Welchen Stellenwert hat für euch die Improvisation?

Alles, was mit akustischer Gitarrenmusik zu tun hat und sonst nirgends hineinpaßt

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wolfwal
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Re: Welchen Stellenwert hat für euch die Improvisation?

Beitrag von wolfwal »

Angorapython hat geschrieben: Der Fluch von Jutub ist es, dass geradezu jeder Furz irgendwo zu finden ist.
Schön gesprochen, eigentlich geschrieben, Herr Kollege!
Wobei zu bemerken wäre, dass der eine oder andere Furz auf YouTube durchaus wohlriechend bzw. -klingend ist! :whistler:
Zur Improvisation, zum Musikmachen überhaupt: schön ist doch, wenn was Schönes, Tolles, was Grooviges, was Verrücktes (... und das Ganze ist dann auch noch Geschmackssache!) - wie auch immer man das nennen will - zu Gehör gebracht wird. Dann ist´s schon wieder gleichgültig, ob vom Blatt oder aus´m Bauch, wobei einfach drauflosspielen schon was für sich hat!
Der Nachteil am Nichtstun ist, dass man nie weiß, wann man fertig ist!

Gruß, Wolfi!
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JazzDude
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Re: Welchen Stellenwert hat für euch die Improvisation?

Beitrag von JazzDude »

Ein Stichwort, das hier noch nicht gefallen ist, ist "Klischees". Ich glaube, Tele wollte zum Ausdruck bringen, dass es ihn nicht antörnt, wenn selbige den Großteil des Improvisierten ausmachen. Und auch ein Tony Rice (den ich sehr verehre, was ist eigentlich mit ihm, kann er wieder auftreten?) greift darauf zurück ("repetitious"). Ebenso Jerry Douglas (ich liebe "Skip, Hop&Wobble"!), der auf vielen sehr, sagen wir kommerziellen Aufnahmen mit vielen Klischees (aka Mayonnaise) zur Beliebigkeit manchen Machwerks aus Nashville beigetragen hat. Was ihm in keiner Weise vorzuhalten ist (der Mann lebt davon), und was seinen Wert als Musiker nicht schmälert.
Wenn also hier von Improvisation gesprochen wird, wird nicht differenziert zwischen dem reinen Klischees-Abspulen einerseits und Improvisation im Sinne von Komponieren im Moment, on the spot andererseits. Letzteres kann man sehr gut anhören bei Ferenc Snetbergers neuem (ECM-)Album "In Concert". Für mich auf eine Art das Köln Concert der Gitarre.
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Angorapython
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Re: Welchen Stellenwert hat für euch die Improvisation?

Beitrag von Angorapython »

Off topic: Köln Concert ist gaaaanz schlecht!
Habe ich mindestens schon 4 mal gekauft, immer wieder verliehen und nie mehr zurück bekommen!
Danke für die Warnung! Werde ich nie verleihen! :banger:
FCK-NZS
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docsteve
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Re: Welchen Stellenwert hat für euch die Improvisation?

Beitrag von docsteve »

Improvisation ist für mich immer ganz wichtig gewesen und ist es noch. Von kurzen Soli (Zitat in der Big Band: ausnotierte Soli spielen wir nicht) bis zu freier Improvisation. Letzteres kann man in der Kirche ganz gut als Vor- und Nachspiel verstecken; von Keith Jarrett sind wir wohl alle weit entfernt.

Wobei ich das Improvisieren mit dem Sprechen einer Sprache vergleichen möchte. Ich muss Wörter, Redewendungen (Licks) und Grammatik (Harmonielehre) lernen, um etwas sagen zu könne, bei dem sich das Zuhören lohnt. Ich muss die Themen kennen, über die ich spreche/spiele. Und wie im wahren Leben gibt es Situationen, in denen man immer dasselbe erzählt (erzählen muss - ich mache Produktschulungen, da kann ich nicht jedes Mal eine andere Schulung halten), und Situationen, in denen man etwas ganz neues erfindet. Die Analogie ließe sich unendlich weit fortspinnen...

Julian Bream sagte, dass er auch improvisiere - nur mit Phrasierung, Klangfarben, Dynamik usw. In einem klassischen Rahmen geht das halt anders. Eine Pianistin aus meiner Bekanntschaft sagte dasselbe, was mich nur bestärkt, immer wieder zu variieren.

Viele Grüße, Stephan
WolfF
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Re: Welchen Stellenwert hat für euch die Improvisation?

