Spieltechniken - Fingerstyle - Fingerpicking - Chord Melody - KLassisches Spiel etc

Alles, was mit akustischer Gitarrenmusik zu tun hat und sonst nirgends hineinpaßt

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wuwei
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Re: Spieltechniken - Fingerstyle - Fingerpicking - Chord Melody - KLassisches Spiel etc

Beitrag von wuwei »

tele hat geschrieben:
Das läßt sich nach meinem Verständnis in erster Linie darauf zurückführen, daß man im Blues regelmäßig mit 3er-Rhythmen zu tun hat (6/8, 12/8), bzw. mit ternärer Phrasierung, die sich nunmal mit drei Fingern (resp. Daumen + zwei Finger) wesentlich "punchiger" und grooviger spielen läßt, als mit vier Fingern. Da wäre der vierte Finger nur im Weg, weil er bei jeder Dreiergruppe zu einer anderen Fingerfolge führt!
"Ternäre Rhythmen = 3 Finger" halte ich jetzt für eine etwas gewagte Theorie.
Gemeint war lediglich, daß ich es eigentlich für selbstverständlich halte, den rhythymischen Erfordernissen eines Stückes durch eine dafür geeignete Anschlagsart (was beim Picking eben auch die Anzahl der zu verwendenden Finger einschließt) Rechnung zu tragen. Der allgemeinen Verblüffung darob meine ich allerdings entnehmen zu können, daß es sich hierbei wohl doch eher um eine meiner skurrilen Ideen handelt. Macht aber nix, schließlich ist jeder seines eigenen Rythmus' Schmied. :wink:
Jack Isidore hat geschrieben:
wuwei hat geschrieben:Und last but not least ein Punkt, den Ulrich Peperle immer wieder anspricht, nämlich die körperliche Komponente (der Bewegungsvorgang, der einen wesentlichen Anteil am klingenden Ergebnis hat und sich oft weder aus der Notation, noch aus einem etwaigen Fingersatz erschließen läßt) im Fingerstyle, was es so in der Klassik (wo die korrekte Interpretation ausschließlich durch das mentale Erfassen des musikalischen Gedankens gewährleistet ist) gar nicht gibt.
habe ich das jetzt richtig verstanden: den "Bewegungsvorgang", mit dem eine Menge Klang und Ausdruck erzeugt wird, soll es in der Klassik nicht geben? Das meint ihr aber jetzt nicht ernst, oder?
Hallo Jack,

da an einer Gitarre, die von alleine spielt, und der der Gitarrist nur noch regungslos zuzusehen braucht, zwar fieberhaft gearbeitet wird, diese jedoch meines Wissens noch nicht zur Marktreife gelangt ist, mußt Du wohl tatsächlich etwas falsch verstanden haben. :wink:

Auch kann ich Dir leider nicht sagen was wir meinen, aber was ich meine läßt sich in Kurzform etwa so ausdrücken: Einen klassischen Gitarristen erkenne ich 100m gegen den Wind (was ich weder auf- noch abwertend verstanden wissen will)! Und immer wenn ich darüber nachdenke woher das kommt, lande ich unweigerlich in einem Themenkreis, der auf's Engste mit dem verbunden ist, was ich unter Timing verstehe. Soweit ich Ulrichs Ausführungen zur Bedeutung von Bewegungsabläufen in modernen (nicht-klassischen) Gitarrenstilen verstehe, decken sich diese so weitgehend mit dem, was ich mir selbst zusammengebraut habe, daß ich mir deshalb erlaubt habe, darauf Bezug zu nehmen.

Dem geneigten Hörer zur Veranschaulichung:

https://www.youtube.com/watch?v=4MD2-yqIWco" onclick="window.open(this.href);return false;" onclick="window.open(this.href);return false;

https://www.youtube.com/watch?v=ykhV947WnKA" onclick="window.open(this.href);return false;" onclick="window.open(this.href);return false;

Zwei Bearbeitungen von Sonny Rollins' St. Thomas. Die erste von Michael Langer, der imho selbst beim (super gespielten!) Solopart mit bluesig-rockigen Stilelementen eben wie ein klassischer Gitarrist klingt. Die zweite von Eric Lugosch, einem Fingerstyler.

Es geht mir bei dieser Gegenüberstellung nicht um besser oder schlechter, oder wie oder was, sondern einfach um die Art des Zugriffs, die Attitüde. Während ein wackerer klassischer Gitarrist (ausreichendes spieltechnisches Vermögen vorausgesetzt) Langers Arrangement auch ohne Kenntnis von dessen eigener Interpretation, also rein auf die Notation gestützt, wohl ziemlich originalgetreu spielen könnte, halte ich das bei Lugosch's Version für ausgeschlossen, obwohl sie auf den ersten Blick einfacher erscheint.

