Unbekannte Parlor/Wander/Folk Gitarre zugeflogen - Identifikationshilfe

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Niels Cremer
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Unbekannte Parlor/Wander/Folk Gitarre zugeflogen - Identifikationshilfe

Beitrag von Niels Cremer »

Hallo,

nun ist mir auch mal wieder ein altes Schätzchen zugeflogen, eine schöne kleine Parlorgitarre die allerdings das ein oder andere strukturelle Problem hat. Ich werde sie wohl bei Gelegenheit mehr oder weniger auseinandernehmen (Decke ab, Boden ab, Hals re-setten) da es einige Stellen gibt an denen sich Decke, Boden und Beleistung (Balken-Beleistung) gelöst haben. Leider hat sich da anscheinend schonmal jemand mit irgendeinem nicht-identifizierten Kleber dran versucht und ist bei diesem Versuch sehr liberal mit dem Kleber umgegangen, auch die Brücke wurde neu verklebt und (leider) verschraubt aber ich werde es dennoch mal versuchen - weil‘s Spaß macht, eine gute Übung ist und ich denke, dass die kleine Gitarre am Ende gut klingen könnte. Bespannt war sie mit Nylonsaiten, ich würde sie gerne so bebalken dass sie auch low-tension Stahlsaiten verträgt wenn sie fertig ist.

Hier ein paar Fotos, wer was zu Marke/Herkunft sagen kann möge damit nicht hinterm Berg halten, der Verkäufer (EUR30,-) konnte mir nichts sagen. Vor allem der „Stern“ der im ersten Bund eingeprägt ist (sonst keinerlei Griffbrett-Markierungen oder side-dots) würde mich interessieren da er wie ich hoffe uU auf ein Marke oder einen Erbauer rückschließen lassen könnte.

Danke & LG,
Niels
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fretworker
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Re: Unbekannte Parlor/Wander/Folk Gitarre zugeflogen - Identifikationshilfe

Beitrag von fretworker »

Wir brauchen viel mehr viel bessere Fotos. :wink:

Im Ernst, viel zu sagen ist da schwer. Das Sternchen heißt nicht viel, den Bünden nach waren sicher mal Stahlsaiten drauf. Wenn du Stahlsaiten mit versilberter Kupferdrahtumspinnung und Roundcore nimmst passiert auch nichts. Optima Bergfee oder was von Pyramid. Moderne Bronzedrahtsaiten haben alle zuviel Zug und klingen nicht. Da dürfte eine Leiterbebalkung drunter sein, die hält das aus.

Alter Kleber ist ein Problem, wenn er nicht wasserlöslich bzw. hitzelöslich ist. Da musst du gucken was geht. Falls der Steg soweit passt, würde ich nichts dran machen. Die Verschraubung könnte auch original sein, schwer zu beurteilen.

Mehr Antworten brauchen mehr Infos und Fotos. :D
Gruß, fretworker
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Niels Cremer
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Re: Unbekannte Parlor/Wander/Folk Gitarre zugeflogen - Identifikationshilfe

Beitrag von Niels Cremer »

Ja, ist ladder bracing, oben wo ich “Balken-Bebalkung” gewchrieben hab wollte ich eigentlich “Leiter” schreiben - geistige Umnachtung! :lol:

Es sind wie gesagt einige Leisten lose, eine Rücken/Bodenleiste ist ganz los und steht diagonal im Korpus, hat sich aber anscheinend entweder festgeklemmt oder ist aus welchem Grund auch immer so verleimt worden, auf jeden Fall kann ich sie nicht bewegen, etwas “schräg” im wahrsten Sinne des Wortes.

Zusätzlich fehlt eine Rücken/Bodenleiste und die Decke hat hinter der Brücke nur eine einzige Leiste; vorne, also vor dem
Schalloch in Richtung Hals eine Leiste und was sich anfühlt wie ein popsickle brace, Zustand bislang unbekannt. Werde heute evtl versuchen den Rücken abzunehmen um das ganze Trauerspiel anzuschauen …

Danke & LG,
Niels
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Niels Cremer
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Re: Unbekannte Parlor/Wander/Folk Gitarre zugeflogen - Identifikationshilfe

Beitrag von Niels Cremer »

Hier mal ein Foto der „schrägen“ Leiste, wie gesagt konnte ich sie bisher nicht aus dieser Position „befreien“, möchte auch nicht zu rabiat darangehen. Man sieht auch deutlich den großzügig aufgebrachten Kleber, keine Ahnung was das für ein goop ist, nach Holzleim sieht es nicht aus … Es sieht zudem so aus als sein fast die ganze Gitarre mal mit diesem Kleber neu verklebt worden ist, zumindest der Rücken scheint schonmal ab gewesen zu sein. Jenachdem was das für ein Kleber ist wird es schwierig werden - I‘ll keep you posted!

