DADGAD & Co

Alles, was mit dem Spielen des Instruments zu tun hat

Moderator: RB

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uwesemmelmann
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Beitrag von uwesemmelmann »

Kaindee hat geschrieben:... in 21 verschiedenen Stimmungen ...
In einem ganz alten Interview im Guitar Player hat Leo Lottke erzählt (das muss um die Zeit gewesen sein, als er sich mit seinem Stil die rechte Hand gesundheitlich ruiniert hatte), dass er bei einem Festival einmal aufgefordert wurde, eine der größeren Country-Sängerinnen auf der Bühne spontan zu begleiten. Dabei - er spielte da auch noch mehr verschiedene Stimmungen als heute - musste er feststellen, dass er das nicht konnte, weil er "so richtig" harmonietechnisch nicht durchblickte, obwohl es ihm doch immerhin gelungen war, zum akustischen "Übergott" aufzusteigen.

Fazit: Man sollte sich nicht mit zahllosen Tunings verzetteln, sondern lieber versuchen, sein Instrument zu beherrschen. Mit Normalstimmung komme ich zurecht. An DADGAD arbeite ich obwohl meine kleinen Hände die oftmals notwendigen großen Spreizungen gar nicht mögen (s.a. Bensusans großartiges Gitarrenbuch und seine Beherrschung des Tunings); meine Lowden ist immer so gestimmt (oder DG... oder CG...). Alle Stimmungen, bei welchen mehrere Saiten hochgestimmt werden, tue ich meinen Gitarren, ihren Saiten und mir nicht an (z.B. frühe Alex de Grassi-Stücke oder so manches von Andy McKee).

Btw.: Bei Ratzenbeck habe ich wirklich immer das Gefühl, dass er sich seine Stücke so irgendwie auf der Gitarre zusammenfingert, während ein Bensusan sehr genau weiß, wohin er will. Eben der Unterschied der Prioritäten: Gitarre oder Musik.
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Orange
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Beitrag von Orange »

uwesemmelmann hat geschrieben: ... lieber versuchen, sein Instrument zu beherrschen. Mit Normalstimmung komme ich zurecht ...
Ich bin da auch noch lange nicht so experimentierfreudig, und freu mich wenn ich in Normal-Stimmung meine ganzen offenen
Akkorde und Barreegriffe (Barree = Trefferquote ~ 95% :lol: ) sauber hinbekomme. :)
stringbound
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Beitrag von stringbound »

uwesemmelmann hat geschrieben:Btw.: Bei Ratzenbeck habe ich wirklich immer das Gefühl, dass er sich seine Stücke so irgendwie auf der Gitarre zusammenfingert...
Geht mir ähnlich, allerdings finde ich, dass Pierre Bensusan die Stücke oft kaputt spielt, in dem er soviele Schnörkel und Verzierungen in ihnen unterbringt, dass man die eigentliche Melodieführung des Stücks kaum noch erkennt.
Ein Beispiel dafür ist seine Version von Shebeg and Shemore.

Zurück zum Thema.
Wenn man genau hinschaut sind es meist gar nicht so viele Tunings.
Stimmt man alle Saiten der Gitarre um einen halben Ton nach unten, dann hat man eine neue Stimmung.
Jeder weitere Halbton, den man die Gitarre nach oben oder unten stimmt, ergibt ein weiteres Tuning.
Macht man das auch noch mit DADGHE, DGDGHD, DADGAD, DADF#AD und schon hat man ziemlich viele Stimmungen zusammen.

Fange ich dann an, die Basssaiten der Stimmungen zu verändern, z. B. um sie einer Melodie anzupassen (aus DADGAD wird dann CGDGAD oder aus DGDGHD wird CGDGHD) vervielfachen sich die Stimmungen weiter.
So wurde bei Joni Mitchell die stolze Anzahl von über 50 Stimmungen gezählt.
Ein Schelm, wer Böses dabei denkt.

Das angeben von irrwitzigen Anzahlen von Stimmungen ist dem "höher, schneller, weiter" unserer Zeit geschuldet, in dem auch Musik immer mehr zum Leistungssport verkommt.
Leider unterwerfen sich zunehmend mehr Musiker diesem Prinzip und definieren sich und ihr Spiel vor allem über die sportliche Komponente.
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Pappenheim
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Beitrag von Pappenheim »

Kaindee hat geschrieben:Ich denke ich habe mal gehört (wenn ich mich recht erinnere), das Peter Ratzenbeck bei einem Konzert gesagt hat das er in 21 verschiedenen Stimmungen spielt ?
Ja, das ist korrekt. Fast jedes Stück bei seinen Konzerten spielt er in einer anderen Stimmung.