Beitrag von WolfF »

Ist das eigentlich auch Improvisieren? Man hat irgendwo einen netten Text gefunden, dem – wie man meint – ein Vertonung gut tun würde, und dann probiert man rum – im Rahmen seiner Fähigkeiten. Bei mir heißt das: mit den gängigen Tonarten und Akkorden, mit 4/4, 3/4, bis sich allmählich so etwas wie eine Melodie herauskristallisiert, die "passt". Die spiel ich dann noch hundert Mal, vielleicht kommt dann noch eine kleine Prise Fingepicking dazu – und dann bleibt es so ...

Und manchmal wundere ich mich, dass so ein Liedchen, wenn ich es jahrelang nicht gespielt habe, dann doch nach zwei drei Versuchen wieder "da" ist.

:D Wolfgang
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Rolli
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Re: Welchen Stellenwert hat für euch die Improvisation?

Beitrag von Rolli »

WolfF hat geschrieben:Ist das eigentlich auch Improvisieren? Man hat irgendwo einen netten Text gefunden, dem – wie man meint – ein Vertonung gut tun würde, und dann probiert man rum – im Rahmen seiner Fähigkeiten. Bei mir heißt das: mit den gängigen Tonarten und Akkorden, mit 4/4, 3/4, bis sich allmählich so etwas wie eine Melodie herauskristallisiert, die "passt". Die spiel ich dann noch hundert Mal, vielleicht kommt dann noch eine kleine Prise Fingepicking dazu – und dann bleibt es so ...

Und manchmal wundere ich mich, dass so ein Liedchen, wenn ich es jahrelang nicht gespielt habe, dann doch nach zwei drei Versuchen wieder "da" ist.

:D Wolfgang
Das würde ich dann schon als "Trial and Error" Komposition bezeichnen!
Ebenso wie den Vorgang den Tele hier beschreibt:
Ok, ich gebe zu, mein als humorvoll geplanter Einstieg war etwas missraten, Ironie kommt im Netz halt nur bedingt rüber, also zurück zum Thema:
Ich unterscheide da, zwischen der prinzipiellen Fähigkeit, irgendwas ohne Noten spielen zu können und dem musikalischen Endergebnis.
Da habe ich die Erfahrung gemacht, dass ein "verkopfter" Ansatz für mich die besseren Ergebnisse bringt, als "Aus'm Bauch".
Nehmen wir mal einen Jazz Blues. "Aus'm Bauch fallen mir da ein par Standard Pentatonik Licks ein.
Wenn ich aber Zeit habe, mir was zurechtzulegen, kann ich Chromatik einbauen und harmonisch auf den Turnaround am Ende eingehen.
So versiert im Improvisieren, dass ich das spontan hinkriege, bin ich einfach nicht.
Also leg ich mir was einigermaßen Ausgefeiltes zurecht und übe das wie ein klassisches Stück ein. Youtube: DHL Blues
Das es keine Improvisation ist, liegt wohl daran, dass die Kenntnisse um zu Improvisieren noch nicht so tief "gesackt" sind, dass man frei und intuitiv über z.B. Akkordwechsel improvisieren kann. Irgendjemand schlaues hat mal gesagt: Man lernt das (Harmonielehre, Strukturen, Skalen etc) alles um es wieder zu vergessen! Soll heißen man ist so tief durchdrungen von dieser Materie, dass man sich keinen Kopf mehr machen muss. Das zu erreichen dauert meist Jahrezehnte...bei Genies auch a bisserl weniger. Ich kann dass nur beschränkt, wenn das Material nicht zu komplex ist.

