ich habe vorhin auf Deiner Seite Dein Lied "Ich hätt' dich gern gekannt" gehört. Es hat mich sehr bewegt, weißt Du. Nach dem, was Du hier gerade schreibst, hätte ich Dir so eine Fähigkeit zur verzweifelten Trauer (so habe ich es empfunden) gar nicht zugetraut. Und das zeigt mir wieder, wie vielschichtig Menschen sind und wie gefährlich schnelle Urteile anhand weniger Aussagen.
Was mein Lied betrifft, so geht es doch gar nicht um mich und meine Einstellung zum Leben. Du liest Resignation heraus, und dann ist das so - für Dich. Dann spricht es Dir entweder aus der Seele oder ist Dir gleichgültig oder fordert Dich zum Widerspruch heraus. Es ist dann aber schon Dein Widerspruch - verstehst Du, was ich meine? Niemand schreibt doch, um sich Hilfe bei anderen zu holen, sondern um seine Empfindungen - wie immer sie auch geartet seien - zu artikulieren und damit zu verarbeiten. Insofern muss ich Gerlinde Recht geben, wenn sie schreibt:
Worum es jedem geht, der hier einen Text oder auch eine Komposition veröffentlicht, ist die Resonanz an sich: Erstens will er's halt los werden (das dürfte mit Abstand der wichtigste Impuls sein), zweitens möchte er wissen, ob er es gut gemacht hat, und wenn's hoch kommt, wünscht er sich drittens, andere damit anzurühren.Mitternacht hat geschrieben:Was will uns der Dichter damit sagen?
Das ist völlig Wurscht, weil das in ziemlich vielen Fällen der Dichter nach einer gewissen Zeit selbst nicht mehr weiß, weil er die Stimmung, in der er sein Werk geschrieben hat, nicht´mehr nachvollziehen kann.
Und wenn ich jetzt schreibe
dass es keine angebrachten oder unangebrachten Empfindungen gibt (ich weiß, ich wiederhole mich, aber auf den Absatz bist Du gar nicht eingegangen)
dass ich es unfair finde, jemandem zu sagen, er habe kein Recht zu leiden, weil es achtundneunzig Prozent der Welt schlechter geht als ihm
oder weil man persönlich sein Leiden nicht nachvollziehen kann (oder will oder es sich nicht erlauben darf)
dass es mindestens zwei Drittel aller Kunstwerke nicht gäbe, wenn alle Menschen nur das Positive sähen (und es, nebenbei gesagt, ohne diese Polarität überhaupt keine Welt gäbe, Leben beruht nun mal auf Ungleichgewicht, und für jedes FDJ-Lied muss einen Blues geben)
dann könnte es schnell passieren, dass wir nur noch Meinungen gegeneinander stemmen. Weiß ich nicht... ich bin nur sehr vorsichtig mit Meinungen geworden (wenn Du so willst, eine - trätäää! - Errungenschaft unseres Alters

Eine Empfindung wäre zum Beispiel, wenn Du sagst: "Ich mag dein Lied nicht, weil es melodramatisch und selbstmitleidig ist!" Das wäre für mich ok und sogar nachvollziehbar. Und richtig schön wäre es, wenn wir dann darüber diskutieren könnten, wie man so was mit mehr innerer Distanz ausdrücken könnte. Zum Beispiel.
Das hier finde ich jetzt nämlich konstruktiv:
Tja, die Brechstange hat Recht.In diesem Alter braucht der Mensch nicht mehr
auf eine Zukunft irgendwann zu hoffen.
(da bleibt nun nicht allzu viel Interpretationsspielraum, außer man
würde es dann mit der Brechstange versuchen und deuten: Zukunft
IRGENDWANN nicht mehr ins Auge fassen, sondern sie im JETZT
gestalten.)

War wirklich so gemeint:
Bis etwa zur Hälfte des Lebens hat man Zeit wie Luft und geht entsprechend verschwenderisch damit um: "Ach lass mal, ich bin grad zu faul, aus dem Knick zu kommen - meine Träume rennen mir ja nicht weg." IRGENDWANN WERDE ICH.
Und irgendwann ist irgendwann. Dann gibt es kein IRGENDWANN mehr, sondern nur noch ein JETZT oder NIE.
Siehst Du, und damit hast Du mir gezeigt, dass zumindest diese Strophe fürn A... ist, weil ein gutes Gedicht keine Erklärung fordern darf.
Das sind die Dinge, die ich wissen möchte, nicht, ob ich ein Recht habe, mich mit fünfzig alt zu fühlen oder mein (nur mein?) Versagen zu artikulieren.
Aber noch eine Frage: Wieso muss ein Lied eigentlich um jeden Preis lebensbejahend und optimistisch sein?
Nachdenkliche Grüße
Angela