Gibts alternatives / Open Tuning auf der Konzertgitarre?

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docsteve
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Beitrag von docsteve »

Also wenn schon das "Loch in der Banane" auf Nylon, dann doch bitte anständig gespielt: https://www.youtube.com/watch?v=mdkEvpKCra8

Andere Stimmungen, die mir so einfallen: Lautenmusik wird mit 3=F# gespielt. Ein paar Stücke von Celso Machado haben 3=A. Barrios hat gelegentlich 6=E, 5=G.
Ist nicht Sevilla von Albeniz in DGDGHE ? Das ist doch praktisch Open-G mit hoher E-Saite, oder? (Open Tunings sind nicht gerade mein Spezialgebiet)
Korrekt ;-) Das Stück ist aber eine Bearbeitung, original ist es für Klavier.

DAS Stück für ein alternatives Tuning auf der Konzertgitarre ist "Koyunbaba" von Carlo Domeniconi. Hier eine Fassung: https://www.youtube.com/watch?v=IT8wYIPlg_s Für mich ist jede Fassung, so gut wie die andere, weil ich das Stück nämlich total langweilig finde :oops:

Die Stimmung ist m.W. 6th C#, 5th G#, 4th c#, 3rd g#, 2nd c#, 1st e (s. auch http://www.guitar.markantony.net/2009/02/09/koyunbaba/). Eine Barocklaute war übrigens ähnlich gestimmt, das klingt dann so: https://www.youtube.com/watch?v=DRwuB8qFScU

Ich glaube, es gibt zwei Gründe, weshalb alternative Tunings auf der Konzertgitarre selten sind: Nylonsaiten haben in der Tat ein anderes "Gedächtnis" und versuchen mehr als Stahlsaiten, wieder in ihren Ausgangszustand zurückzukehren. Der eigentliche Grund dürfte aber m.E. darin liegen, dass Kompositionen für klassische Gitarre in der Regel nicht an der Gitarre entstehen, während sich viele Stahlsaitlinge von Open Tunings inspirieren lassen.

Viele Grüße, Stephan
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tele
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Beitrag von tele »

Der eigentliche Grund dürfte aber m.E. darin liegen, dass Kompositionen für klassische Gitarre in der Regel nicht an der Gitarre entstehen, während sich viele Stahlsaitlinge von Open Tunings inspirieren lassen.
Hm...also Dowland oder Weiß spielten Laute, Sor und Giuiliani Gitarre und die meisten Gitarrenkompositionen aus neuerer Zeit stammen auch von Gitarristen wie Leo Brouwer, Dusan Bogdanovic oder Roland Dyens, um jetzt mal wahllos ein paar rauszupicken. Ob die jetzt beim komponieren auf der Gitarre rumprobiert haben oder sich der Kompositionsprozess hauptsächlich im Kopf abgespielt hat, läßt sich natürlich schwer nachvollziehen, Tatsache ist aber, dass Mozart und Beethoven nicht für Gitarre komponiert haben, also eine profunde Kenntnis der Möglichkeiten des Instruments ist da wohl doch Voraussetzung.
Von Brouwer gibt es übrigens ein Stück, bei dem man während des Spielens die E-Saite auf Es runterstimmen muss, das ganze ist aber soweit ich mich erinnere, so eine schräge Angelegenheit, dass kleinere "Unstimmigkeiten" da kaum ins Gewicht fallen dürften. :wink:
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docsteve
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Beitrag von docsteve »

Ich wollte eigentlich darauf hinaus, dass sehr viele Kompositionen für Steelstring-Gitarre in Open Tunings von Steelstring-Gitarristen so klingen, als wären sie durch Experimentieren entstanden. Immerhin gibt es etliche Künstler, die genau das für sich in Anspruch nehmen (Joni Mitchell und Vicki Genfan zum Beispiel). Ich behaupte lediglich, dass Kompositionen für klassische Gitarre nicht in diesem Sinne "vom Instrument her" gedacht sind.

