Schönes Thema...
"Vintage" heisst für mich, die Gitarre muss vor 1942/43 gebaut worden sein. Meine Erfahrungen beschränken sich auf dem amerikanischen Gitarrenmarkt. Ob das Folgende auch auf Gitarren aus Europa (oder anderen Kontinenten) zutrifft, kann ich also nicht beurteilen.
Die Hölzer, die davor (also vor 1942/43) verbaut wurden - und zwar serienmässig selbst in "Billigklampfen" - sind heute in der Qualität nur mit teuren Aufpreisen bei Einzelanfertigung erhältlich.
Gibson: Adirondack bei Decken, Hondurasmahagonie bei Zargen und Böden, bei SJs, AJs etc. z.T. auch Riopalisander. Extrem dünne Decken (geht bei Adirondack, da härter als Sitka etc.) bei z.B. den L-Modellen. Macht heute so niemand mehr. Heute wird bei Serienmodellen mehr auf Stabilität (und dadurch etwas weniger auf Klang) geachtet. Diese alten L-00, L-1 etc. haben durch diese Konstruktion einen unglaublichen Klang. Selbst bei den von Gibson für Kaufhausketten gebauten Gitarrenmarken (Kalamazoo, Carson J. Robison etc.) wurden diese Tonhölzer verbaut.
Martin: Adirondack, Riopalisander serienmässig.
Mit der Verfügbarkeit der Hölzer war es dann aber schon spätestens Ende des Weltkriegs vorbei, als Adirondack nicht mehr verwendet werden durfte. Die Bestände waren nahezu abgeholzt, denn bei sämtlichen WWII "Mustang" Jagdflugzeugen waren die Tragflächen/Holme etc. aus Adirondack.
Ich selbst besass u.a. eine 1921er L-1, eine 1936er L-75, eine 1937 L-00. Martins aus der Ära besass ich zwar nicht selbst, hatte aber des Öfteren Gelegenheit, auf diversen Modellen zu spielen. Im Bereich der eher "billigen" Gitarren aus dieser Zeit hatte ich z.B. eine ganz "primitiv" leiterverbalkte "May Bell" (Slingerland Company), die eine wunderbare Slidegitarre war. Ich weiss also zumindest rudimentär aus eigener Erfahrung von was ich hier labere.
Der grösste Fehler, den ich in meiner Laufbahn machte, war es, diese L-00 gegen eine schnöde Santa Cruz zu tauschen. Was mich da geritten hatte, weiss ich bis heute nicht, denn diese SC (noch mit 3-stelliger Seriennummer, also gewissermassen eine "Vintage Santa Cruz"...) klang zwar anders, gewissermassem "moderner", aber hatte bei Weitem nicht diese Tiefe (manche nennen das "Resonanz") der alten L-00. Auch eine Mcilroy, die zeitweise besass, hatte nicht diese klangliche Qualität.
Die anderen Vintagemodelle wurden im Laufe der Zeit (ausser einer Supertone Parlor, auf der nur mit Slide gespielt wird) eingetauscht/verkauft. Ich bin kein Sammler sondern Spieler und ausserdem nicht mit unbegrenzten finanziellen Möglichkeiten ausgestattet !
Zum "klanglich Anderssein" dieser Gitarren, beziehungsweise wo liegen die Hauptunterschiede (speziell der Gibsons der 30er Jahre) im Vergleich mit den heute gebauten Gitarren:
1) Einsatzbereich: Stilistiken, die heute unter dem Begriff "Fingerstyle" zusammengefasst werden, gabs vor 70 Jahren nicht. Stahlsaitengitarren waren kein Solisteinstrumente wie heutzutage, sondern dienten zuallererst als Rhythmusinstrument. Dass unter den alten Bluesleuten Jungs dabei waren, die durchaus "fingerstylerische" Qualitäten allererste Güte hatte (Lonnie Johnson, Willie Brown etc.), steht ausser Zweifel, aber auch diese Leute sahen eine Gitarre eher als Begleitinstrument an.