Es gab irgendwo die Frage nach konkreterem. Also falls es jemanden interessiert und in sehr komprimierter Kurzform ohne U.P.-Attitude (das funktioniert für mich und einer vielzahl anderer Musiker so oder ähnlich):
Es gibt ja nicht nur die Improvisation wie im Jazz/Rock/Pop Bereich, welche auf z.B. der Funktionsharmonielehre basiert (also Material der Skala xy passt auf Akkord (oder Akkordfolge yz). Ich improvisieren oft "nur" rhythmisch oder akkordisch und dann ergeben sich daraus wiederrum evtl. obige "Trial and Error" Kompositionen. Irgendwein Motiv, Rhythmus, Akkordfolge verfestigt sich und man hat den Beginn für eine Komposition. Wenn ich mich in der o.g. Funktionsharmonischen Improvisation befinde, dann basiert bei mir alles, aber auch alles erstmal auf der "popeligen" Dur Tonleiter. Von diesem wunderbaren Konstrukt erhalten ich durch Reduktion die Pentatonik, diese ergänze ich zur Bluestonleiter. Von Dur zu Moll ist es gerade mal ein paralleler Schritt um die Ecke, die Kirchentonleitern (Modes) sind nix anderes als die Dur-Tonleiter ab einem anderen Start und Endpunkt entsprechenden den Stufenakkorden (alle haben ihren eigenen Klang und man sollte sich da sehr gut reinhören, irgendwann hört man dann "dorisch"). Von der natürlichen Moll Skala zu harmonisch und melodisch Moll sind es auch nur kleine Änderungen in der Tonfolge, die aber fast ein ganzes Universum an neuen Akkorden (oft alterierte) und Anwendungen bereithalten. All das - plus chromatische Wendungen, eine große Zahl abgekupferter Licks aus Blues, Jazz, Fusion und auch aus Genren, die man nicht soo mag, das Lernen von vielen Songs, Motiven und Wendungen (die auch mal schrägeres beinhalten HT-GT, GT Leiter, verminderte Arps....) haben sich dann zu meinem Improvisations-Konzept oder der Basis davon gesetzt. Durch viele Drills haben sich Automatismen (Akkord/Skalen-Beziehungen) gebildet, die man auch ab und an wieder überdenken und korrigieren muss, um nicht oftmals gleich zu klingen, die aber andererseit sehr hilfreich sind "ad Hoc mitspielen" zu können.
Bei mir hat es lange gedauert, bis es so gesackt ist, dass ich für meine OHren ganz angenehm improvisieren kann ohne "Denken" zu müssen.
Aber man lernt und wächst immer weiter und es macht irre Spaß jeden Tag etwas neues zu entdecken.
PS: Ich singe viel gleichzeitig beim Spielen und bin mir nicht sicher ob das innere Ohr oder die Finger "der Boss" sind, aber mich dünkt, dass ich so zu 99% sofort spielen kann, was ich in mir höre. Klar so richtig komplexe irre schnelle Sachen gehen auch mal in die Hose, aber meist passt das alles ganz gut! Also mein letzter Tipp: Gehörbildung, Melodien, Skalen, Intervalle, Arpeggien, Licks... einfach alles Mitsingen/Summen....
Schöne Grüße, Rolli
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docsteve
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Re: Welchen Stellenwert hat für euch die Improvisation?

Beitrag von docsteve »

Sehr gute Beschreibung, Rolli!

Die von Bream beschriebene Herangehensweise ist sicherlich keine Improvisation in diesem Sinne, weil das Tonmaterial vorgegeben und gleichbleibend ist. Er konnte übrigens auch anders; immerhin war Django sein Lieblingsgitarrist neben Segovia. Ich habe diese Form der Improvisation angeführt, weil es beim Improvisieren nicht ausschließlich darum geht, neue Töne zu vorgegebenen Harmonien / Melodien zu finden, sondern auch darum, eine Vorlage mit neuem Leben zu füllen. Da gibt es viele Wege, und plötzlich ist jemand ein Improvisateur, der sich nie dafür gehalten hätte - nicht wahr, Opa?

Man könnte jetzt noch differenzieren, ob auf dem Niveau "ich kann das Stück nicht nachspielen, also mach ich was eigenes draus" jetzt wirklich Improvisation über eine Vorlage ist. Da spielt m.E. sowohl das Ergebnis eine Rolle (Stichwort Britischer Blues als teilgelungene Nachahmung des amerikanischen, aus der dann Hard Rock als neue Form entsteht), als auch der Wille der Musiker (ich eigne mir die Vorlage an vs. ich kann das nicht und stümpere deshalb rum, Hauptsache, den Mädels gefällts). Aber sei's drum. Das ist übrigens ausdrücklich nicht als Herabwürdigung von Bluesopa gemeint. Meinem Lehrer habe ich damals auch meine eigenen Fassungen der Unterrichtsstücke präsentiert. Er sagte: Sehr schön, aber spiele es einmal so, wie es da steht, und dann so, wie du es für richtig hältst. Das waren meine ersten improvisatorischen Gehversuche :-)

Viele Grüße, Stephan
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tele
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Re: Welchen Stellenwert hat für euch die Improvisation?