Natürlich gibt es genug Komponisten für "klassische" Gitarre, die selbst hervorragende Gitarristen sind, und natürlich muss ein Komponist die Möglichkeiten jedes Instruments kennen, für das er schreibt. Brouwer arbeitet ja z.B. gezielt mit den verschiedenen Klangfarben der Gitarre. Wenn ich aber an die Polyphonie eines Dowland oder Weiss denke, ist es für mich schwer vorstellbar, dass solche Kompositionen durch Jammen am Instrument entstanden sind. "Das Loch in der Banane" macht da schon eher den Eindruck...

Und noch zwei Vermutungen, weshalb es keine Tradition für alternative Stimmungen gibt:

- Hat schon mal jemand Darmsaiten gestimmt, am besten noch mit Wirbeln?
- Wer spielt schon wirklich gut in mehr als einer Stimmung und kennt sich auf dem Griffbrett so weit aus, dass er wirklich weiß, welche Töne wo liegen? Anders formuliert: Wer kann nicht nur in Standardstimmung nach Noten spielen, sondern auch in DADGAD, Open D und/oder Open G? D.h. aber auch: in dem Moment, wo ich eine alternative Stimmung vorgebe, sperre ich die meisten Gitarristen aus bzw. erschwere den Zugang zum Stück erheblich. (Für Koyunbaba gibt es außer den Noten auch eine Art Tab.)

Okay, Konservatismus spielt bestimmt auch eine Rolle 8)

Viele Grüße, Stephan
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wuwei
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Beitrag von wuwei »

tele hat geschrieben:[...] und die meisten Gitarrenkompositionen aus neuerer Zeit stammen auch von Gitarristen wie Leo Brouwer, Dusan Bogdanovic oder Roland Dyens, um jetzt mal wahllos ein paar rauszupicken.
Hmm... ist vielleicht eine etwas einseitige Wahrnehmung (wenn auch quantitativ sicher richtig), macht aber andererseits verständlich, daß die Gitarre in der "ernsten Musik" nach wie vor nicht wirklich angekommen ist.

Denn nicht nur bei den von Dir genannten Gitarristen/Komponisten finden sich zu Hauf Werke, deren einziger Daseinszweck und -berechtigung eben der Personalstil des komponierenden Gitarristen ist. Etwas Allgemeingültiges, über sich selbst Hinausweisendes, das ein Werk erst bedeutend, möglicherweise sogar unsterblich macht, mangelt doch nahezu allen derartigen Kompositionen, oder?

Ganz anders ist's aber mMn, wenn sich ein Komponist von Format, wie z.B. Hans Werner Henze in der Royal Winter Music, der Gitarre annimmt. Daß sich hier 'ne ganz andere Welt auftut, wird doch, unabhängig von Gefallen oder Nichtgefallen, persönlichem Geschmack oder Vorlieben, schon nach wenigen Takten klar.

Die Gitarre ist übrigens DAS romantische Instrument. Das Interesse von Komponisten an ihr rangierte also zu Zeiten Mozarts oder Beethovens noch etwa auf dem Niveau eines Alphorns. :wink:

Herzlichen Gruß, Uwe
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tele
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Beitrag von tele »