Herzlichen Gruß, Uwe
"A Harf’n g’hert in ka Symphonie;
i’ hab’ ma nöt helf’n könna."
(Anton Bruckner über seine 8.)
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docsteve
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Re: Spieltechniken - Fingerstyle - Fingerpicking - Chord Melody - KLassisches Spiel etc

Beitrag von docsteve »

Bewegunsabläufe sind nicht dasselbe wie Timing. Ich hatte Ulrich so verstanden, dass in Fingerstyle-Arrangements häufig die Bewegungsabläufe ein Eigenleben annehmen, die sie in der klassischen Technik nicht haben. Wenn Michael Hedges und seine Epigonen tappen, slappen, Flageoletts und Slides einbauen, dann ist das häufig von der Bewegung der Hände motiviert, bzw. die Bewegung läßt sich nicht von der Musik trennen. Aber vielleicht erklärt er sich selbst dazu.

Das Timing von Klassikern egal welchen Instruments ist in der Tat fundamental anders als das von Populärmusikern (wozu ich auch Fingerstyle a la Lugosch zähle). Darum bekommen die Klassiker ein Stück auch nicht zum Swingen, selbst wenn sie jeden Fliegendreck spielen und hinterher Stein und Bein schwören, sie hätten das erste Achtel immer exakt doppelt so lang wie das zweite gespelt. Ja eben, drum :lol:

Viele Grüße, Stephan
Ulrich Peperle
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Re: Spieltechniken - Fingerstyle - Fingerpicking - Chord Melody - KLassisches Spiel etc

Beitrag von Ulrich Peperle »

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RB
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Re: Spieltechniken - Fingerstyle - Fingerpicking - Chord Melody - KLassisches Spiel etc

Beitrag von RB »

Das Ding in D hatte ich gemeint. Allerdings diente meine Bemerkung der Auflockerung. Meine Kenntnisse in der Musik beschränken sich darauf, zu wissen, welche Töne, die ich spiele, passen und welche nicht.
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tired-joe
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Re: Spieltechniken - Fingerstyle - Fingerpicking - Chord Melody - KLassisches Spiel etc

Beitrag von tired-joe »

Ulrich Peperle hat geschrieben: Somit ist es auch durchaus legitim, Gitarristen wie Julian Bream und John Hurt als Fingerpicker zu bezeichnen, die allerdings durch ihr Repertoire unterschiedliche Fingerstyles vertreten. Damit wäre doch wenigstens auf einem ideologischen Nebenkriegsschauplatz Friede auf Erden geschaffen ;) ...
Jeder Fingerpicker ist einem bestimmten Stil, im speziellen Fall also einem Fingerstil zuzuorden? Mit dem Kompromiss kann ich leben :)

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tele
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Re: Spieltechniken - Fingerstyle - Fingerpicking - Chord Melody - KLassisches Spiel etc

Beitrag von tele »

Klassische Gitarre bezeichnet zunächst mal ein Repertoire, das deutlich von dem Repertoire unterschieden ist, das gemeinhin mit Fingerstyle gemeint ist.
Klingt im ersten Augenblick einleuchtend, wenn man aber ein bisschen darüber nachdenkt, kommt man unweigerlich zur Frage, wo ziehe ich die Grenzen?

Gehören Latin-Stücke zu diesem Rertoire? Celso Machado
Oder französische Chansons bearbeitet für Konzertgitarre?La foule
Oder Led Zeppelin Songs? Stairway

Je mehr ich darüber nachdenke, umso mehr komme ich zum Schluss, dass klassische Gitarre eine bestimmte technische Herangehensweise an einen klar definierten Instrumententypus bezeichnet, der man letztlich fast jede Art von Musik gefügig machen kann: Weihnachtslieder, Jazz, Blues, Folklore...
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tomis
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Re: Spieltechniken - Fingerstyle - Fingerpicking - Chord Melody - KLassisches Spiel etc

Beitrag von tomis »

@ulrich
herrlich, vielen dank
mit Blues und Gruß
Thomas
jürgenM

Re: Spieltechniken - Fingerstyle - Fingerpicking - Chord Melody - KLassisches Spiel etc

Beitrag von jürgenM »

@tomis,
ich mag Ulrichs Kommentare auch gern lesen aber was ein "emanzipierter Parameter einer musikalischen Struktur" sein soll...freie Improvisation?

Gruß...j.
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RB
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Re: Spieltechniken - Fingerstyle - Fingerpicking - Chord Melody - KLassisches Spiel etc

Beitrag von RB »

Ich vermute, daß das mit er musikalischen Emanzipation struktureller Parameter einhergeht.
jürgenM

Re: Spieltechniken - Fingerstyle - Fingerpicking - Chord Melody - KLassisches Spiel etc

Beitrag von jürgenM »

@RB,
ach so, na dann... ;-)
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RB
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Re: Spieltechniken - Fingerstyle - Fingerpicking - Chord Melody - KLassisches Spiel etc

Beitrag von RB »

Entschuldigung, ich hatte die musikalische Emanzipation parametrischer Strukturen gemeint.
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tele
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Re: Spieltechniken - Fingerstyle - Fingerpicking - Chord Melody - KLassisches Spiel etc

Beitrag von tele »

