Gibts alternatives / Open Tuning auf der Konzertgitarre?

Alles über die klassischen Spielweisen

Moderator: RB

Benutzeravatar
wuwei
Beiträge: 2628
Registriert: Di Jun 28, 2011 9:07 pm
Wohnort: Im größten Dorf der Welt
Kontaktdaten:

Beitrag von wuwei »

Bei aller gebotenen Toleranz stelle ich aber grundsätzlich jede eurozentristisch-abendländische Perspektive in Frage, die nicht ausreichend berücksichtigt, dass sich ein historisch und kulturell äußerst begrenzter, das Absolute und Autonome implizierender Begriff des "Kunstwerkes" nicht ohne erhebliche Diskrepanzen auf die (in unserem Verständnis) "künstlerischen" Äußerungen anderer Kulturen übertragen läßt, die entweder nicht einmal über eine explizite Bezeichnung für "Musik" oder "Kunst" verfügen, oder (wie die zahlreichen Subkulturen innerhalb einer Gesellschaft) von völlig anderen Wertigkeiten ausgehen. Daher ist mir auch ein zu weit gefaßter Begriff der "menschlichen Universalien" im Kontext von Kunst und Musik äußerst suspekt.
Damit rennst Du bei mir offene Türen ein, Ulrich - eine Sandbank, auf der man nur allzu leicht aufläuft! Dein Eindruck, dies könne hier der Fall sein, beruht jedoch, wie mir scheint, auf der historisch bedingten Ambivalenz des Begriffs Universale, worunter wir offenbar etwas durchaus verschiedenes verstehen. Dein Ausdruck "menschliche Universalien", welcher impliziert, daß Universalien lediglich Abstraktionen des Menschen seien, und den ich deshalb so niemals verwenden würde, deutet darauf hin.

Hmm... Damit befinden wir uns wohl unversehens in einer Neuauflage des Universalienstreits, wobei mir die Rolle des Ritters von der traurigen Gestalt zukäme, der gegen den übermächtigen, weil allenthalben längst siegreichen Nominalismus zu Felde zieht? Dem wäre ich allerdings kaum gewachsen, da es mir an der dafür nötigen umfassenden Bildung fehlt. Ich bin da doch erheblich einfacher gestrickt und finde mich am ehesten bei Platons Grundkonzeption der Ideenlehre wieder, allenfalls noch im Denken des Augustinus, aber schon Aristoteles ist mir im höchsten Maße suspekt durch seine ständigen Relativierungen.

Wenn ich also von Universalien spreche, dann immer in einem kindlich-naiven, die Wirklichkeit und "Leibhaftigkeit" ihrer Existenz nicht anzweifelnden Sinne, ohne auch nur den Hauch einer Abstraktion. Folglich denke ich sie seiend, losgelöst und unabhängig von etwaigen Erkenntnis- oder Erlebnismöglichkeiten des Menschen, seiner kulturellen oder sonstigen Bedingtheit, ja, seiner irdischen Existenz überhaupt. Mit anderen Worten: Gibt es Universalien, so müßte und würde es sie auch dann geben, wenn noch kein Mensch sie als solche erkannt, oder mittelbar auf sie geschlossen hätte. Und auch dann, wenn noch kein Mensch je die Erde betreten hätte - denn dies kann er ja nur, meinem Gedanken zufolge, weil es diese Universalien gibt!
Die Idee eines kunstschwangeren, ansonsten aber recht schweigsamen "Es" vermag nicht, die große Fragen nach Ursprung, Wesen und Daseinsberechtigung des "Kunstwerks" zu klären - nicht zuletzt, weil sie mit zu vielen anderen, durch die Annahme permanenter kosmischer oder göttlicher "Dauerbeschallung" völlig gegensätzlichen Konzepten, (neben den unzähligen Modellen der schnöden Wissenschaft) in Konkurrenz steht.
Was mich letztlich am Gedankenbild des "Schweigens" besonders stört, ist der Umstand, dass dieses so viele lärmende Mißgeburten generiert - da ist noch eine Menge korrigierender Feinarbeit nötig.
Daß wir hier im FiPiFo Fragen klären, die die besten Köpfe seit Jahrtausenden umtreiben, ohne dabei eine rundum befriedigende Antwort gefunden zu haben, wäre ja auch kaum anzunehmen, oder? 8)

Mein Gedankengang kommt übrigens ganz ohne "Es" aus. Er schreitet den Raum des Schweigens ab - alles darüber hinaus wäre Religion, da stimme ich Dir zu. Richtig ist auch, daß das Schweigen begrifflich unscharf ist, was es mir noch lieber macht, da ich gerne mit seiner Vieldeutigkeit spiele. Interessant und möglicherweise auch bedenkenswert finde ich, daß das geniale Wort Schweigen meinen Denkansatz quasi aus sich selbst heraus auf dem silbernen Tablett liefert, denn die Konsonantengruppe Schw findet sich häufig (dabei meist in Verbindung mit den Vokalen e, a, ä) am Anfang von Worten, die in irgendeiner Weise Trächtiges, Latentes, Geborgenes, Geladenes, aber auch bereits die Spannung und Dynamik der zu erwartenden Entladung, des Ausbruchs, beinhalten: schwelen, schwären, schwellen, schwül, schwanger... Und dann steckt auch noch das Wiegen drin... Na, wenn das keine gelungene Kadenz ist, hm? :wink:

Herzlichen Gruß, Uwe
"A Harf’n g’hert in ka Symphonie;
i’ hab’ ma nöt helf’n könna."
(Anton Bruckner über seine 8.)
Antworten