LG,
Niels
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fretworker
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Re: Unbekannte Parlor/Wander/Folk Gitarre zugeflogen - Identifikationshilfe

Beitrag von fretworker »

Da war leider ein Pfuscher am Werk. Die gesamte Boden- und Deckenbeleistung muss zur Zerge hin gekürzt werden, das Holz des Korpus schrumpft etwas mit den Jahren und die Leisten stechen durch. Das ist normal.

Fotos von Decke und Boden sind zunehmend interessant. :pro:
Gruß, fretworker
Es335
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Re: Unbekannte Parlor/Wander/Folk Gitarre zugeflogen - Identifikationshilfe

Beitrag von Es335 »

Also für mich sieht das sehr nach einer Biedermeier Gitarre aus und zwar eher einer Replik aus dem Zeitraum Ende 19. bis Anfang 20. Jahrhundert, vermutlich aus dem Markneukirchener Raum. Für den ursprünglichen Entstehungszeitraum, der etwa 100 Jahre früher liegt, ist sie eindeutig zu schlicht gehalten. Dafür spricht auch der Fensterkopf. Den gab es zwar bereits im 19. Jahrhundert, die Wirbelköpfe haben aber selbst in der Revivalperiode überwiegt.

Form, Leiterbebalkung, geschwärzter Hals, ebonisiertes Griffbrett, fehlende Griffbrettmarkierung, und Stöcklsteg sprechen eindeutig dafür. Der Stern-Brandstempel in der 1. Lage könnte ein Qualitätsmerkmal sein. Meine ehemalige Herwiga Solist war als Top of the line Model ähnlich gekennzeichnet und bei Siegfried Eichhorn, war es ein Eichhörnchen als Kennzeichnung seiner Solisteninstrumente.

Das einzige was das ansonsten stimmige Gesamtbild stört ist die Form des Steges. Die wäre für eine Biedermeiergitarre sehr untypisch. Da wurden in allen Phasen mehr oder weniger aufwendig verschnörkelte Moustache-Stege verbaut und den Bildern nach zu urteilen, sieht es nicht danach aus, dass ein neuer/anderer Steg verbaut wurde. :?

Der Renovierungspfusch ist natürlich sehr bedauerlich. Toi, toi, toi für deine „Rettungsarbeit“. Der Königsweg wäre natürlich den Boden abzumachen. Vielleicht findet sich im Korpusinneren noch ein Hinweis auf die Provinienz!?

Gruß
Es335
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Niels Cremer
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Re: Unbekannte Parlor/Wander/Folk Gitarre zugeflogen - Identifikationshilfe

Beitrag von Niels Cremer »

Es335 hat geschrieben:
So Jan 07, 2024 12:02 pm
Der Renovierungspfusch ist natürlich sehr bedauerlich. Toi, toi, toi für deine „Rettungsarbeit“. Der Königsweg wäre natürlich den Boden abzumachen. Vielleicht findet sich im Korpusinneren noch ein Hinweis auf die Provinienz!?
Danke euch! Ja, ich muss die Gitarre auseinanderbauen um das alles säubern und korrigieren zu können, der erste Schritt - abnehmen des Bodens - ist bereits getan. Es war zum Glück einfacher als befürchtet da sich der Kleber des letzten Reparateurs (aka Verschlimmbesserer) zum Glück recht leicht lösen liess da er ziemlich brüchig ist, sodass ich den Boden ohne Beschädigungen ablösen konnte. So sieht‘s von innen aus, leider keinerlei weitere Markierungen, ausser Streichholzstrichen bei den Positionen der Beleistung und einer (teilweisen) Durchnummerierung auf den Leisten selbst (1 - 6). Was ich vorher als „popsickle brace“ durch das Schalloch erfühlt hatte entpuppte sich als grob zugeschnitzte und dick verklebte Ersatz-Leiste. Mitlerweile hab ich schon die Säuberung begonnen, so sah es im Moment der Öffnung aus:
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Sieht schlimm aus, aber die Substanz scheint ok zu sein, ich bin vorsichtig-optimistisch. :wink:

LG,
Niels
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chrisb
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Re: Unbekannte Parlor/Wander/Folk Gitarre zugeflogen - Identifikationshilfe

Beitrag von chrisb »

hi niels,

was haste nun mit der gitarre vor?
willst du sie einigermaßen originalgetreu restaurieren?

oder nachdem sie vermutlich keine wirkliche historische sammlerikone ist (prewar martin),
pimpst du sie mit scalloped x-bracing, etc.?

was machen halswinkel und saitenlage?
chrisb
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Niels Cremer
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Re: Unbekannte Parlor/Wander/Folk Gitarre zugeflogen - Identifikationshilfe

Beitrag von Niels Cremer »

Also im Moment hat sie gar keine Saitenlage mehr ... :wink:

Im Ernst: durch die fehlenden Leisten war die Decke leicht um das Schalloch herum eingesunken, ich werde die Beleistung erneuern/reparieren und zusätzlich ein Art popsickle brace hinzufügen sowie einen dünnen Verstärkungsring unterhalb der Rosette, ich gehe davon aus, dass das in einer relativ guten Saitenlage und Bespielbarkeit resultieren sollte. Falls nicht muss der Hals doch nochmal neu gesetzt werden. Es ist übrigens eine dove-tail Verbindung mit Halsfuß im Stauffer-Stil.

