Gitarre mit versetzbaren Bünden

Alles über akustische Gitarren für Stahlsaiten

Moderator: RB

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scifi
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Gitarre mit versetzbaren Bünden

Beitrag von scifi »

Warum ist da keiner früher drauf gekommen?
http://www.youtube.com/watch?v=MYK_PF9WTRE

Damit kann man endlich auch auf der Gitarre türkische/arabische Maqam Musik spielen, was sonst meiner sehr bescheidenden Erfahrung nach nur bei ganz wenigen Stücken geht, die halt zufällig keine Viertel- oder sonstwie Töne benötigen oder wo diese ersetzt werden. Mich würde alleine die Orientierung auf dem Griffbrett aber wohl auf Jahre hinaus völlig überfordern ;-)

Nebenbei ist der Herr ein absolut genialer Gitarrist.

(Wer sich mal als Europäer eine wirkliche musikalische "Hirnverrenkung" antun möchte: http://de.wikipedia.org/wiki/Maqam_(Musik) )
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docsteve
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Beitrag von docsteve »

Gab es mal, nannte sich Laute... und die musikalische Entwicklung im Abendland lief zur gleichschwebenden Stimmung, also waren versetzbare Bünde entbehrlich.

Ich will die Leistungen des Gitarristen / Erbauers gar nicht herabwürdigen, aber der Anwendungsfall ist in unserer Gegend nur selten gegeben. Um aus dem angeführten Wikipedia-Artikel zu zitieren: "Innerhalb der seit Johann Sebastian Bach in Mode gekommenen Wohltemperierung ist der physikalisch korrekte kleine Unterschied zwischen Leimma und Apotome für das europäisch sozialisierte Ohr verloren gegangen." Ergo müssen wir die Mikrotöne auf unseren Instrumenten auch nicht darstellen. In anderen Kulturen sieht das natürlich anders aus.

Viele Grüße, Stephan
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DiSt
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Beitrag von DiSt »

Na ja, das mikrotonale Dingens ist ja schon um Einiges flexibler als eine Laute mit "gebundenen" Bünden - immerhin kann man (so man zu müssen glaubt) saitenweise verstellen und auch noch zusätzliche Bünde beliebig einfügen. Wie einer der youtube-Kommentatoren nicht ganz zu Unrecht bemerkt, wäre fretless eine deutlich einfachere (wenn auch etwas anders klingende) Variante.
Dieter
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scifi
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Beitrag von scifi »

DiSt hat geschrieben:Na ja, das mikrotonale Dingens ist ja schon um Einiges flexibler als eine Laute mit "gebundenen" Bünden - immerhin kann man (so man zu müssen glaubt) saitenweise verstellen und auch noch zusätzliche Bünde beliebig einfügen. Wie einer der youtube-Kommentatoren nicht ganz zu Unrecht bemerkt, wäre fretless eine deutlich einfachere (wenn auch etwas anders klingende) Variante.
Da wäre man dann fast beim Oud. Klingt halt nicht so "knackig" und ich bin mir auch nicht sicher, ob man ohne Frets eine so saubere Intonation hinbekommt, wenn man mehrere Saiten gleichzeitig greift und klingen lässt.
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Liederbolt
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Beitrag von Liederbolt »

Der Musiktheoretiker und Lautenvirtuose Vincenzo Galilei (Vater von Galileo), polemisierte 1584 gegen die sogenannten "Tastini". Das waren kleine Stückchen Darm, die zwischen die Bünde geklebt wurden um z.B. in einer mitteltönigen Stimmung einen Ton als es und dis variabel zu machen. Er empfahl für Lauten eine Einrichtung, die rechnerisch der modernen Gleichstufigkeit sehr nahe kam.

Habe mal selber so zum Spaß auf meiner Laute einen Extra-Bund so in der Mitte vor dem Ersten geknüpft - harmonisch kaum zu gebrauchen klang es melodisch aber besonders in der Abwärtsbewegung in "Zigeuner-Dur" und phrygisch auf "d" anstelle von "es" sehr interessant orientalisch .

Auch ein Ton der genau zwischen Dur und Moll innerhalb eines Akkordes steht hat (melodisch) was...

Die Möglichkeiten dieser Gitarre finde ich aber eindrucksvoll - orientalische und indische Musik werden auf der Gitarre spielbar.
"Mit Harrfen und Lauten schönen Metzen hofieren, solches nimmt ein böses Ende"
Reformator Johann Mathesius 1560
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wuwei
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Beitrag von wuwei »

scifi hat geschrieben:Da wäre man dann fast beim Oud. Klingt halt nicht so "knackig" und ich bin mir auch nicht sicher, ob man ohne Frets eine so saubere Intonation hinbekommt, wenn man mehrere Saiten gleichzeitig greift und klingen lässt.
Hallo scifi,

in der Türkei gibt's inzwischen 'ne ganze Reihe hervorragender Gitarristen, die (überwiegend auf Nylongitarren) fretless spielen. Soweit ich das überblicke, hat diese Lawine wohl Erkan Ogur losgetreten (habe von ihm eine Traumscheibe aus den 90ern, auf der auch Philip Catherine bei zwei Stücken mit am Start ist).

Der Klang einer bundlosen Nylon ist tatsächlich eigen, aber auch sehr anziehend, wie ich finde. Erkan Ogur spielt zwar hauptsächlich Melodielinien, die Akkorde und Doublestops, die er immer wieder einstreut, sind jedoch perfekt intoniert.

Herzlichen Gruß, Uwe
"A Harf’n g’hert in ka Symphonie;
i’ hab’ ma nöt helf’n könna."
(Anton Bruckner über seine 8.)
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bookwood
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Re: Gitarre mit versetzbaren Bünden

Beitrag von bookwood »

scifi hat geschrieben:Warum ist da keiner früher drauf gekommen?
Nun, das gibt es durchaus auch in unseren Breiten schon länger. Der Gitarrenbauer
Walter Vogt hat das z.B. schon so vor 30, 40 Jahren gemacht. Hervé R. Chouard führt
diese Arbeit weiter.
Gruß
von
Ralf
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scifi
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Beitrag von scifi »

wuwei hat geschrieben:in der Türkei gibt's inzwischen 'ne ganze Reihe hervorragender Gitarristen, die (überwiegend auf Nylongitarren) fretless spielen. Soweit ich das überblicke, hat diese Lawine wohl Erkan Ogur losgetreten (habe von ihm eine Traumscheibe aus den 90ern, auf der auch Philip Catherine bei zwei Stücken mit am Start ist).
Danke für den Tipp. Da werde ich reinhören.
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