Beitrag von tele »

Das es keine Improvisation ist, liegt wohl daran, dass die Kenntnisse um zu Improvisieren noch nicht so tief "gesackt" sind, dass man frei und intuitiv über z.B. Akkordwechsel improvisieren kann. Irgendjemand schlaues hat mal gesagt: Man lernt das (Harmonielehre, Strukturen, Skalen etc) alles um es wieder zu vergessen! Soll heißen man ist so tief durchdrungen von dieser Materie, dass man sich keinen Kopf mehr machen muss. Das zu erreichen dauert meist Jahrezehnte...bei Genies auch a bisserl weniger. Ich kann dass nur beschränkt, wenn das Material nicht zu komplex ist.
Also, ich habe die Theorie zwar im Kopf, aber nicht in den Fingern.
Deshalb kann ich nicht in Realtime improvisieren, sondern nur in absoluter Slowmotion und muss dann etwas, was ich mir in langsamer Improvisation erarbeitet habe, fixieren und einüben. Systematisch Improvisieren üben, dazu fehlt mir Zeit und Interesse!
Ein interessantes Buch für Notisten, die sich für Jazzimprovisation der vor-Bebop-Ära interessieren ist "Getting into Gypsy Jazz Violin" von Martin Noorgard.
Da wird anhand von Swing-Standards wie "Avalon" oder "Sheik of Araby" gezeigt, wie man von einer harmonisierten Melodie zu einer Improvisation kommt.
Schritte sind dabei: Variation der Melodie, "Inner Melodies", Solos aus Akkordtönen, Skalenimprovisation, Veränderung der Akkorde...
Ja,ja, in einem anderen Leben finde ich mal die Zeit, mir meine Mandoline zu schnappen und das Buch systematisch durchzuarbeiten...
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tele
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Re: Welchen Stellenwert hat für euch die Improvisation?

Beitrag von tele »

Von diesem wunderbaren Konstrukt erhalten ich durch Reduktion die Pentatonik, diese ergänze ich zur Bluestonleiter. Von Dur zu Moll ist es gerade mal ein paralleler Schritt um die Ecke, die Kirchentonleitern (Modes) sind nix anderes als die Dur-Tonleiter ab einem anderen Start und Endpunkt entsprechenden den Stufenakkorden (alle haben ihren eigenen Klang und man sollte sich da sehr gut reinhören, irgendwann hört man dann "dorisch"). Von der natürlichen Moll Skala zu harmonisch und melodisch Moll sind es auch nur kleine Änderungen in der Tonfolge, die aber fast ein ganzes Universum an neuen Akkorden (oft alterierte) und Anwendungen bereithalten. All das - plus chromatische Wendungen, eine große Zahl abgekupferter Licks aus Blues, Jazz, Fusion und auch aus Genren, die man nicht soo mag, das Lernen von vielen Songs, Motiven und Wendungen (die auch mal schrägeres beinhalten HT-GT, GT Leiter, verminderte Arps....) haben sich dann zu meinem Improvisations-Konzept oder der Basis davon gesetzt. Durch viele Drills haben sich Automatismen (Akkord/Skalen-Beziehungen) gebildet, die man auch ab und an wieder überdenken und korrigieren muss, um nicht oftmals gleich zu klingen, die aber andererseit sehr hilfreich sind "ad Hoc mitspielen" zu können.
Man kann die Sache aber auch weniger akademisch angehen: man besorgt sich irgendwelche illegalen Substanzen und setzt dann zu einer beseelten Kollektivimprovisation an, ähnlich wie Grateful Dead China Cat Sunflower I Know You Rider 4 17 1972 "that's how great musicians communicate!" "The Chateau Lafite Rothschild of guitar and minimal elegance!" "Always be in my heart ..........LOVE THEM!!!!!!!!!!!"
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wuwei
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Re: Welchen Stellenwert hat für euch die Improvisation?

Beitrag von wuwei »

RB hat geschrieben:Improvisation ist Ausdruck der höchsten Kunst. Wer es nicht einmal in Ansätzen kann, dem fehlt ein wesentliches Element musikalischen Verständnisses. Ich erwarte das nicht von einem Klassiker, da ist eine ganz andere Herangehensweise [...]
Dieser Eindruck mag sich bei Betrachtung der aktuellen "Klassikszene" tatsächlich aufdrängen. Das war jedoch nicht immer so und ist, wie mir scheint, vor allem die Folge einer einseitigen Rezeptionsgeschichte und deren Zementierung in einer ideologisierten Lehrmeinung.

So waren beispielsweise einem J.S. Bach selbst 400 km Fußmarsch (einfach!) nicht zu weit, um wenigstens einmal sein vielbewundertes Vorbild, Dieterich Buxtehude, spielen zu hören - was er wohl kaum der Mühe für Wert erachtet hätte, wenn er eine auf Punkt und Komma notengetreue Wiedergabe der Partituren erwartet hätte...