Ich habe nochmal darüber nachgedacht, ich denke die letzten beiden Beiträge gehen da schon in die richtige Richtung, aber ein weiterer Grund dafür, dass Klassik hauptsächlich in Standartstimmung gespielt wird, ist wohl, dass die Standartstimmung der beste Kompromiss zwischen Leichtigkeit im Melodiespiel und Klangfülle im Akordspiel ist.
Wenn man mit der herkömmlichen ein-Finger-pro-Bund-Technik greift, kann man in der ersten Lage eine komplette chromatische Tonleiter ohne irgendwelche Lagenwechsel spielen. Wenn man dieses Quartenkonzept konsequent fortstzen würde, dann müsstee man die Gitarre E-A-D-G-C-F stimmen. Dadurch käme man beim Melodiespiel noch einen Halbton höher, aber ein einfacher E-Dur-Griff würde eine ziemliche Tortur...Offene Stimmungen bringen wohl mehr beim Akkordspiel, aber von den Melodietönen her schränken sie einen wohl eher ein. (merke ich zumindest gelegentlich beim Banjo, was ja wie der obere Teil von Open-G gestimmt ist.Da fehlt mir auf der hohen D-Saite dann gelegentlich ein Ton, der wird halt geopfert, damit Akkorde leichter zu greifen sind)
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string
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Beitrag von string »

"Also wenn schon das "Loch in der Banane" auf Nylon, dann doch bitte anständig gespielt: https://www.youtube.com/watch?v=mdkEvpKCra8"

Da muss ich doch mal ganz kräftig zustimmen, docsteve.
Sehr gefühlvoll gespielt und kein bißchen labbriges Dahingeplätscher.
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Herigo
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Beitrag von Herigo »

was tele schreibt scheint mir doch ein wichtiger aspekt zu sein, ein guter kompromiss zwischen greifbaren akkordspiel und nötigem tonumfang für ein melodie instrument.

was ich jedoch immer wieder feststelle und hier schon mehrmals erwähnt habe ist, dass die standardstimmung praktisch die offene stimmung des flamenco ist, in wie weit das seit torres die standardstimmung beeinflusst hat weiß ich nicht. tatsache ist aber, dass man ständig leersaiten benutzt und dies sehr zum flamencosound beiträgt. dies betrifft sehr oft auch, bzw. im besonderen disonante intervalle, verminderte quinten oder sekunden (kleine nonen). spielt man einen b-dur akkord vor einem a-dur lässt man die e-saite frei, spielt man die andalusische kadenz in h-dur (trivial ab 7. Bund - Em, D, C, H) braucht man keinen barree einsetzen sondern lässt immer e, g und die tiefe e saite offen. oder auch Am, G, F, E, dabei lässt man ab G barree die h und e saite offen. man muss nicht aber man kann und es klingt stilecht. es ist auch üblich den gleichen ton einer leersaite zu greifen und rhythmische figuren auf beiden saiten zu spielen die man mit dem ton auf nur einer saite so nicht hin bekäme. hinzu kommt, dass eine übliche art des transponierens der einsatz eines capos (cejilla) ist.

all dies ist natürlich auch in anderen stillistiken nicht ungewöhnlich und sicher werden dafür auch zum teil offene stimmungen benötigt, diese weichen oft von der standardstimmung ab.
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Der Papa
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Beitrag von Der Papa »

Gibt schon ein paar Beispiele .

Barrios Choro da saudade DGDGBE

http://www.youtube.com/watch?v=SUeZcPWpROg

oder
Domeniconi Koyunbaba C#G#C#G#C#E

http://www.youtube.com/watch?v=1n4n2dcyBrA
Bernd C. Hoffmann
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Beitrag von Bernd C. Hoffmann »

Offenbar gibt es doch jemand, der zudem seine Kompositionen als Tab zum Kauf anbietet: Declan Zapala.

Hier eine kleine Auswahl:
https://www.youtube.com/watch?v=lf9MApKAgAc
https://www.youtube.com/watch?v=6FJHapbRtvI
https://www.youtube.com/watch?v=hZNGkJ99BK4
https://www.youtube.com/watch?v=NASBpbVLChY

Viel Spaß!
Liebe Grüße
Bernd
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Ulrich Peperle
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Beitrag von Ulrich Peperle »

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StringKing
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Beitrag von StringKing »

Bernd C. Hoffmann hat geschrieben:Offenbar gibt es doch jemand, der zudem seine Kompositionen als Tab zum Kauf anbietet: Declan Zapala.

