Bluegrass erlernen

Alles, was mit dem Spielen des Instruments zu tun hat

Moderator: RB

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RB
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Bluegrass erlernen

Beitrag von RB »

Zitat aus Flatpick.Com:

All of the professional players that have been interviewed have stated
that the best place to start learning is with rhythm. They also will tell you
that when they learned how to play there was no tablature, so they
learned it all by ear. ...

If all of our heroes are telling us to spend more time focusing on rhythm
and training our ear, why aren’t we doing it?

...

I have observed two things that most flatpicking hobbyists, who have
learned how to flatpick in the past fifteen years, have in common. First,
not enough time is spent focusing on rhythm (and timing) and, second,
not enough time is spent on ear training.


Auf deutsch sinngemäß:

Alle professionellen Spieler haben in Interviews übereinstimmend von
sich gegeben, daß man mit dem Lernen am besten beim Rhytmusspiel
anfangen sollte. Sie sagen außerdem, daß es noch keine Tabulaturen gab,
als sie mit Spielen angefangen haben, daher haben sie alles nach dem
Gehör gelernt. ...

Wenn die ganzen Gitarrenhelden uns sagen, man solle sich anfangs auf
das Rhytmusspiel konzentrieren und das Gehör schulen, warum machen
wir es dann nicht ?

...

Ich habe beobachtet, was alle Hobby-Flatpicker, die in den letzten 15
Jahren Flatpicken gelernt haben, gemeinsam haben: Erstens verwenden
sie nicht genug Zeit auf das Rhytmusspiel und zweitens zu wenig Zeit,
ihr Gehör zu trainieren.



Das Interessante an diesen Aussagen ist, daß das, was man braucht, kein Geld kostet, sondern Zeit.
notenwart
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Beitrag von notenwart »

Ich denke aber, dieses Problem findet man in sehr vielen Lebensbereichen vor:
- neue Kamera, statt Fotografieren und Beobachten zu lernen
- neue Gitarre, statt andere Klangfarben durch andere Spieltechniken zu erzeugen
- neue Anmeldung im Fitnesstudio, statt regelmäßig ausgedehnte Spaziergänge im Wald zu machen
Diese Aufzählung lässt sich gewiss je nach eigener Erfahrung erweitern.
Wir beten den falschen Gott an
(Das „Wir“ schließt nicht alle Leser ein, jeder möge sich da selbst einbeziehen oder eben nicht)

Im übrigen bewundere ich RB und andere, die durch beharrliches Trainig sich diese Fähigkeit, nach Gehör zu spielen und komplexere Melodien zu erfassen und neu zu interpretieren, erarbeitet haben. Ich war dazu bislang zu faul und werde es gewiss auch bleiben – und mir ein neues Notenheft kaufen, was bei den anderen 50 Stück steht, die kaum Gebrauchsspuren aufweisen
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StringKing
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Beitrag von StringKing »

Rhytmus ist essentiell, ansonsten fällt der simpelste Song wie ein Kartenhaus zusammen.
Gruß StringKing
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stephan
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Beitrag von stephan »

notenwart hat geschrieben:Im übrigen bewundere ich RB und andere, die durch beharrliches Trainig sich diese Fähigkeit, nach Gehör zu spielen und komplexere Melodien zu erfassen und neu zu interpretieren, erarbeitet haben. Ich war dazu bislang zu faul und werde es gewiss auch bleiben – und mir ein neues Notenheft kaufen, was bei den anderen 50 Stück steht, die kaum Gebrauchsspuren aufweisen
Da bist Du nicht allein, das kenne ich auch...
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LaFaro
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Beitrag von LaFaro »

notenwart hat geschrieben:I.......
Im übrigen bewundere ich RB und andere, die durch beharrliches Trainig sich diese Fähigkeit, nach Gehör zu spielen und komplexere Melodien zu erfassen und neu zu interpretieren, erarbeitet haben. Ich war dazu bislang zu faul und werde es gewiss auch bleiben – und mir ein neues Notenheft kaufen, was bei den anderen 50 Stück steht, die kaum Gebrauchsspuren aufweisen
versuchs doch mal "anders herum"... ich habe den Eindruck, dass mir jedenfalls auch sehr hilft, einfach schon mal bekannte Melodien "aufzuschreiben" oder anders zu notieren, am besten noch in Kombination mit gleichzeitigem Hören, was man da eigentlich schreibt... ich sag da nur: "Musescore" oder "Tux"... :)
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RB
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Beitrag von RB »

Solche Aussagen wie die eingangs Gemachte, berücksichtigen das, was die Cracks sagen und nicht das, was Howein sagt. Den passenden Bluegrass-Pädagogen kann sich jeder also aussuchen.

