40 Jahre VEB (VolksEigenerBlues)

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tele
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40 Jahre VEB (VolksEigenerBlues)

Beitrag von tele »

Welcher Wessi denkt nicht mit Wehmut an den Zwangsumtausch beim Besuch in Ostberlin zurück?
25 Ostmark mussten schließlich erst mal sinnvoll unters Arbeiter-und Bauernvolk gebracht werden, da blieb kaum noch Zeit, sich im Palast der Republik langweilige Meisterwerke des sozialistischen Realismus anzuschauen.

Ich habe mir damals bei unserer Kursfahrt ein Luxuseis unter den Linden geleistet, ein Quickbrötchen (Hamburger Imitat), eine Club Cola und in einer gut sortierten Buchhandlung habe ich dann für 6 Ostmark 50 das Heft "Blues, Country, Soul & Verwandtes" von Uwe Schreiber gefunden.
Das ist ein Lehr-und Spielbuch mit 43 Originalkompositionen für Gitarre.(VEB Deutscher Verlag für Musik Leipzig)
Im Vorwort heißt es: " ...für den Konzertgitarristen soll das Heft eine Brücke ins andere Lager sein..."
Zielgruppe waren also klassische Gitarristen, die auf diese Weise ein bisschen westliche Bluesluft schnuppern wollten.

Das Heft beginnt mit einem einfachen 12-Takter in G, dann werden Stimittel wie Synkopierung, Aufschlag-und Abzugbindungen, "Dirty Glissando" (String Bending) und Improvisation vorgestellt.
Ich glaube, in der DDR musste man ja Musik studiert haben, um irgendwie Geld damit zu verdienen, und so nehme ich an, dass Uwe Schreiber studierter Klassikgitarrist ist.
Das merkt man seinen Kompositionen teilweise an, da sie nicht so sehr auf Akkordblöcken aufbauen als vielmehr auf voneinander unabhängigen Stimmen und da sie harmonisch weit über I,IY,V7 hinausgehen.
Westlich dekadente Hilfsmittel wie Tabulaturen sucht man vergeblich, es gibt nur Noten mit ausgiebigen Fingersätzen und Artikulationszeichen.

Das Buch wird wohl nicht mehr gedruckt, man findet es aber antiquarisch oder auch neu.

Hier spielt ein russischer Nylonstring-Gitarrist den Blues III im Appoyando-Anschlag.

Im Nikotinblues wird der Blues eher persifliert als zelebriert.

Bild
Black Soul lässt schon Death-Metal Elemente vorausahnen.

Fazit: Es war nicht alles schlecht in der Zone. Statt die westlichen Blueser 1:1 zu kopieren hat Genosse Schreiber dem 12-Takter seinen eigenen, kompositorisch abstrahierenden Stempel aufgedrückt....
Zuletzt geändert von tele am So Jul 24, 2016 6:19 am, insgesamt 2-mal geändert.
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RB
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Re: 40 Jahre VEB (VolksEigenerBlues)

Beitrag von RB »

Kling reichlich hölzern, wie die das spielen.
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tele
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Re: 40 Jahre VEB (VolksEigenerBlues)

Beitrag von tele »

Wobei es mir hier weniger um die interpretatorische Qualität der Klangbeispiele ging, als vielmehr um das Buch an sich, und damit verbunden um die Frage:
Woher nahmen in den 70er- und 80er Jahren interessierte Gitarristen jenseits der "Zonengrenze" ihre Lermmaterialien für nichtklassische Stilrichtungen?
Die Kompositionen von Uwe Schreiber erscheinen mir doch eher als leicht verschrobene Kunstmusik auf Blues-Basis denn als authentisches Blues-Picking.
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RB
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Re: 40 Jahre VEB (VolksEigenerBlues)

Beitrag von RB »

Ich bin Westler, hatte aber auch kein Lehrmaterial für die Musik, die mir gefiel. Ich glaube, das gab es in der heutigen Qualität und Vielfalt einfach nicht.
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tired-joe
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Re: 40 Jahre VEB (VolksEigenerBlues)

Beitrag von tired-joe »

Wer in den 60er/70er/80er Jahren in Giessen und Umgebung wohnte, und die richtigen Leute kannte, hatte Zugriff auf nahezu alle US-amerikanischen Tontraegerprodukte (und aloholhaltigen Getraenke). Dort war das fuer Europa zustaendige Depot der US Streitkraefte stationiert. Das war immer eine Reise wert, aus dem buergerlich-biederen-akademischen Marburg 8). Da bekam ich meine erste Woody Guthrie und Big Bill Broonzy Schallplatten her. Eine Anreise von der anderen Seite des damals noch eisernen Vorhangs war da wohl schwieriger.

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notenwart
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Re: 40 Jahre VEB (VolksEigenerBlues)

Beitrag von notenwart »

tele hat geschrieben:...Woher nahmen in den 70er- und 80er Jahren interessierte Gitarristen jenseits der "Zonengrenze" ihre Lermmaterialien für nichtklassische Stilrichtungen?
..
Ich habe das Heft auch. Fand aber schon damals wenig Gefallen an diesem Blues. War mir auch zu verkopft / oder ich zu faul.
Der gemeine Ossi nahm, und ich denke, in den 70er und Anfang 80er war das im Westen nicht grundlegend anders, da es so viel Lehrmaterial wie heute noch lange nicht gab, seine Inspiration vorrangig mit den Ohren auf. Hören, Nachspielen, Korrigieren, anderen Gitarristen fragen... bis das so einigermaßen wie die Aufnahme auf kassette bzw Schallplatte (hieß ja damals noch nicht Vinyl) klang.
Und da gab´s halt talentiertere "Genossen" bspw. Stefan Diestelmann, Bernd Kleinow, Jürgen Kerth, Wolfram Bodag (wenn die das hier mit den Genossen lese, krieg ich eins auf die Mütze), die den Blues im Osten ziemlich befeuert haben, auch ohne bedeutende Lehrwerke zur Verfügung zu haben.

So pickende Liedermacher wie bspw Hannes Wader sind mir allerdings nicht im Gedächtnis, die meisten Künstler dieser Richtung waren doch eher der klassischen Gitarre zugewandt. Was aber auch daran lag, dass es kaum klassische Gitarren zu kaufen gab, aber sogenannte Westerngitarren gab es praktisch noch viel viel viel weniger zu erwerben
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tele
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Re: 40 Jahre VEB (VolksEigenerBlues)

Beitrag von tele »

Der gemeine Ossi nahm, und ich denke, in den 70er und Anfang 80er war das im Westen nicht grundlegend anders, da es so viel Lehrmaterial wie heute noch lange nicht gab, seine Inspiration vorrangig mit den Ohren auf. Hören, Nachspielen, Korrigieren, anderen Gitarristen fragen...
Gar keine Frage! Das "Raushören" hat zu "Unserer Zeit" eine viel größere Rolle gespielt, egal auf welcher Seite der Mauer...
Aber in Sachen Blues gab es hier schon recht früh Pickin' the Blues von Oscar Klein: da waren ziemlich authentisch klingende Bluesstücke drin, so im Stil von Lightnin' Hopkins oder Blind Blake, nicht so ein Kunstblues wie bei Schreiber.
First Blues zum Beispiel, den Jack Isidore hier meisterhaft auf seiner Mahagoni Dreadnought spielt.
Oder das Ragtime-artige Sound of Wood
Oder den Boogie Blues
Oder For Lightnin'

Und das alles ausschießlich in Tabs!
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