Orangewood

Alles über akustische Gitarren für Stahlsaiten

Moderator: RB

gruhf
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Re: Orangewood

Beitrag von gruhf »

Wie bewertet man im sogenannten "Low Budget-Bereich" denn die Qualität der Gitarren? Die kommen doch alle von den paar Herstellern in Indonesien, Korea etc. Einen Vergleich "Samick" gegen "Cort" kann ich noch nachvollziehen, aber ein Vergleich Faith gegen HB o.ä. ohne Berücksichtigung des eigentlichen Massenherstellers macht doch wenig Sinn? Oder bauen die koreanischen Fabriken für die eine oder andere Gitarrenmarke absichtlich schlechtere Gitarren?
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RB
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Re: Orangewood

Beitrag von RB »

Es ist ja nicht auszuschließen, daß es sich um unterschiedliche Hersteller handelt. Außerdem wird in der Lohnproduktion nach Plänen und Spezifikationen gearbeitet,die jeweils vom Markeninhaber stammen, auch das kann Unterschiede bewirken.

Im Grunde meine ich, die generellen Beobachtungen gemacht zu haben:

1. Zum einen ist der Instrumentenbau kein Hexenwerk. somdern Handwerk bis Kunsthandwerk und nach mittlerweile etwa 15 bis 20 Jahren können viele asiatische Produzenten - ich nehme Japan einmal aus - Instrumente westlicher Musiktradition vorlegen, die denen aus den Ursprungskulturen ebenbürtig sind. Japan habe ich hinsichtlich der Zeitangabe ausgenommen, weil dort die Entwicklung früher begann.

2. Die asiatischen Hersteller besitzen - wieder Japan ausgenommen - gegenüber den europäischen und amerikanischen Pendants den Vorteil deutlich niedrigerer Lohnkosten. Da die Instrumentenherstellung aller Automatisierung zum Trotze zu einem höheren Teil Handarbeit ist, als in vielen anderen Bereichen, ist das für die Preisbildung ein ausschlagebender Faktor. Ein Werk von Eastman nach Amerika oder Deutschland verpflanzt würde mit der exakt identischen Produktion Ware abliefern, die vermutlich das Doppelte dessen kosten würde, wie die aktuellen Preise sind. Japan ist auszunehmen, weil die Entgelte sich nivellieren, China ist schon bedeutend teurer geworden, Japan besitzt den Entgeltvorteil schon nicht mehr.

3. Die Europäischen und amerikanischen Hersteller - ich spreche jetzt mit Steelstrings und Mandolinen im Blickfeld -, die sich durchsetzen, tun dies meiner Meinung nach mit einer Mischung aus (a) ordentlichem bis überragenden Produkt, (b) dem Wunsch der Kunden, ein heimisches, auch in handwerklicher Tradition hergestelltes, oder (c) ein "eigentliches", ursprüngliches Produkt zu erwerben, "the real thing", das Objekt affektiver Bindung.
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Andreas Fischer
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Re: Orangewood

Beitrag von Andreas Fischer »

gruhf hat geschrieben:
Fr Okt 09, 2020 7:32 pm
Wie bewertet man im sogenannten "Low Budget-Bereich" denn die Qualität der Gitarren?
Am besten ohne Vorurteile ;-)
Andreas Fischer
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Gitarrenmacher
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Re: Orangewood

Beitrag von Gitarrenmacher »

gruhf hat geschrieben:
Fr Okt 09, 2020 7:32 pm
Oder bauen die koreanischen Fabriken für die eine oder andere Gitarrenmarke absichtlich schlechtere Gitarren?
Nee, sicher nicht. Von besser oder schlechter sollte man auch nicht reden, eher von Preissegmenten.
Genau wie z.B. Martin&Co. die Preissegmente von ca. UVP 800,- bis 6.000,- (ex. Customshop) bedienen kann, ist ein gut aufgestellter, asiatischer Hersteller in der Lage, das Segment von 150,- bis 1.000,- plus abzudecken.
Ich hatte irgendwann 2005/6 mal Anwandlungen mich um einen Eigenimport zu kümmern, und war auch zwei mal auf der Musikmesse. Sehr lustig. Nach dem -etwas- tieferen Einblick in die Lieferketten war mir schnell klar, dass ein kleines Business in der Richtung mehr Arbeit als Gewinn einbringt.
Aber ich habe eins gelernt. Ohne eine schicke Visitenkarte kommst du auf keinen chinesischen Messestand. :lol:
Bier ist der Beweis, dass Gott uns liebt und will, dass wir glücklich sind.
-Benjamin Franklin- *1706 t 1790-
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gruhf
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Re: Orangewood