Das Witzige dabei ist: Zwischen den Liedern erzählt er immer Anekdoten aus seinem Leben, aus seiner Zeit in Schottland ("schottischer Apfelsaft" ;-) ) und reißt seine Witze. Während er da so erzählt, stimmt er so nebenbei die Gitarre in die neue Stimmung um, in der Regel eine Martin OM, um und schraubt dabei klarerweise fest an den Mechaniken herum. Das alles macht er nach Gehör, ich habe noch nie gesehen, dass er ein Stimmgerät benutzt.

Das Allerlustigste: Manch Ahnungsloser im Publikum hat nach dem Konzert zu mir gemeint: "Viel kann man mit so einer Musik wohl nicht verdienen, sonst könnte er sich wohl eine Gitarre leisten, die sich nicht dauernd verstimmt!" :rotfl:
Kaindee hat geschrieben:Zutrauen würde ich es ihm, denn er ist schon Weltklasse wie ich finde ...


Allerdings, das ist er. Er macht allerdings seit 40 Jahren nix anderes als Gitarrespielen, und das noch dazu als Autodidakt, so wie unser RB. :)

Der Peter ist jedenfalls ein Ausnahmemensch, und trotzdem nahbar und unglaublich hilfsbereit. Es war und wird mir wieder eine Ehre sein, in seinem Vorprogramm aufzutreten. :wink:
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**Stefan**
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Beitrag von **Stefan** »

Manati hat geschrieben:Lustig wird's übrigens immer, wenn jemand zu Besuch kommt, sich eine Gitarre greift, einen Akkord anschlägt und total verdattert guckt, weil's völlig daneben klingt ... dann hat er halt die erwischt, die offen gestimmt ist.
Ja, das stimmt. Es ist aber genauso lustig, wenn man sich seit Stunden die Finger und das Gehirn zerbricht, wie man Stück XY nachspielen soll, welches man sich gerade heraushört, bis man auf die Idee kommt, dass es in einem anderen Tuning gespielt wird. So erging es mir vor nicht allzu langer Zeit... Wenn die Dinger mit Kapo gespielt sind und man keine tiefes D hört kann man da ganz schön reinfallen :lol:
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Sperris
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Beitrag von Sperris »

Stimmungen haben auch "Stimmungen", zum beispiel durch den drone oder borduneffekt der leeren saiten und des veränderten tonunfangs. bei DADGAD kannst du mit der gleichen grundtonbasis sowohl dur als auch moll spielen und dabei die leersaiten genauso weiter benutzen, dh. du musst nicht in die parallele moll oder dur tonart wechseln, das erzeugt einen sehr subtilen stimmungswechsel.
Das ist für mich einer der Hauptgründe für Open Tunings. Ich spiele hautsächlich in Standard und DADgad. Letzteres übrigens durchaus auch in unserer Radauband! Zum Teil verlangt das Stück nach einem bestimmten Tuning, weil es imho in einem anderen Tuning nicht klingt.(Weil der Borduneeffekt fehlt!?). Mitunter verändere ich auch das Tuning, um das Sgtück spielbarer zu machen. Eine Eigenkomposition von "Sperris & Wicca) spiele ich z.B. immer in DADgcd.

Gruß Ralf
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Rolli
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Beitrag von Rolli »

Moin, ach noch was zu Open Tunefish!
Ich finde es mittlerweile sehr erfrischend in Dadgad zu improvisieren. Man kommt dann von den ganzen Licks und Skalengedudel weg und muss mehr die Ohre aufsperren. Sehr erfrischend.

Ich überlege echt, auch auf der E-Gitarre mal Dadgad zu spielen und meine Coverband zu schocken.
Schöne Grüße, Rolli
www.daskulturgut.de - KulturGUT
www.rolandkalus.de - Gitarrenunterricht, aber nur wenn's wirklich sein muss ;)
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berndwe
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Re: DADGAD & Co

Beitrag von berndwe »

Kaindee hat geschrieben:
) Warum wird in verschiedenen Stimmungen gespielt ?
) Spart man sich dabei vielleicht komplizierte Griffe oder kommt man damit in neue "Spielsphären" ?
) Was erleichtert / erschwert dabei den Gitarristen ?
Ich spiele sehr gerne in DADGAD und inzwischen ist das auf der Steelstring meine bevorzugte Stimmung. Bei bestimmten Tonarten liegt DADGAD mir einfach gut in der Hand. Es fällt damit leicht, ungewöhnliche Akkorde und Klänge zu kreieren. Bekannte Stücke hören sich automatisch etwas anders und oft auch origineller an als jeder sie kennt.
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Brokenstring
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Beitrag von Brokenstring »

