Klassik? Fingerpicking?

Für alle, die Hemmungen haben "Anfängerfragen" woanders zu stellen. Traut Euch! Vielleicht kann jemand helfen.

Moderator: RB

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Iris
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Klassik? Fingerpicking?

Beitrag von Iris »

Hallo Gitarreros,
ich stell jetzt mal die Frage, die mich gerade beschäftigt ins Neuling- Forum, weil hier so wenig los ist (und weil ich vom Können her auch hierhin gehöre).
Im Moment übe ich im Unterricht so einfache klassische Stücke wie Andantino in G von Carulli und Allegro in A-Moll von Giuliano.
Es macht mir Spaß, diese Stücke zu üben. Von der Spielweise her kommen sie mir aber gar nicht viel anders vor, als zum Beispiel die Übungs- Stücke in Ulli Bögershausens Fingerpicking- Buch "Von Anfang an".
Wo liegen denn nun genau die Unterschiede zwischen einem klassischen Stück und einem Fingerpicking- Stück?
Ist ein klassisches Stück einfach "alt" und ein Fingerpicking-Stück "modern"? Oder "muss" ich klassische Sachen auf Nylonsaiten spielen und Fingerpickingsachen auf Stahlsaiten? (Ich spiele das Andantino und das Allegro aber auf Stahlsaiten und ich finde, es klingt auf meiner Lowden wunderschön.)
Oder darf ich klassische Sachen nur nach Noten spielen und nicht nach Tabulatur?
Immer vergesse ich, meinen Gitarrenlehrer danach zu fragen und nun sind ja Ferien. Aber bestimmt kann mich einer von euch aufklären.
Gruß Iris
:?:
Bernd C. Hoffmann
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Re: Klassik? Fingerpicking?

Beitrag von Bernd C. Hoffmann »

Hallo Iris,

"klassisch" zu lernen sagt einfach nur aus, daß man nach Noten lernt, die Sprache der Musik sozusagen. Es kommen fast jeden Monat bei irgendwelchen Verlagen neue Klassikkompositionen heraus. Fingerpicking sagt lediglich aus, daß in der Anschlagshand hauptsächlich wiederholte Zupfmuster (mit wechselnden Akkorden) gespielt werden. Dies wurde zuerst dort gemacht, wo die Gitarren Stahlsaiten hatten. Irgendwann wurden auch fertige Solostücke auf Westerngitarren gespielt...

Ich kenne zwar die Literatur von Bögershausen nicht, aber die Tatsache, daß die Stücke Dir wie klassische Stücke erscheinen, liegt daran, daß in Lehrwerken elementare Bewegungsmuster für beide Hände vermittelt werden. Nur existiert die klassische Literatur (Sor, Giuliani, Carulli, Carcassi, Aguado etc.) schon viel länger. Darum sind die Bewegungsabläufe, hauptäschlich der Anschlagshand, in den jeweiligen Akkorden bei Bögershausen identisch. Das gilt allgemein für jede Anfangsliteratur (auch bspw. Tommi Flint). Die späteren Stücke basieren nicht mehr im Schwerpunkt auf einzelne Anschlagsarten sondern sind i. d. R. von komplexerer Natur als diese einfachen etüdenhaften Stücke. Diese (interessanteren) Stücke sind ganz einfach (meist) Solostücke. Während bei klassischen Stücken fast immer eine Komposition zugrunde liegt, entstehen Fingerstyle-Solos häufiger aus der Improvisation. Ob beispielsweise Bögershausen oder P. Finger ihre Stücke auf einer Konzert- oder Westerngitarre spielen ist letztlich eine Geschmacksfrage und damit egal. Leo Kotke hat ja auch Bach´s Bourrée auf einer Westerngitarre gespielt, und es klingt für meinen Geschmack gut. - Also mach Dir keinen dicken Kopp um die Sache, so wichtig ist das nicht.
Liebe Grüße
Bernd
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Gast

Beitrag von Gast »

Hallo Bernd,
danke für deine ausführliche Antwort - nun bin ich wieder ein wenig schlauer geworden. :)

Einen Kopf mache ich mir deswegen nicht, aber es hat mich eben interessiert.
Liebe Grüße!
Iris
Christine
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Beitrag von Christine »

Na, da bin ich aber froh über Frage und Antwort. Das hat mich auch schon die ganze Zeit beschäftigt ...