Beitrag von gruhf »

Andreas Fischer hat geschrieben: Am besten ohne Vorurteile ;-)
Selbstredend, ein guter Vergleich muss objektiv sein. Aber ich bezweifle nach wie vor die Aussagekraft eines Vergleichs ohne Angaben zum Herstellerwerk: Laut Wikipedia lässt HB bei ca. 20 unterschiedlichen Herstellern in China, Indonesien und Vietnam fertigen. Was bringt also ein objektiver Vergleich, wenn der Einkäufer bei Thomann die nächste Charge der Gitarre bei 'nem anderen Werk ordert? Wie das praktisch funktioniert hat Gitarrenmacher beschrieben. Und ich vermute, dass HB nicht so exklusive Werkzeuge zur Gitarrenfertigung benötigt, dass man nur an ein Werk gebunden ist.

Ich unterstelle mal, dass die meisten Gitarrenanfänger ihre Laufbahn nicht mit einem Custom-shop-Modell starten. Ich hatte insofern auch schon viele "Low-budget-Gitarren" in der Hand. Ich kann nur für mich sprechen, aber ich persönlich werde mit 1-2 "guten" Gitarren glücklicher als mit 20 HBs an der Wand. Das kann man Vorurteil nennen - oder Erfahrung :wink:.
Gitarrenmacher hat geschrieben:Von besser oder schlechter sollte man auch nicht reden, eher von Preissegmenten.
Ja, das macht mehr Sinn, oder von Ausstattung im selben Preissegment: Die eine "Gitarrenmarke" spezifiziert halt für einsfuffzig pro Gitarre mehr geschlossene Mechaniken, die andere legt mehr Wert auf die Hochglanzlackierung.

Entschuldigung für das Abweichen vom Thema, zu "Orangewood" kann ich keine Erfahrungen beitragen.
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Holger Hendel
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Re: Orangewood

Beitrag von Holger Hendel »

Vielen Dank für die Einblicke, sehr interessant. Dann wird es wohl Zeit, dass ich meine eigene Gitarrenmarke an den Start bringe. :guitar1:
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Bernd C. Hoffmann
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Re: Orangewood

Beitrag von Bernd C. Hoffmann »

Niels Cremer hat geschrieben:
Fr Okt 09, 2020 6:04 pm
Hinzu kommt dass sie anscheinend nicht über Händler verkaufen sondern ein reines online business fahren, zumindest konnte man das so lesen. So ein „B-to-C distribution model“ wie es Neudeutsch heißt beinhaltet dann wahrscheinlich auch drop-shipping, sprich Direktversand von der Fabrik an den Endkunden, was wiederum Lagerhaltung seitens des Verkäufers, also der “ feinen Brand” wie Christian schrieb, obsolet macht und schnell arrangiert ist.

Wer hat Lust ne Gitarrenmarke mit zu gründen? Ich spreche Chinesisch und könnte die lokale Koordination übernehmen! :lol:

LG,
Niels
Hallo Nils,

*Klugschicermodus an
Den Begriff B2C (unterschieden von B2B und B2G letzteres noch nicht so lange) gibt es schon seit den 70er Jahren ;-)
*Klug... aus

