Hallo zusammen!
Bin zwar kein "crack", aber "Wohltemperierte Stimmung" ist ein Reizwort, das seine Wirkung bei mir selten verfehlt. Mein Nickname wird also bereits beim ersten Post einer harten Probe unterzogen.
jafko hat geschrieben:Erst 1691 entwickelte der Organist und Musiktheoretiker Andreas Werckmeister die heute gebräuchliche „Wohltemperierte Stimmung“
Der arme Werckmeister kann sich ja nun nicht mehr wehren, aber die bei uns gebräuchliche "
gleichschwebend temperierte Stimmung" ist alles andere als "wohltemperiert", welcher Begriff eben den Versuch eines Ausgleichs zwischen Wohlklang (frei von Schwebungen!) und erstrebter Stimmungsflexibilität zum Ausdruck bringen soll. Die gleichschwebend temperierte Stimmung wurde also nicht von Werckmeister entwickelt, und andersherum werden Werckmeisterstimmungen (deren es mehrere gibt) heutzutage allenfalls von Originalklangensembles verwendet. Auf einem nach heutiger Manier ge-(ver-)stimmten Klavier wäre dem J.S. Bach wohl nichts mehr eingefallen.
Grundsätzlich läßt sich sagen, daß die gleichschwebend temperierte Stimmung eine Art Prokrustesbett für musikalische Töne darstellt, weil jede Oktave willkürlich in 12 gleichgroße Tonschritte unterteilt wird (per Definition in Halbtonschritte zu jeweils 100 Cent = 1200 Cent pro Oktave), und die naturgegebenen Intervalle so verbogen werden, daß sie hinein passen. Bei dieser Methode bleiben (von Prim und Oktave abgesehen) nur Quinten und Quarten akzeptabel in Stimmung (Abweichung jeweils 2 Cent, bei maximal möglicher Abweichung von 50 Cent). Für die anderen Intervalle schaut's aber schlecht bis sehr schlecht aus.
Und für unsere Ohren auch, denn wir hören nicht "temperiert", sondern natürlich! Das bedeutet: das Ohr ist beim Hören von Musik in temperierter Stimmung ständig damit beschäftigt herauszufinden, welches Intervall denn eigentlich gerade gemeint ist. Ein durchschnittlich (un-)geschultes Ohr kommt durch dieses erzwungene "Zurechthören" ziemlich schnell an seine Leistungsgrenze, sodaß keine Zeit mehr bleibt, die musikalische Struktur komplexerer Werke in ihrer Gesamtheit aufzunehmen und zu verarbeiten - man findet die Musik also abstoßend, oder hält sich gar für unmusikalisch, weil man nicht versteht, was sich da "abspielt". Hoch lebe der C-Dur-Dreiklang!
Die Notwendigkeit zur Entwicklung eines von den Naturtönen abweichenden Stimmsystems entstand übrigens erst durch das Aufkommen der Tasteninstrumente. Die früher gebräuchlichen bundierten Saiteninstrumente (Lauten und Gamben) waren ja, dank flexibler Bünde, umstimmbar, und Blasinstrumente gab und gibt es, wie jafko bereits schrieb, in verschiedenen Stimmungen.
Die besondere Schwierigkeit eine Gitarre "korrekt" temperiert zu bundieren (und zu stimmen), hängt mit dem Terzabstand zwischen der g- und der h-Saite zusammen, da die große Terz in unserem temperierten System sehr falsch liegt (über 25% der max. mögl. Abw.). Bei bundierten Bässen beispielsweise, die auch als 6-saiter nur in Quarten gestimmt werden, taucht das Problem deshalb so nicht auf.
Um eine Gitarre zu temperieren, und dabei sowohl freie Saitenwahl, als auch verschiedene Stimmungen zu ermöglichen, reichen die "einfach gewellten" Bünde nicht aus. Es müßte jedes Bundstäbchen aus 6 Einzelteilen bestehen (ähnlich den Saitenreitern von E-Gitarren), die unabhängig voneinander verschiebbar sind. Sowas ist schon vor mehreren Jahrzehnten von einem deutschen Gitarrenbauer entwickelt und gebaut worden (leider fällt mir dessen Name nicht mehr ein).
Allerdings fragt sich, was der ganze Aufwand bringt. Die Gitarre ist dann zwar temperiert, klingt aber ebenso falsch wie jetzt - nur anders falsch.
Herzliche Grüße,
Uwe