Hier eine kleine Auswahl:
https://www.youtube.com/watch?v=lf9MApKAgAc
https://www.youtube.com/watch?v=6FJHapbRtvI
https://www.youtube.com/watch?v=hZNGkJ99BK4
https://www.youtube.com/watch?v=NASBpbVLChY

Viel Spaß!
Hey, nice!
Vielen Dank für den Tip.
Gruß StringKing
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Herigo
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Beitrag von Herigo »

Ulrich Peperle hat geschrieben:
... was ich jedoch immer wieder feststelle und hier schon mehrmals erwähnt habe ist, dass die standardstimmung praktisch die offene stimmung des flamenco ist ...
Andersrum wird ein Schuh daraus: die Akkordevoicings im Flamenco beruhen auf der seit ca. 1780 üblichen Standardstimmung der 6-saitigen Gitarre.

mfG
Ulrich
hallo ulrich,

wo ist hier der widerspruch? ich wollte nicht behaupten, dass die standardstimmung allein durch den flamenco enstand, sondern diese stimmung für mich ähnlich einer offenen stimmung im flamenco gehandhabt wird. ist das nicht genau das was du schreibst???
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Ulrich Peperle
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Beitrag von Ulrich Peperle »

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wuwei
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Beitrag von wuwei »

Danke für Deine Einlassung, Ulrich! Deine Argumentation ist, wie gewohnt, so kenntnisreich und wohldurchdacht, daß ich schon um ein Haar geneigt war, ihr rückhaltlos zuzustimmen. :wink:

Indes finde ich die damit aufgeworfenen oder zumindest berührten Fragen: Was ist ein Meisterwerk, bzw. noch umfassender: Was ist überhaupt ein Kunstwerk, und wer oder was macht es zu einem solchen?, so interessant, daß ich nicht umhin kann, Deinen Ausführungen meine höchst spekulative und subjektive Sichtweise nicht entgegenzustellen, sondern vielmehr als vielleicht ebenfalls mögliche Perspektive beizugesellen. Dazu muß ich allerdings sehr tief in der wuwei'schen Schatztruhe wühlen - und dem Plunder, der sich dort findet, wird, fürchte ich, Dein ungeschmälertes Wohlwollen nicht zuteil werden. :)
Wenn man Musik unter semiotischen Aspekten betrachtet, dann kann jede (instrumentale) Komposition immer nur auf sich selbst verweisen - das ergibt sich zwangsläufig aus den Unterschieden zwischen den Zeichensystemen der Musik und der Sprache.
Nun, die Musik läßt sich gewiß auch unter semiotischen Aspekten, und dies möglicherweise sogar mit Gewinn, betrachten - aber mir stellt es ehrlich gesagt die Nackenhaare auf, wenn Musik oder Sprache, wie in der modernen Wissenschaft üblich, zu Zeichensystemen degradiert werden. Kann das angehen? Sind sie das denn wirklich? Nur Zeichensysteme (somit ohne eigenes Leben; tote Werkzeuge - dem Menschen zur beliebigen Verfügbarkeit, bis hin zur völligen Vernutzung, anheimgestellt?), keine Universalien, an denen der Einzelmensch (oder auch ein Volk, bzw. eine Sprachgemeinschaft) zwar einen individuellen Anteil hat; aber erwirbt er damit irgendwelche Rechte an der Musik oder der Sprache, oder hat er sie gar erschaffen, um sie dann nach Gutdünken zu nutzen, so wie man nach Belieben in einen Omnibus einsteigt, oder eben nicht? Ist's nicht stattdessen so, daß diese ihm den Raum zur schöpferischen Tätigkeit erst gewähren, ihn bereitstellen, und wie der Mensch sich auch mühen mag, seine Teilhabe an diesen Universalien zu vergrößern - er wird dadurch doch weder der Musik, noch der Sprache, auch nur ein Jota hinzufügen oder entnehmen können? Verdanken also, diesen Faden mal weitergesponnen, Sprache und Musik ihr Dasein dem Menschen, oder verdankt er ihnen im Gegenteil gar das seine? Hmm, schwierige Frage... ich halte es darin jedenfalls mit M. Heidegger: Die Sprache (und in meiner Version auch die Musik) ist das Haus des Seins.
Die "Unsterblichkeit" eines Werkes ist ohnehin eine historisch begrenzte Fiktion und primär von seiner Rezeption durch Zuhörer und Kritiker, sowie die Kanonisierung durch Institutionen und Interpreten abhängig [...]
Das ist solide, unanfechtbar und gewissermaßen mit beiden Beinen auf dem Boden gedacht, doch Du ahnst es sicher schon: Der wuwei zielte mit dem Köder der Unsterblichkeit in durchaus andere Sphären, denn auf dem Boden zu bleiben, wollte ihm da so ganz und gar nicht in den Sinn kommen...