Ein Dropshipping Busines, im Deutschen als sog. Streckengeschäft bekannt, ist das mit Sicherheit nicht. Die Betriebe sind auf Massenproduktion ausgelelgt und haben keine Zeit, um "Kleinkram" einzeln zu verschicken. Das gibt es nur in Ausnahmefällen, wenn Muster oder Prototypen für eine neue Geschäftsbeziehung angefordert werden. Die Firmen sitzen meist in Südchina, viele in Guangzhou und der näheren Umgebung. Wichtig ist die Nähe zu einem Frachthafen. Ich hatte damals meine Noble Cases dort bestellt. Die hatten auch Gitarren angeboten und in mehreren Hallen und Werken produziert. Bei den Koffern hatten die in 2005 ein monatliches Produktionsvolumen von 35.000 Stück. Aus der damaligen Geschäftsbeziehung weiß ich, dass die zwischen 2005 und -6 zwei weitere Werke eröffnet hatten. Wenn Du dort mit Dropshipping ankommst, die lachen sich tot ;-)
Zuletzt geändert von Bernd C. Hoffmann am Mo Okt 12, 2020 12:49 pm, insgesamt 2-mal geändert.
Liebe Grüße
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Bernd C. Hoffmann
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Re: Orangewood

Beitrag von Bernd C. Hoffmann »

Gitarrenmacher hat geschrieben:
Fr Okt 09, 2020 3:25 pm

So ein Geschäftsmodell kann jeder hochziehen. Holgi, Tomis und Hübi fahren mit dickem Portemoinnaie zur Musikmesse nach Frankfurt, suchen uns einen asiatischen Hersteller und verhandeln mit dem eine Erstabnahme von 120 Stück mit der Aussicht auf eine Jahresabnahme von 500 Einheiten. Natürlich wird der Hersteller bei dieser Menge auf einige gewünsche Specs. eingehen, die dann als "Unter Berücksichtigung unserer Vorgaben, bei einem renomierten Hersteller mit Sorgfallt gebaut", beworben werden.
Dann machen wir die ortsübliche Werbung mit Videoclips, einem Statement des namhaften Gitarrenbauers und ausgefeilten Gitarrenriffs in Flat-und Fingerpicking, und natürlich einer schicken Heimseite mit amerikanischer Anmutung.
Entweder fängt die Karre an zu laufen, oder auch nicht. Dann ist die Marke HOTOHÜ eine von dutzenden Brands, die seit Mitte der 70er Jahre auf dem europäischen Markt auftauchten und auch wieder verschwanden, oder auch nicht.

So in etwa läuft der Markt der "kleinen, feinen Brands"
Dass man mit so einem Geschäftsmodell Erfolg haben kann, beweisen die Marken La Mancha und Duke, letztere von Hanika. Die Frage ist, welchen handwerklichen Background bei abzusehenden Problemen man hat, um im Rahmen der Garantie seine Anbieterpflichten zu erfüllen. Duke Gitarren werden in China hergestellt und bei Hanika eingestellt. Das klingt erstmal gut, und Tatsache ist, dass diese Gitarren für ihren Preis extrem viel Gitarre zu bieten haben. Trotzdem ist eine gewisse Oberflächlichkeit zu beobachten. Ich habe gelegentlich eine (teurere) Duke in der Hand, die schon beim Händler offensichtlich keine Eingangskontrolle durchlaufen hat. Dafür gibt es eben die Garantie. Trotzdem ist es ärgerlich, weil man einen Zeitausfall hat. Bei La Mancha habe ich bisher noch keinen Mangel gefunden. Allerdings bin ich nicht derjenige, der das gesamte bessere Einsteiger- und Studentensegment überblicken will. Einen deutliche Präsenz an Qualität kann man - nach meiner Wahrnehmung, mit Bezug auf Konzertgitarren - nicht absprechen.

Das Gitarren-Business kann heute auch ganz anders laufen. Ich hatte meine eigene Marke mit Konzert- und Flamencogitarren. Erstere hatte ich damals auch hier übers Forum über PN-Anfragen verkauft. Den Hype der Stahlsaitengitarren haben auch die spanischen Traditionsherteller nicht verschlafen. Würde ich Westerngitarren anbieten, dann würde ich mich sehr wahrscheinlich an spanische Produzenten wenden.
Liebe Grüße
Bernd
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notenwart
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Re: Orangewood

Beitrag von notenwart »