Ich bin davon überzeugt, daß das musikalische Handwerkszeug ganz allgemeine und generelle Regeln beinhaltet, denen man sich stellen oder denen man sich verweigern kann. Zunächst einmal geht es um den Kontext Buegrass. Die Art und Weise, wie da musiziert wird: Ein paar Leute stehen zusammen und spielen. Du begibst dich dorthin, mit der Klampfe in der Hand und findest einen Baß, ein paar Mandolinen und (hoffentlich nur :mrgreen:) einen Banjospieler und möglichst wenige Gitarristen. Man spielt einige Stücke, die Du kennst, es kommen aber auch mindestens genau so viele, die du nicht kennst. Wenn Du die nicht ad hoc mitspielen kannst, bist Du dort zur Passivität verdammt. Klar bekommt man auch ein paar kniffelige Stellen gezeigt, wenn sie sich nicht erschließen, aber eigentlich sollte das Zusammenspiel aus dem Ärmel kullern.

Das geht nicht mit irgendwelchen Lernweisen und "nach seiner Facon glücklich werden". Das geht nur, wenn man ein trainiertes Ohr hat.

Unabhängig von alledem bin ich der Überzeugung, daß das Hören eine essentielle und grundlegende Fähigkeit des Musikers ist. Nicht das Hören im Sinne der Wahrnehmung, sondern das Erkennen von Funktionen und im Idealfall das Antizipieren. Wer das bei der Unterhaltungsmusik, die Bluegrass letztlich auch ist, nicht für nötig hält, will schreiben lernen, ohne lesen zu lernen. Das geht nicht zusammen.

Wenn also das Gehör trainiert, der Musiker befähigt werden soll, Akkorde und Akkordverbindungen durch Hören zu erkennen, gibt es nur eine Herangehensweise: Das Gehör trainiert man am besten, indem man das Gehör trainiert.
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bob's art
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Beitrag von bob's art »

RB hat geschrieben: ... Das Gehör trainiert man am besten, indem man das Gehör trainiert.
Die eingangs gemachten Aussagen sind schon alle richtig ... bleibt für mich jetzt noch die Frage wie (!) man das Gehör am Besten trainiert.

Gibt es Vorgehensweisen die besonders geeignet sind um noch besser im "Hören" zu werden?

Gruß
Robert
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doc
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Beitrag von doc »

RB hat geschrieben:Aussagen wie die eingangs Gemachte
gehen ans Eingemachte.
doc
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sowatt
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Beitrag von sowatt »

bob's art hat geschrieben:
RB hat geschrieben: ... Das Gehör trainiert man am besten, indem man das Gehör trainiert.
Die eingangs gemachten Aussagen sind schon alle richtig ... bleibt für mich jetzt noch die Frage wie (!) man das Gehör am Besten trainiert.

Gibt es Vorgehensweisen die besonders geeignet sind um noch besser im "Hören" zu werden?

Gruß
Robert
Das würde mich auch sehr interessieren. Ich kann ja kaum 2 Akkorde
unterscheiden, wenn ich sie nicht selbst spiele.
Gruß sowatt
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RB
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Beitrag von RB »

Das ist eigentlich ganz simpel:

Wenn ich ein Stück gut finde und es spielen will, höre ich es mir an und versuche festzustellen, wie es akkordisch aufgebaut ist. Dazu nehme ich kein Hilfsmittel, außer der Tonaufnahme, Instrument, Papier und Stift.