Ich werde versuchen, sie mehr oder weniger originalgetreu wiederzubeleben; da sich die Brücke leicht angehoben hat werde ich sie auch lösen und entweder neu verleimen oder eine neue Brücke verbauen, das kommt darauf an wie gut ich sie abbekomme. Zusätzlich habe ich mir überlegt eine (kleine) bridge-plate zu verbauen da die Decke durch die ball-ends von unten bereits ziemlich gelitten hat. Es waren übrigens Nylonsaiten aufgezogen, aber interessanterweise welche mit ball-ends auf den Basssaiten und schwarzen Nylon-Röhrchen plus Knoten auf den (schwarzen) Diskantsaiten. Nylon-Basssaiten mit ball-ends hatte ich ehrlich gesagt noch nie gesehen - again what learned!

Danke für deine Frage & LG,
Niels
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Re: Unbekannte Parlor/Wander/Folk Gitarre zugeflogen - Identifikationshilfe

Beitrag von Es335 »

Niels Cremer hat geschrieben:
Mo Jan 08, 2024 12:57 pm
… Nylon-Basssaiten mit ball-ends hatte ich ehrlich gesagt noch nie gesehen - again what learned!
… gibt es z.B. von Ernie Ball, Martin, Fender aber auch d‘Addario (Folk Singer heißen die glaube ich!?) :wink:
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Jürgen
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Re: Unbekannte Parlor/Wander/Folk Gitarre zugeflogen - Identifikationshilfe

Beitrag von Jürgen »

Habe hier eine schöne Übersicht zu Nylonstrings mit Ballend gefunden. Gibt mehr als ich dachte.
Gruß

Jürgen

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Klar ist doch auch, daß die Beschränkung auf eine einzige Gitarre auf eine extreme Notsituation, im Grunde auf den Zusammenbruch der Zivilisation hinweist. (RB)
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Niels Cremer
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Re: Unbekannte Parlor/Wander/Folk Gitarre zugeflogen - Identifikationshilfe

Beitrag von Niels Cremer »

Da ich mich ja kühn dazu entschlossen habe, die Kleine mit einem neumodernen X-bracing zu versehen habe ich heute mal einen ersten Plan für die Beleistung gemacht, basierend auf einem Plan für eine kleine Martin. Durch die eher längliche Form und die Position der Brücke ist die bridge plate die ich auch einplane (original hatte sie gar keine Verstärkung unter der Decke im Brückenbereich) im Verlgleich zu zB Martins 00 oder 000 Gitarren sehr weit vom „X“ des bracings entfernt.

Was meinen die interessierten Laien, oder gar die mitlesenden Profis - passt das so (ungefähr) oder ist da was grob falsch? Zu viel (mir kommt‘s schon viel Beleistung vor für so eine kleine Gitarre)? Oder gar zu wenig?? Oder am falschen Platze … ???

Danke euch & LG,
Niels

Die Zeichnung habe ich in Originalgröße angefertigt:
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RB
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Re: Unbekannte Parlor/Wander/Folk Gitarre zugeflogen - Identifikationshilfe

Beitrag von RB »

Das klingt wie eine interessante Idee und die Zeichnung sieht so aus, als könne man sie an die Wand hängen.
fretworker
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Re: Unbekannte Parlor/Wander/Folk Gitarre zugeflogen - Identifikationshilfe

Beitrag von fretworker »

Ich bin weiß Gott kein Gitarrenbauer, aber mir kommt das schon so vor, als sei das viel Leiste für wenig Gitarre. :?:
Gruß, fretworker
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Niels Cremer
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Re: Unbekannte Parlor/Wander/Folk Gitarre zugeflogen - Identifikationshilfe

Beitrag von Niels Cremer »

Ja, mittlerweile hat Chris mir auch einen Martin single-0 Plan geschickt :bide: , also einer zumindest besser vergleichbaren Gitarre als die 000 auf deren Plan ich mich bezogen habe, und da fällt die Beleistung schon sparsamer aus (nur eine Fingerleiste als jeweils zwei).

Im Moment hab ich eh noch nichts weiter gemacht weil wir im Umbau bzw. Umräumen stecken, mit dem schönen Ergebnis dass ich jetzt direkt neben meiner Holzwerkstatt einen separaten kleinen Arbeitsplatz für eher saubere Arbeiten wie Löten, Pfelge, Einstellen etc. habe, sehr schön! :bide: Aber bald geht's weiter! :D

LG,
Niels
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