Bernd C. Hoffmann hat geschrieben:
Mo Okt 12, 2020 12:45 pm
...Trotzdem ist eine gewisse Oberflächlichkeit zu beobachten. ...die schon beim Händler offensichtlich keine Eingangskontrolle durchlaufen hat. .... Trotzdem ist es ärgerlich, weil man einen Zeitausfall hat....
Das eine ist der Zeitausfall. Was für mich aber auch schwer wiegt, ist der Umstand, dass unerfahrene Anfänger sich aufgrund schlechter Einstellung der Gitarre unendlich quälen müssen ("F-Dur ist schon schwierig..") Und wenn diese dann keinen Ratgeber haben, ein YT-Video reicht da nicht aus, schnell die Lust am Musizieren verlieren. Das ist dann schade
Bernd C. Hoffmann
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Re: Orangewood

Beitrag von Bernd C. Hoffmann »

notenwart hat geschrieben:
Mo Okt 12, 2020 1:22 pm
Bernd C. Hoffmann hat geschrieben:
Mo Okt 12, 2020 12:45 pm
...Trotzdem ist eine gewisse Oberflächlichkeit zu beobachten. ...die schon beim Händler offensichtlich keine Eingangskontrolle durchlaufen hat. .... Trotzdem ist es ärgerlich, weil man einen Zeitausfall hat....
Das eine ist der Zeitausfall. Was für mich aber auch schwer wiegt, ist der Umstand, dass unerfahrene Anfänger sich aufgrund schlechter Einstellung der Gitarre unendlich quälen müssen ("F-Dur ist schon schwierig..") Und wenn diese dann keinen Ratgeber haben, ein YT-Video reicht da nicht aus, schnell die Lust am Musizieren verlieren. Das ist dann schade
Ich möchte das relativieren. Der "Durchschnittsanfänger" ist i. d. R. nicht als Autodidakt unterwegs. Hier ist es angebracht, dass der Lehrer Einfluss nimmt und entsprechende Hinweise gibt. Bez. "F-Dur ist schon schwierig" - damals musste ich selbst die "harte Schule" durchlaufen. Ich hatte am Bielefelder Privatkonservatorium in den 70er Jahren 2 Jahre Klassikunterricht (U II, nachdem sich das Programm danach wiederholte, hatte ich keine Lust mehr). Der Lehrer hatte mich als (mit Abstand) jüngsten Teilnehmer sehr gut im Blick. Als dann Barré angesagt war, lernte ich nach der selben Quälerei, die in Hunderttausenden Videos auf Youtube zu sehen ist. Da tut es mir um niemanden leid für jeden, der sich ordentliches und effizientes Gitarrelernen über Youtube verspricht. Es gibt mehrere Wege Barré zu lernen. Ich sage, dass Youtube hierzu (Barré) der reinste Schrottplatz ist. Wenn man es irgendwie gelernt hat, dann spielt das keine Rolle mehr.

In meinem Unterricht hatte ich viele Gitarren für meine Schüler von Manfred Pletz bezogen. Da gab es verschiedene Besonderheiten. Eine öftere war die finanzielle Situation, wenn es um Kinder ging und die Wachstumsphasen umgangen werden mussten. Man konnte nicht alle paar Jahre eine neue Gitarre kaufen. Dann wurde eine 4/4 Gitarre z. B. mit einem 52er Sattel ausgestattet, der Saitenabstände einer 3/4 Gitarre hatte. Die Gitarre wurde etwas tiefer gestimmt und dann mit Kapo gespielt. Wenn das Kind da heraus gewachsen ist, konnte man z. B. den Sattel auswechseln und das Kapo zurücksetzen oder entfernen. Erwachsene mit einer Monsterpranke bekamen ein breiteres Griffbrett. Änderungen an der Halsbreite kann der Handel als Service nicht bieten. Kreativität beim Sattel hingegen schon. Auch sollte der Handel heute als Service-Angebot die Optimierung der Saitenlage für den individuellen Spieler im Portfolio haben. Wer ausschließlich über den Versand geht, spart zwar Geld, legt aber bei entsprechenden Arbeiten wieder drauf. Oder man spart länger und investiert dann in einen Preisbereich, wo gewisse Nachteile eher selten anzutreffen sind. Meiner Überzeugung nach gilt dies auch für den Musikunterricht.

Ich bin etwas von eigentlichen Thema abgekommen. Wegen dem Hinweis auf F-Dur und gewissen Mängeln wollte ich das etwas näher beschreiben.
Liebe Grüße
Bernd
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