1. Erst höre ich mir an, in welcher Tonart das Stück gespielt wird. Das geht so: Man hört den Akkord, zu dem hin die Musik sich auflöst, mit der das Stück meist auch beginnt. Nun kann man auf einer Saite den Grundton greifen und schauen, wo man zuhause ist. Dann kann man die weiteren Töne hinzunehmen, große Terz, kleine Terz (bei Dur, im moll umgekehrt) und wenn das Ergebnis dann ein anderer Akkord wird, ist der Ton, den man für den Grundton gehalten hat, ein anderer. Dann beginnt man erneut mit einem besseren Grundton-Kandidaten. Diese schrittweise Ertastung des Akkords ist die beste Übung für den Anfänger. Wer das nicht kann: Man kann das lernen, darf sich nur nicht schnell frustrieren lassen und muß dran bleiben.

2. Dann versuche ich, die Akkordfolge herauszubekommen. Dafür und auch für das Hören des Tonart-Akkordes habe ich zwei Wege:

a) Wenn die Musik gitarrenlastig ist, versuche ich von Anfang an gleichzeitig herauszufinden, in welchem Voicing an welchem Bund die Gitarren-Arbeit verrichtet wird.

Angenommen, ich merke, daß das Stück in D ist, bestehen verschiedene Möglichkeiten, das umzusetzen: D offen gespielt, Drop-D oder die C-Form mit dem Capo am zweiten Bund etc, etc. Wenn man das richtig macht, erschließen sich nämlich auch spieltechnische Details leichter. Im Bluegrass, um einmal im Genre zu bleiben, wird A beispielsweise sehr häufig in der G-Form mit Capo am 2ten Bund gespielt, die Griff-Form 320033, also mit verdoppelter Quinte, damit es energischer strahlt. E wird gerne in der D-Form mit dem Capo am 2ten Bund gespielt. Es ist klar, daß diese Umkehrung einen ganz anderen Charakter hat, als das offene E. Außerdem kann man mit den unterschiedlichen Formen Unterschiedliches spielen. Wenn der Akkord beispielsweise mit einer auf- oder absteigenden Melodie auf den mittleren- bis Bass-Saiten kombiniert ist, hat man recht häufig die C oder die D-Form vor sich - seltener auch die G-Form - und auch diese Differenzierung kann man mit etwas Übung sofort treffen, weil die absteigenden Verläufe jeweils unterschiedlich klingen und typischerweise zu unterschiedlichen Weiterleitungen führen, aber das nur am Rande.

Der Vorteil der Voicing-Erkennung besteht darin, daß man nicht nur weiß, was gespielt wird, sondern bis zu einem gewissen Grad auch, wie es gespielt wird.

b) Andernfalls ertaste ich die Akkorde auch mal einfach so, ohne auf Umkehrungen und solche Feinheiten zu achten. Vor allem bei eher (mir) genrefremden Arrangements geht es mir dann um das Akkordgerüst an sich. Die zur Stimme passende Tonart suche ich später und arrangiere so lange an einer eigenen Gitarrenbegleitung herum, bis ich merke, daß das gut klingen könnte.


Beim Erhören der Akkorde schreibe ich mir das Herausgefundene auf, bis ich irgendwo hängen bleibe, weil da einer dazwischen ist, den ich nicht sogleich erkenne. Diese Stelle höre ich mir so lange an, bis ich den Missetäter erkannt habe. Wenn es moll ist und sich gut in den Akkordablauf einfügt, probiere ich die gängigen Mollparallelen aus, Em statt G, Am statt C und so weiter. Ansonsten probiere ich herum, manchmal - besonders bei diesen Gurken-Akkorden - Ton für Ton. Das erfordert dann schon, daß man beim Hören die einzelnen Töne heraushört und innerlich gewissermaßen heraus schälen oder "abschichten" kann. Das ist reinweg Übungssache.

Das habe ich früher so betrieben, weil es keine Tabs gab und das einzige Bob Dylan-Song Heft, das ich im Jahre 1972 einmal in London erwarb, war für Klavier und Singstimme notiert und die Akkordangaben waren ziemlich fragwürdig. Heute mache ich es meist auch nicht anders.
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tired-joe
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Beitrag von tired-joe »

bob's art hat geschrieben: Gibt es Vorgehensweisen die besonders geeignet sind um noch besser im "Hören" zu werden?
Eine einfache Uebung, die dazu noch Spass macht: Einfach zu Musik aus der Konserve mitspielen. Zu Beginn z.B. zu Steve Earle Songs, da gibt es haeufig nicht viel mehr als drei Akkorde. Nach einer gewissen Zeit kommt man in die Stuecke rein, die Tonart, Akkordwechsel und den Rhythmus betreffend. Wichtig dabei: Sich selbst und gleichzeitig der Aufnahme zuzuhoehren. Und dabei lieber wenig, aber rhythmisch exakt, als zuviel zu spielen und dabei aus dem Takt zu kommen oder den beruehmten roten Faden zu verlieren.