Damit eine Gitarre ohne elektronischen Support im damaligen "Bandkontexten", sowohl im Livebetrieb wie unter den sehr primitiven Aufnahmebedingungen der damaligen Zeit, überhaupt zu hören war (bitte beachten: wir sprechen hier von einer Zeit, in der es keine Pickups, AER-Amps, PAs und anderes elektronisches Gedöns gab) musste sie soundmässig (oder besser frequenztechnisch) bestimmte Bereiche stärker abdecken, als das heute gewünscht ist.
Die Bereiche waren vor allen Dingen die Mitten. Um rhythmisch richtig und hörbar "schieben" zu können, braucht man Dampf im Mittenbereich. Fein ziselierte Höhen, flirrende Obertöne und ähnliches bringen da garnix, ja sind sogar kontraproduktiv. Bei zu starken Bässen siehts ähnlich aus.
2) Bauweise: die L-00s waren extrem leicht gebaut. Meine L-00 war die leichteste Gitarre, die ich jemals in den Fingern hatte. Dünner kann man eine Decke (Adirondack) wohl kaum noch machen. Die bauten die Teile nicht für die Ewigkeit, wenn mal eine kaputtging, dann bekam der Kunde halt eine neue (Preis lag Mitte der 30er Jahre bei ca. 30 $, also im Vergleich zu Martingitarren fast schon ein Schnäppchen). Diese Bauweise machte die Teile richtig laut und "resonant" bei einer unglaublichen Ausgewogenheit. Strumming, Picking: alles kommt glasklar, aber immer mit einer für heutige Verhältnisse sehr ausgeprägten Mittenbetonung. Aber für Blues, Ragtime, Jazziges gibts wohl kaum was besseres.
Aber bitte immer bedenken: nirgendwo wird soviel geschummelt wie in diesem "Vintage"-Markt.
- Da gibt es unprofessionell durchgeführte Reparaturen/Restaurierungen
- Datierungen werden "gefaket"
- Teile wie Mechaniken wurden in späterer Zeit ersetzt, was an sich nichts schlimmes ist, wenn die Originalteile noch da sind. Falls nicht, dann sinkt der Wert natürlich. Falls der Käufer sich aber nicht auskennt und nur aufs Alter geht, wird es unter Umständen teuer...
- bei Klampfen, die angepriesen werden "seit 50 Jahren im Koffer gelegen, sieht aus wie neu" muss man extrem vorsichtig sein, denn das Teil könnte klanglich nahezu mausetot sein.
- Blindkauf übers Internet nur über seriöse Händler (Mandolin Brothers, Gruhn, Elderly, Bernunzio oder so). NIEMALS über Ebay vom Privatmann, der die Klampfe seines "Grossvaters" verkloppt...
- Bei vermeintlich günstigen oder gar billigen Angeboten immer die Kosten einer möglichen Restaurierung (Neck Reset etc.) mit einkalkulieren
Ab und an kann man aber auch mal bei einer neuen Gitarre "Vintageflair" haben: so bekam ich zufällig letztes Jahr eine klanglich umwerfende 000-12 aus einer kleinen Manufaktur in der Nähe von New Orleans, die kein Mensch kennt, in die Finger. Diese Gitarre kommt sehr nahe an die Martin-Modelle der 30er Jahre heran. Hier der noch vorhandene Link zur Anzeige bei Elderly
http://www.elderly.com/items/20U-13035.htm . Der "very good sound" ist noch besser geworden, da die Gitarre wohl nie richtig eingespielt wurde, was bei Adi eine Weile dauert. Die Kleine lässt mich über den "Verlust" der L-00 doch leichter hinwegkommen
Bilder der alten Damen habe ich wohl nicht mehr, bzw. weiss im Moment nicht, wo ich die Bilder abgelegt habe.