Meine Grundüberlegung dazu ist denkbar schlicht, nämlich: Was haben Sprache und Musik eigentlich zur Voraussetzung? Ganz klar: das Schweigen! Ohne Schweigen sind beide nicht denkbar. Sie erheben sich aus dem Schweigen und münden in es, sie brechen das Schweigen und führen wieder zu ihm hin. Man könnte auch sagen: Das Schweigen gebiert die Musik, wie auch die Sprache. Es ist also deren Urgrund und Heimstatt. Und wär's nicht sogar möglich, daß es beim Musizieren und Sprechen weniger auf die Töne und Worte selbst ankommt, die erklingen, sondern auf das Schweigen, das durch sie hindurch hörbar wird, das sie dem Hörer auf neue, vielleicht einzigartige Weise erfahrbar machen; ähnlich wie es bei den Propyläen ja nicht um die Säulen an sich, oder deren Beschaffenheit geht, sondern eben um den Himmel, den man durch sie hindurch, mit neuem Blick begabt, sieht. Wo dagegen pausenlos gedudelt oder geplappert wird, nähern sich Musik und Sprache der Unverständlichkeit, ja der völligen Sinnlosigkeit, dem Lärm, dem Chaos an.

Wenn aber das Schweigen Musik und Sprache aus sich heraus gebären kann, dann muß es doch eine Qualität, eine bestimmte Beschaffenheit haben, oder? Es kann somit nicht einfach die Abwesenheit von Musik oder Sprache sein, denn es muß ja Musik und Sprache bereits als Potenz, als latente Möglichkeit in sich tragen. Wir dürfen deshalb mit einem gewissen Recht vermuten, daß Schweigen nicht Nichts ist, sondern eine Seinsform mit einem wie auch immer gearteten Energiezustand (einer Qualität). Und wäre es jetzt abwegig, desweiteren zu vermuten, daß Musik und Sprache, wenn sie wieder im Schweigen münden, dies nicht sang- und klanglos tun, sondern daß die Worte, Gedanken, Rhythmen, Melodien und Harmonien beladen wie die Bienen heimkehren, und im besten Fall die Kraft haben, den Energiezustand, die Potenz des Schweigens zu verändern? Und wäre das nicht eindeutiges Insignium eines Kunstwerks, das Schweigen "aufladen" zu können? Und wäre es dadurch nicht auch zwingend unsterblich - fern aller Kennerzänkereien und dem Puplikumsgeschmack?

Btw: Das Concierto de Aranjuez ist mir von jeher ein Greuel. Werde nie verstehen, wie man sich das freiwillig ein zweites Mal anhören kann...

Herzlichen Gruß, Uwe
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Ulrich Peperle
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Beitrag von Ulrich Peperle »

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Zuletzt geändert von Ulrich Peperle am Sa Apr 09, 2016 9:52 am, insgesamt 1-mal geändert.
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