Fingerstyle wird teilweise synomym verwendet, bezeichnet aber im Wortsinn eine stilistische Kategorie, bezieht sich somit auf die jeweilige Stilistik des Fingerpicking und dient damit der Abgrenzung zu Musikstilen, in denen die Gitarre traditionell (d.h. auch: in der allgemeinen Publikumswartung!) mit dem Plektrum gespielt wird.
Diese Definition schließt ein gelegentliches technisches Crossover nicht aus. So verwendet z.b. Mark Knopfler Fingerpicking in der Rockmusik, Jaco Abel spielt einen traditionell orientieren Flamenco auf der E-Gitarre mit Plektrum. Beide bleiben aber musikalisch dem Idiom des jeweiligen Musikstils verhaftet, so dass man hier nur bedingt von einer neuen stilistischen Dimension sprechen kann ("Fingerstyle-Rock" bzw. "Plectrumstyle-Flamenco").
"Fingerpicking" im Sinne eines afro-amerikanischen Gitarren-Stils (mit dem charakteristischem "thumb picking" im Ragtime- bzw. Stride Piano-Stil) ist demnach eine Subspezies der Kategorie "Fingerstyle".
Somit ist es auch durchaus legitim, Gitarristen wie Julian Bream und John Hurt als Fingerpicker zu bezeichnen, die allerdings durch ihr Repertoire unterschiedliche Fingerstyles vertreten. Damit wäre doch wenigstens auf einem ideologischen Nebenkriegsschauplatz Friede auf Erden geschaffen ;) ...
Kann man so rein argumentativ nichts gegen einwenden, aber "ausm Bauch raus" gehört für mich zu "Fingerstyle" eine gewisse Dominanz einer gepickten akustischen Gitarre in der Musik als Ganzes. Wenn Jerry Donahue seine Tele mit Fingern und Thumbpick malträtiert, ist das technisch gesehen "Fingerpicking",
aber deswegen gleich "Fingerstyle"?https://www.youtube.com/watch?v=YM2T6rS6PJw

Wenn Richard Thompson sich auf seiner Lowden aber im Hybridpicking begleitet, ist das für mein Verständnis Fingerstyle-Musik, auch wenn ein Plektrum beteiligt ist.https://www.youtube.com/watch?v=HApy-Xoix-g

Wie gesagt, rein gefühsmäßige Abgrenzung.
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Ulrich Peperle
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Re: Spieltechniken - Fingerstyle - Fingerpicking - Chord Melody - KLassisches Spiel etc

Beitrag von Ulrich Peperle »

[Beitrag vom Verfasser entfernt]
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docsteve
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Re: Spieltechniken - Fingerstyle - Fingerpicking - Chord Melody - KLassisches Spiel etc

Beitrag von docsteve »

Muss man nicht. Es ist auch ein Fehler zu meinen, Begriffe ließen sich von den Rändern her definieren.

Man kann lange darüber diskutieren, ob XY Klassik ist oder was anderes, aber dass Beethoven klassische Musik ist, wird niemand enrstlich bestreiten. Wo du dann die Grenze ziehst ... ja mein Gott ...

Der Philosoph Wittgenstein hat den Begriffder "Familienähnlichkeit" eingeführt, um die Tatsache zu beschreiben, dass Erscheinungen, die scheinbar kein Merkmal gemeinsam haben, trotzdem zur selben Kategorie gehören. A hat die Merkmale ABCDE, Z hat die Merkmale FGHIJ. Dazwischen liegen B (BCDEF), C(CDEFG), D (DEFGH), E (EGHIJ), F (AEFGH) usw. Jeder besitzt 5 Merkmale aus der Gruppe ABCDEFGHIJ, aber keiner besitzt alle und keine zwei haben dieselben Merkmale. Anders gesagt: alle Mitglieder der Familie ähneln sich irgendwie untereinander, auch wenn zwei sich vielleicht gar nicht ähnlich sehen.

Think!

Viele Grüße, Stephan
jürgenM

Re: Spieltechniken - Fingerstyle - Fingerpicking - Chord Melody - KLassisches Spiel etc

Beitrag von jürgenM »

@Ulrich,
danke für die Erklärung...und so ausführlich. Ich habe Deinen Text also noch mal neu gelesen und verdammt: Ist solch ein "rotziges"Spiel Deiner Ansicht nach erlaubt oder eine Zeiterscheinung, mit der man leben muss?

@wuwei,
"St. Thomas", ich komme aus der Bläserecke, spiele seit fast 4 Jahren Gitarre und bin mit meinen selbstgewählten Stücken etwas unglücklich, weil über/unterfordert.
Deshalb habe ich mir letzte Woche ein nettes Stück ausgesucht, was ich zum ersten mal selbst für Gitarre arrangiert habe: "St.Thomas"....dann Deine Soundbeispiele...
Beide Beispiele finde ich furchtbar. Das ist doch beides Gitarrensport. ...schneller, höher, weiter...denkt eigentlich noch einer von denen an die Zuhörer?

Gruss...j.
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