Warum haben Nylon/Klassik-Gitarren kein Trussrod?

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scifi
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Warum haben Nylon/Klassik-Gitarren kein Trussrod?

Beitrag von scifi »

Vielleicht ist die Frage naiv und die Antwort liegt auf der Hand, aber ich sehe sie nicht.

Warum haben Nylon/Klassik-Gitarren in der Regel kein Trussrod? Ich habe zwar schon welche mit Halsstab gesehen - aber das scheint völlig die Ausnahme zu sein. Dafür habe ich schon einige hoffnungslos verbogene Hälse gesehen, wo ein Trussrod leicht Abhilfe geschafft oder die Biegung von vornherein verhindert hätte. Ein Preisargument kann es hier ja ab 150€ aufwärts nicht mehr geben. Und das der Klang schlechter wird, kann ich mir auch nicht wirklich vorstellen (habe ich als Gerücht gehört). Traditionspflege?


(Mist, falsche Rubrik. Das hätte unter "Gitarren (Klassisch/Flamenco)" gesollt)
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Pappenheim
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Beitrag von Pappenheim »

Weil diese Plastiksaiten nicht ansatzweise den Saitenzug von Stahlsaiten haben. Der Hals (und deswegen haben die meist fette Hälse) hält den Saitenzug von diesen Plastikschnüren auch ohne Stahlstab aus.
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RB
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Beitrag von RB »

Klassische Saiten 30-40 kg, Stahl 70-90 kg.
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scifi
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Beitrag von scifi »

Dann dürften ja die ganzen verbogenen Hälse, die man dann wieder mühsam mit dem Bügeleisen oder durch planfräsen versucht in den Griff zu bekommen, gar nicht existieren....... ;-)

Alleine schon als "Sicherheitsreserve" bei massiven Temperaturänderungen in der Umgebung wäre es doch sinnvoll einen Halsstab zu haben. Sehr schön zu sehen bei Musikanten, die alte Musik machen und oft permanent ihre Lauten oder Barockgitarren nachstimmen müssen und wo die Saitenlage sich dauernd ändert (ähnlich dem Wetterfrosch auf der Leiter).

Ich hatte mal eine Irish Bouzouki ohne Halsstab. Wenn man dort eine kontrollierte Saitenlage haben wollte, durfte man wirklich überhaupt nicht die Saitenstärke und Marke ändern. (Waren zugegeben auch Stahlseiten)

Ich hatte neulich mal einen Gitarrenbauer klassischer Gitarren danach gefragt und der konnte mir tatsächlich keinen anderen Grund nennen, warum er auf Trussrods verzichtet als "das macht man einfach üblicherweise nicht".
Zuletzt geändert von scifi am Di Nov 12, 2013 1:52 pm, insgesamt 1-mal geändert.
fretworker
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Beitrag von fretworker »

Hinzu kommt, dass ein Stahlstab das Gewicht des Halses erhöht, was nicht gewünscht ist.

Verzogene Hälse sind die Ausnahme, bei Meistergitarren habe ich noch keinen gesehen. Lediglich bei sehr alten Instrumente (19. Jh.) kann das schon mal vorkommen. Das hängt auch von der Holzqualität ab.

Gelegentlich werden Hälse gesperrt, also in Längsrichtung aus mehreren Stücken zusammengesetzt, das erhöht ebenfalls die Stabilität.
Gruß, fretworker
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Beitrag von fretworker »

scifi hat geschrieben:Sehr schön zu sehen bei Musikanten, die alte Musik machen und oft permanent ihre Lauten oder Barockgitarren nachstimmen müssen und wo die Saitenlage sich dauernd ändert (ähnlich dem Wetterfrosch auf der Leiter).
Da verändert sich nicht die Saitenlage, sondern das Saitenmaterial reagiert auf die – meist steigende – Luftfeuchtigkeit. Naturdarm ist da sehr empfindlich. Streicher mit Darmsaiten müssen auch ständig nachstimmen.
Gruß, fretworker
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Pappenheim
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Beitrag von Pappenheim »