Viele Grüße
Christine
jo
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Beitrag von jo »

Jetzt habe ich eine ganze Woche daran rumgedacht, wie man die Frage zu fingerpicking beantworten kann. Nun hat jochen in seinem thread zu 'Phrasierung, Betonung beim langsamen üben' einen schönen link erwähnt (www.acousticfingerstyle.com), und da steht's:

Fingerstyle Defined: "FINGER-PICKING is a Southern-based American instrumental guitar style. Many people incorrectly use the term "Finger-Picking" to mean any right hand style in which the fingers pluck or pull strings. Most of these styles should be simply called "plucking styles." Finger-Picking is a specific and complex melody style which allows one guitar to do the work of two by placing a treble-string melody over a constant bass-string accompaniment. Most Finger-Pickers use a steel-string guitar which is preferable both for its bright, penetrating sound and for its "quicker" narrow neck."
Bob Baxter, 1967


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Jo
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RB
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Beitrag von RB »

Ziemlich alberne Definition:

Finger-Picking ist eine spezifische und komplexe Art, Melodien zu spielen, bei dem eine Gitarre die Arbeit von zweien verrichtet, indem eine Melodie auf den Diskantsaiten über eine konstante Bass-Begleitung gesetzt wird.

Diese Definition trifft ohne weiteres auch auf die "Musette in D" von Johann Sebastian Bach zu, zu finden in Anna Magdalenas Notenbüchlein. All das, wa der Autor beschreibt, ist dort vorhanden. Somit entpuppt sich die Behauptung, es handele sich bei Fingerpicking um einen "American southern-based guitar style" als eine blosse Schimäre.

Es sei denn, es gibt etwas Spezielles, spezifisches. Der Autor erwähnt zwar etwas "spezifisches", beschreibt es aber nicht.

Hier ist eine andere Definition, die ich im web gefunden habe:
There have been several attempts to define the term “fingerpicking”. A layman could interpret it as a way of playing guitar with the fingers of the right hand instead of strumming it with a flatpick. But this would include the different kinds of playing guitar like classical pieces or flamenco. Annother definition I once read said, that fingerpicking meant playing guitar with the fingers of the right hand in a way that there is a bass accompaniment (played with the thumb) and treble lines or chords (played with the fingers of the right hand) where the bass accompaniment and the treble move independently. Well, this would include classical pieces too. You just have to remember the “Bourre” of Bach. There seems to be something special with what is called “fingerpicking”. I would describe it as

1. A way to play the guitar with the fingers of the right hand
2. including bass lines and treble lines or chords that move independently
3. Usually (but not necessarily) played on steelstring guitars
4. with some typical elements such as a bass line playing constant quarters or eighths as a backing and syncopations of the treble

As all attempts to define something that’s called a “style” the definition given above sucks in a way. All definitions are usually too narrow for a phenomenon as colourful and rich as music. There is a huge number of great guitarists. Many of them play styles that have elements of fingerstyle (as defined above) but are different on the other hand.
Die gefällt mir besser.
jo
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Beitrag von jo »

Ich finde jede Definition dieser Art hat Lücken - wie Du ja auch sagst, RB.
Für mich ist das typische am 'Fingerpicking' auf jeden Fall

a. die Western- oder Stahlsaitengitarre, meist mit Einsatz eines Daumenpicks
b. der konstante Wechselbass
c. das gleichzeitige Melodiespiel mit den anderen Fingern
d. eine musikalische Tradition und ein Repertoire, die sehr stark von amerikanischen Gitarristen geprägt ist.

Das sind nur typische Merkmale, und man kann das streng genommen als 'Definition' nicht brauchen, denn man findet sicher tausend Ausnahmen (Muriel Anderson spielt Fingerpicking auf klassischer Gitarre, Kottke klassische Stücke auf der Westerngitarre uvm.).

Das Fingerpicking, wie ich es verstehe, kommt definitiv in seinen Wurzeln aus Amerika. Darüber hinaus sind in den letzten 20 Jahren Spieler dazugekommen, die aus dem 'Fingerpicking' kommen, aber weit über es hinausgegangen sind (Michael Hedges, Preston Reed, Michael Gulezian u.v.a.), so dass meist gar nicht mehr 'gepickt' wird und diese Musik konsequenter Weise auch nur noch 'Fingerstyle' heißt.

Vielleicht sollte man diese Bezeichnung eher historisch verstehen. Irgendeiner hat das in Amerika zwischen 1960 und 1970 wohl als erster gesagt, etwa für Doc Watson oder Merle Travis (Travis- oder Finger-Picking), und dabei ist es geblieben. Da kennt sich sicher jemand anderes besser aus als ich.
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RB
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Beitrag von RB »

Das erste, mir bekannte Fingerpicking-Stück scheint tatsächlich von Johann Sebastian Bach zu stammen:

http://www.fingerpicker.de/MP3/musette.mp3

Hör Dir den konstanten Wechselbass an.......... und dann kam lange nichts und dann kamen die vielen Amerikaner.

Nee aber mal ohne Scherz: Ich glaube, das mit der US-Tradition und dem dadurch geprägten Repertoire trifft die Sache wohl vielleicht am besten.
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