Ich komme auch mit den vielen anderen Tunings nicht so wirklich zurecht, da ich oft von Noten spiele. Die Sinnhaftigkeit für mich ergibt sich nur bei einem Dropped D, damit ich das D im Bass noch kriege, oder beim Bottleneckspiel. Sicher geht nach Tabs auch das eine oder andere Sondertuning, aber ich habe noch genug damit zu tun, die Töne zu finden, besonders in höheren Lagen. Vielleicht sehe ich ja mal die Sinnhaftigkeit, dies bedarf wahrscheinlich aber einer deutlichen Evolution meines akuellen Kenntnisstandes...
Gast

inspirierend, aber begrenzt einsatzfähig

Beitrag von Gast »

hallo,

ich spiele gelegentlich alternative stimmungen, weil ich es ungemein inspirierend finde. da komme ich auf ganz andere ideen als mit standardstimmung, und oft ist es so, dass diese ideen sogar mit standardstimmung realisierbar sind. oft probiere ich auch stimmungen aus, die es "offiziell" nicht gibt.
allerdings habe ich von den alternativstimmungen immer relativ schnell genug und gehe wieder über zur standardstimmung.

alle alternativstimmungen, vor allem die die ungegriffen einen glatten akkord ergeben, klingen auf's erste irgendwie nach boa-ey genial super, und manche präzisionsprobleme beim spielen machen entweder nichts aus oder klingen sogar gut (fehlertoleranz bei rechter hand), aber allen haftet meiner meinung nach der makel an, dass sie begrenzt einsatzfähig sind.

die standardstimmung heisst sicherlich zurecht so.

fazit:
die alternativen erweitern den horizont, engen aber für sich genommen etwas ein.

TR
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uwesemmelmann
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Re: inspirierend, aber begrenzt einsatzfähig

Beitrag von uwesemmelmann »

threiter hat geschrieben:...aber allen haftet meiner meinung nach der makel an, dass sie begrenzt einsatzfähig sind.
Mal kurz etwas O.T.: Ich kenne McManus sehr schöne Versionen von Mingus "Porkpie Hat" und Armstrongs "Wonderful World", beides meines Wissens in DADGAD gespielt. Aber einen etwas anspruchsvolleren Blues - der so richtig kachelt - in dieser Stimmung habe ich noch nie gehört. Ihr vielleicht?
Fylde Orsino (Zeder/Mahag.)
Lowden O 35 (Zeder/Blackwood)
Thirty Strings

Beitrag von Thirty Strings »

...
Peter Ratzenbeck bei einem Konzert gesagt hat das er in 21 verschiedenen Stimmungen spielt
...

Also ich geh zu keinem seiner Konzerte mehr, obwohl er ganz gut ist. Mir geht nämlich diese endlose Umstimmerei, für die er mehr Zeit aufwendet als für's Spielen, auf die Nerven.

Andere Stimmungen ermöglichen (manchmal) auch andere Harmonien. Einfacher wird dadurch das speilen aber sicher nicht, da man dauernd umdenken muss bzw. sollte. Ich persönlich finde es einfacher, wenn die eine Gitarre die Standardstimmung und eine andere z.B. in DADGAD gestimmt ist. Außerdem fällt dann die lästige Umstimmerei weg und man kann gleich einen passenderen Saitensatz aufziehen.
Das Umstimmen der E-Saite auf D oder der g-Saite auf Fis (z.B. für Stücke von Dowland) ist für mich aber selbstverständlich und problemlos. Alles eine Frage der Übung!
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Fidelio
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Beitrag von Fidelio »

Hallo,

bis gestern machte ich konsequent einen großen Bogen um die opentunings -den ich hab mir immer gesagt -ich muß erst besser in Standard Stimmung werden.

Gestern Abend nachdem ich hier die breite Diskussion gelesen hatte, beschloss ich kurzerhand meine Übungsgitarre umzustimmen.
Hab dann meine gesperrte Yamaha auf DAC#EBE gestimmt und 90 Min. rumgespielt.

Gegen Mitternacht hab dann diese Improvisation aufgenommenen und möchte euch jetzt vorstellen:

http://snd.sc/onCwgP


Gruß
Fidelio
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berndwe
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Beitrag von berndwe »

Fidelio hat geschrieben: Gegen Mitternacht hab dann diese Improvisation aufgenommenen und möchte euch jetzt vorstellen:
Das hört sich wunderschön an!
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wuwei
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Beitrag von wuwei »

berndwe hat geschrieben:Das hört sich wunderschön an!
Ja! Ist halt ein originaler Fidelio - nach jeder Seite offen.

Nur der Daumen ist nicht so eigensinnig wie sonst. Wir werten das mal als künstlerische Reife. Oder sollte er (der Daumen) bei dem schon vor einiger Zeit angekündigten Zwiegespräch Schaden erlitten haben?
"A Harf’n g’hert in ka Symphonie;
i’ hab’ ma nöt helf’n könna."
(Anton Bruckner über seine 8.)
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