Nur so zur Info: Der einstellbare Halsspannstab war eine Erfindung der frühen 1920er-Jahre; und zwar von Lloyd Loar, zu dieser Zeit Leiter der Entwicklungsabteilung der Gibson Guitar Corporation.
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scifi
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Beitrag von scifi »

fretworker hat geschrieben:Hinzu kommt, dass ein Stahlstab das Gewicht des Halses erhöht, was nicht gewünscht ist.
Ok, das leuchtet mir ein. Eine kopflastige Gitarre bei klassischer Spielhaltung kann ich mir auch schwierig vorstellen. Danke.
fretworker hat geschrieben:Verzogene Hälse sind die Ausnahme, bei Meistergitarren habe ich noch keinen gesehen. Lediglich bei sehr alten Instrumente (19. Jh.) kann das schon mal vorkommen. Das hängt auch von der Holzqualität ab.
Ich habe das bisher bei 3 günstigen Instrumenten mit Nylonsaiten gesehen, die zum Teil sicherlich auch nicht fachgerecht aufbewahrt wurden. (komme aber mit "Nylon" sonst kaum in Kontakt)
Bernd C. Hoffmann
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Beitrag von Bernd C. Hoffmann »

Die Halsbreite und -dicke hat weniger etwas mit Sicherheitsreserven zu tun. Beispielsweise waren die Gitarren von Manfred enorm laut. Damit der Hals nicht mitschwingt und so negativen Einfluss auf das Sustain nimmt, hatte er auffällig dicke Hälse verwendet. Auch ist meines Erachtens der Schwingauslage größer.

Bei der Auswahl achtet man auf "gut stehende" Hölzer (gem. G. K. Hannabach). Deshalb kommt meist Cedro, Mahagoni und vereinzelt Ahorn zum Einsatz. Dies hängt auch von der Bauart ab. Bei einer schweren Sperrholzgitarre bzw. einem Sperrholzkorpus im Einsteigerbereich findet man meist Mahagoni und Ahorn (z. B. Musima). Bei besseren nimmt man Cedro, weil es bessere Gewichtseigenschaften hat.

Anstelle des Halsstabes werden zur Verstärkung Mittelblockstreifen aus Ebenholz und Ahorn verleimt. Auch gibt es unsichtbare Halsverstärkungen aus Carbonblöcken, die unter dem Griffbrett in einen vorbereiteten Fräskanal verbaut werden (z. B. Antonio Picado). Daneben gibt es vereinzelt auch Konzertigitarren mit Halsstab. Bekanntester Anbieter ist Camps (bei Barcelona). Von Gewichts- oder Balanceproblemen kann allerdings keine Rede sein. Es hat überhaupt keinen Einfluss während des spielens. Man merkt es gar nicht, wenn man es nicht weiß.

Verzogene Hälse (Konzertigtarre) sind hauptsächlich die Folge der Holzauswahl und von extremen Temperaturunterschieden. Für 1.500 € kann ich keine 20 Jahre abgelagerten Hölzer verlangen.
Liebe Grüße
Bernd
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bookwood
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Beitrag von bookwood »

Bei weit über hundert Konzertgitarren, die ich bisher in Händen hatte, habe ich nur
extrem selten verzogene Hälse gesehen. Zuletzt kürzlich in einem süddeutschen
Laden bei einer ansonsten sehr schönen (und nicht billigen) Franziska Kössl. Da war
der Hals einseitig so vertwistet, dass der Diskant unbespielbar war. Solche Fehler
könnte man allerdings auch nicht mit einem Trussrod beheben.

Manchmal stößt man auf Instrumente, die für die eigenen Anforderungen an den
Spielkomfort eine ungeeignete Kombination aus Halskrümmung und Höhe der Stegeinlage
haben. Dann sind Nacharbeiten zur Optimierung kaum möglich. Da lass ich dann
die Finger von, weil man die Halskrümmung durch die Auswahl von Saiten mit
unterschiedlichem Zug nur in sehr engen Grenzen beeinflussen kann.

Die meist einteiligen Cedrohälse meiner eigenen Nylonstrings (auch im unteren
Preisbereich) haben bisher keinerlei Schwierigkeiten gemacht. Zwei davon (Camps und
Doderer Classic Jazz) haben Halsstäbe, an denen ich aber noch nie was verstellen musste.
Und ich stimme Bernd zu: Kopflastigkeit, die bei leicht gebauten Instrumenten selbst
ohne Trussrod vorkommt, ist fürs Spielen kein Problem.
Gruß
von
Ralf
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