und eben so viele wie mögliche gute parts probieren. das einzige was bei einem musiker wirklich interessiert ist wie gut er es live drauf hat, wenn er denn überhaupt auftritte macht. was er in seinem kämmerlein fabriziert ist nicht relevant.

die generation YT sieht das vielleicht anders, aber entscheidend bleibt für mich (bei einer aufnahme, nicht live) die musik die ich höre. klar für viele ist YT ein ersatz für auftritte die man sich entweder nicht getraut oder weil man einfach keine möglichkeit dazu bekommt.

der schnitt bietet eine weitere möglichkeit die ich viel wichtiger finde als den aspekt der fehlerfreiheit, nämlich die verbesserung der "musik".
dazu gehört auch die fähigkeit zur selbstkritik. wenn ich mir also die besten parts aussuche werde ich schon darauf achten nicht nur die fehlerfreien sondern auch die mit dem besten ausdruck zu nehmen, dabei lerne ich. automatisch wird man das in sein spiel einfließen lassen, man wird erkennen, dass die eine oder andere dynamikspitze zu hoch ist, mehr oder weniger rubato besser klingt, etc....

gleichzeitigt kann man auch die form des stückes verbessern und auch hier wieder lernen, etwas was sich beim "live" improvisieren auszahlen kann. was spricht dagegen einen part den man im nachhinein als zu lang empfindet zu kürzen oder einen part den man gerne nocheinmal hören würde zu kopieren und einzufügen. entscheidend ist doch das ergebnis. das was man hört. man kann aus einer total freien improvisation ein richtig strukturiertes lied basteln.

nun, ich muss zugegeben, das dies natürlich ein sichtweise ist die eher von jemand kommt der lieber eigenes material aufnimmt als nachgespieltes.

das ideal mag eine ungeschnittene performance sein, aber schon wenn man als einzelperson mit overdubs arbeiten will (muss) ist diese möglichkeit obsolet.

mich interessiert es nicht ob jemand seine aufnahmen die er zum beispiel hier oder auf YT veröffentlicht in einem ruck aufnimmt oder sorgfältig die besten szenen selektiert. entscheidend ist ob das ergebnis gefällt, dafür ist entscheidend was ich höre und nicht was ich weiß. die info "in einem stück aufgenommen" macht das stück nicht besser und das gegenteil macht es nicht schlechter. musik existiert nur in dem moment wenn man sie hört, auch für den der musiziert. selbst dann wenn man sie "nur" im inneren hört.

diese ansicht mag nicht jeder teilen, es ist meine einstellung zur frage wie man mit der aufnahme situation umgehen kann und der frage warum und für was man überhaupt aufnimmt.

PS. eine der gründe aufzunehmen ist für MICH meine musik hören zu können ohne das ich sie spiele.
Salud a Familia
Herigo Carajillo de los Bomberos de Alemania
kostenlos CD runterladen: www.mydrive.ch user: guest@current password: Burro01
Antworten