Der Streit darüber, was eine gelungene Improvisation sei, hat übrigens Tradition. In Jazzkreisen hat dabei der Fall Davis/Monk einige Berühmtheit erlangt. Hintergrund ist der legendäre Auftritt von Miles Davis beim Newport Jazzfestival '55, von dem es auch einen Mitschnitt gibt. Davis' Improvisation über 'Round Midnight sorgte unmittelbar für sein Comeback, bzw. überhaupt erst für seine Anerkennung als stilbildender Musiker. Hörer und Kritiker waren gleichermaßen enthusiasmiert und des Lobes voll. Alles klar - oder?

Nein, denn Thelonious Monk (der als Pianist mitwirkte und immerhin Autor des Stückes ist) war alles andere als zufrieden mit Davis' Spiel. Er beschimpfte und schmähte Miles Davis, da dieser das Stück völlig falsch gespielt habe. Sein unumstößliches Credo war, daß eine Improvisation so eng wie möglich an der Melodie/am Thema bleiben müsse. Willkürliche Abschweifungen, Licks aus dem Baukasten oder gar Skalenspiel waren ihm ein Greuel. Also alles wie gehabt...

Herzlichen Gruß, Uwe
"A Harf’n g’hert in ka Symphonie;
i’ hab’ ma nöt helf’n könna."
(Anton Bruckner über seine 8.)
fatfinger

Re: Welchen Stellenwert hat für euch die Improvisation?

Beitrag von fatfinger »

Das war jedoch nicht immer so und ist, wie mir scheint, vor allem die Folge einer einseitigen Rezeptionsgeschichte und deren Zementierung in einer ideologisierten Lehrmeinung.
Ich bin mir gar nicht so sicher ob das überhaupt der Fall ist, und nicht vielmehr eine Folge der schrägen Selbstdarstellungen der Musikkritiker-Riege.
Ich plege schon seit langem eine Obession bzgl der Beethoven Sonaten für Violine und Klavier (na gut, nicht nur die :oops: ), mittlerweile habe ich über zwanzig davon. Manche finde ich OK, manche hammergeil, manche enttäuschend. Und keine ist wie die andere- da wird Rhythmik, Phrasierung variiert und von blinder Notentreue kann auch keine Rede sein. Typisch für Kammermusik, meiner Wahrnehmung nach. Es wird improvisiert, nur eben nicht im Sinne wie das in Genres verstanden wird welche quasi Improvisation als Grundlage des Musikstücks verstehen.

"Grosse" Improvisatoren in der Klassik sind für mich zB Martha Argerich und Gidon Kremer, die Brüder Capucon, nur um mal ein paar Bekanntere zu nennen.
Ganz vorne mit dabei in der "anderen Welt" Julian Lage als Solist, wie ich meine. Alles Geschmackssache, logisch.

Um mal auf die ursprüngliche Frage zurückzukommen, welchen persönlichen Stellenwert Improvisation hat, klare Antwort: Kommt darauf an. :p
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RB
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Re: Welchen Stellenwert hat für euch die Improvisation?

Beitrag von RB »

Das geht ein wenig durcheinander. Improvisation und Interpretation sind verschiedene Dinge.
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wuwei
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Re: Welchen Stellenwert hat für euch die Improvisation?

Beitrag von wuwei »

Das sehe ich auch so. Allerdings hat z.B. ein (zugegeben erstklassiger) Dirigent wie Günter Wand auch nur den Anspruch auf eine Interpretation durch den/die ausführenden Musiker eines klassischen Werkes entschieden zurückgewiesen.

Herzlichen Gruß, Uwe
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Re: Welchen Stellenwert hat für euch die Improvisation?

Beitrag von tomis »

upps
verstehe ich nicht
was meinst damit ?
mit Blues und Gruß
Thomas
emptypockets
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Re: Welchen Stellenwert hat für euch die Improvisation?

Beitrag von emptypockets »

RB hat geschrieben:Das geht ein wenig durcheinander. Improvisation und Interpretation sind verschiedene Dinge.
Wobei es in der Klassik da Grenzbereiche gibt.

Z.B. durch die Angabe des Komponisten "ad libitum", durch die der Interpret ausdrücklich zur Improvisation aufgefordert wird.

Ad libitum dient aber auch zu einer ziemlich weitreichenden Auslegung der Interpretation eines durchkomponierten Werkes, die sehr dicht in die Nähe einer Improvisation geführt werden kann.
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