Joe
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bob's art
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Beitrag von bob's art »

@RB: Jetzt muss ich mich erst einmal entschuldigen, dass ich Dich zu so einer umfassenden Einweisung in das Heraushören von Akorden genötigt habe :lol: ich muss mich aber auch dafür bedanken (!). Erstens ist es sehr hilfreich, das einmal so genau erklärt zu bekommen und immerhin werden ja hoffentlich noch mehrere „Foristen“ davon profitieren.

Bei nicht zu komplexen Songs mit „Standard-Akkorden“ gelingt mir das Heraushören übringens normalerweise auch ganz gut. Schwierig wird es in der Tat, wenn eben sogenannte „Missetäter“ auftreten … da ist man bei den heutigen Möglichkeiten (Tabs im www) dann doch schnell am PC um nach dem gewünschten Song zu suchen. Aber immerhin lernt man mit dieser Methode ja auch etwas dazu (nämlich ob die Tabs überhaupt richtig sind. Sonst muss man ja auch so weitersuchen, immer vorausgesetzt, dass man das überhaupt noch „gegenhört“).

@tired-joe: Mit Konserven mitspielen, ist natürlich die Standard Methode (uns „Älteren“ blieb ja früher oftmals auch gar nicht anderes übrig).

Vielen Dank 8)
Robert
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tele
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Beitrag von tele »

Wenn Du die nicht ad hoc mitspielen kannst, bist Du dort zur Passivität verdammt. Klar bekommt man auch ein paar kniffelige Stellen gezeigt, wenn sie sich nicht erschließen, aber eigentlich sollte das Zusammenspiel aus dem Ärmel kullern.
Diese Aussage charakterisiert eher die Musizierpraxis "Jam Session" als die Musikrichtung Bluegrass.
Bluegrass-Musik kann auch im festgefügten Bandkontext ohne den ad-hoc-factor erarbeitet werden.
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OV1667
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Beitrag von OV1667 »

Moin,

mag alles passen, solange es sich um Kadenzmusik handelt. Aber wenn es komplexer wird ...
Kommt ein Klassiker um Notenkenntnisse herum? 99% haben Musik studiert. Intervalle und Akkorde hören die so nebenbei heraus aber im Konzert nützt das relativ wenig.
Ach ja, da gibt es auch Ausnahmen komplexer Musik: die spielen dann nach dem "Zufallsprinzip" und nennen das dann Free Jazz ;)

Wer sich 8 Stunden am Tag mit Musik und seinem Instrument befassen kann bildet ohnehin Fähigkeiten aus, die ohne diese Routine gar nicht in der Form entstehen ... oder?
Die Erinnerung ist das einzige Paradies, aus dem man nicht vertrieben werden kann.
(Jean Paul)
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RB
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Beitrag von RB »

Mann Leute, ich rede nicht von Klassikern und Staatsgeigern. Das Thema heißt Bluegrass lernen. Daß man eine Symphonie oder sonst irgend ein komplexes Orchesterwerk mal eben heraushören könnte, hat, glaube ich, noch niemand behauptet.

Kommt mir vor wie der Thread "Fahrrad aufpumpen":

RB : "nimmt man am besten die Pumpe".

OV16: "Beim LKw oder Panzer geht die Pumpe aber nicht".

@Tele: Schon recht. Daß man das auch im Band-Kontext spielen kann, habe ich neulich auch irgendwo gelesen. Mir ging es darum, die typischerweise bei den Blugrassern auftretende Situation plastisch und elastisch vor Augen zu führen, die ein trainiertes Gehör zwingend erfordert. Geht man solchermaßen gerüstet in die Band, haben auch alle etwas davon.
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