Talent oder 10000 Stunden ?ben

Alles, was mit akustischer Gitarrenmusik zu tun hat und sonst nirgends hineinpaßt

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Gast

Beitrag von Gast »

land_of_green hat geschrieben:Was ist überhaupt "Talent"? Wie äußert es sich? Kann man es messen?
"Von Begabung oder Talent wird gesprochen, wenn eine Person über eine besondere Leistungsvoraussetzung verfügt."
Quelle: http://de.wikipedia.org/wiki/Begabung

Talent ist meist erblich angelegt. Mit einer Körpergröße von 1.60m hat niemand das Talent zum Basketballspieler, da kann er sich noch so abmühen. Bei einer Körpergröße von 2.00m kann jemand das Talent zum Basketballspieler haben, wenn er zusätzlich auch noch körperlich und geistig beweglich ist. Der Rest besteht dann aus Hingabe und Übung. Wie schon Frau Mutter sagte: 1% ist Talent, 99% ist Übung. Die vom Spiegel angegebenen 10.000 Stunden Übungszeit für einen Berufsmusker erscheinen mir plausibel. Ich sehe es in der Musik etwa so:

- Ausnahmetalent und x Stunden Übungszeit: Chance auf Wunderkind
- Talent und ca. 10.000 Stunden Übungszeit: Profimöglichkeit
- Talent und weniger Übungszeit: Amateurmöglichkeit
- kein Talent und x Stunden Übungszeit: keine Chance

ABER: Musik ist keine Rechenaufgabe, sondern gelebte Spiritualität und Kreativität. Als Profimusiker mag man wohl 10.000 Stunden Übungsgzeit brauchen, um alle möglichen Stile bedienen zu können. Aber selbst maximale Übung und Routine sind kein Ersatz für Spiritualität und Kreativität. Manchmal kann sogar das Gegenteil der Fall sein, wenn Routine jede sinnliche Spiritualität und Kreativität erstickt. In diese Falle können selbst die besten Musiker geraten, wenn sie die eigene Persönlichkeit und Musik nicht weiterentwickeln.

Dagegen können überdurchschnittlich spirituelle und kreative Menschen auch ohne 10.000 Stunden Übungszeit beachtliche Dinge zustande bringen, wenn sie es nur schaffen, sich zu entwickeln und IHR Ding rüberzubringen. Gerade in der Popmusik gibt es solche Spezialisten, die oft schon in ihrer Jugend mit Spiritualität und Kreativität Ihren eigenen Stil entwickeln. Da kann persönliche und musikalische Einzigartigkeit sowie die Fähigkeit zur Kommunikation wertvoller sein als in 10.000 Stunden erlernte mechanische Perfektion. Einzigartige Persönlichkeiten wie Elvis Presley, John Lennon oder Philip Lynott brauchen keine 10.000 Stunden, um ihren einzigartigen Stil zu finden. Aber solche Leute gibt es nur wenige in jeder Generation. Und selbst die kommen letztlich nicht ohne Arbeit aus, sobald sie sich entschieden haben, von der Musik zu leben - und dann werden die 10.000 Stunden doch noch voll...
Gast

Beitrag von Gast »

was aus Üben werden kann :x
Eine sehr gute Freundin von mit spielte seit frühester Jugend Geige.
War in Leipzig auf der Musikschule, im zarten Alter von 12 Jahren.
Dort wurden sie dermassen unter Druck gesetzt, durch ständiges Vergleichen mit Mitschülern, dass sie sich die Finger mehrfach blutig gespielt hat, und das meine ich wörtlich, um diesem Leistungsdruck gerecht zu werden. und sie war wirklich gut.
mit 17 hatte sie ihren ersten Zusammenbruch, sie hat danach 12 Jahre das Instrument nicht mehr angefasst.
Ich denke es ist wichtig aufzupassen, das man im Leben nicht nur auf einer Säule steht, man fällt so tief, wenn die wegbricht.
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Bushi
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Beitrag von Bushi »

@ devil-lime
Ein sehr wichtiger Aspekt, den du da ansprichst.
Wie viele Kids werden dadurch musikalisch "versaut", weil sie schlicht und einfach den Ehrgeiz ihrer Eltern befriedigen sollen ? Ich kenne persönlich auch solche Fälle, nicht nur im musikalischen, auch im sportlichen Bereich.

Ich kann nur jedem Vater, jeder Mutter dringend raten, etwaiges vorhandenes Talent zu fördern, wo es nur geht, grundsätzlich aber nur soweit, wie es den eigenen Ambitionen ihres Kindes entspricht und jeden eigenen Ehrgeiz außen vor zu lassen. Man macht mehr kaputt als daß man hilft. Und ich behaupte mal, daß dadurch schon viele Talente zerstört wurden, aus denen mit mehr Fingerspitzengefühl hervorragende Künstler hätten werden können.
Ich spiele auf:
"The LADY" Washburn D10 CE/B (mit Cutaway !!!)
Harley Benton HBD-112
Fender Squier Strat
Gast

Beitrag von Gast »

Bushi hat geschrieben:
Ich kann nur jedem Vater, jeder Mutter dringend raten, etwaiges vorhandenes Talent zu fördern, wo es nur geht, grundsätzlich aber nur soweit, wie es den eigenen Ambitionen ihres Kindes entspricht und jeden eigenen Ehrgeiz außen vor zu lassen. Man macht mehr kaputt als daß man hilft. Und ich behaupte mal, daß dadurch schon viele Talente zerstört wurden, aus denen mit mehr Fingerspitzengefühl hervorragende Künstler hätten werden können.
So siehst aus!
ich bin jetzt auch froh, das meine Eltern mich manchmal mit etwas Nachdruck an meine Matheaufgaben erinnert haben, aber sie haben mich nie gezwungen und so hab ich den Spass an der Physik nie verloren.
Die Freundin spielt heute Gott sei
Dank wieder Klavier, aber ich sehe das heute noch in ihren Augen, wenn wir im Konzert sind und die erste Geige aufsteht, das es da in ihrer Seele einen tiefen Riss gab. So viel Macht sollte kein Mensch über einen andern haben, ihm so etwas zuzufügen, aus einer Leidenschaft so eine Bedrücktheit werden zu lassen.
Sorry, ich schnattere...
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Flow
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Beitrag von Flow »

Es gibt auch Beispiele für das Gegenteil , meinem Cousin wurde von seinem Musiklehrer gesagt er sei vollkommen unmusikalisch und sollte wenn die Klasse singt leise für sich singen .
Als mir das erzählt wusste ich nicht ob ich heulen oder lachen soll , denn es stellte sich heraus , dass ich ihm nur zeigen musste wie man den Ton trifft und ein bisschen Rhythmus einüben musste , schon konnte er die Sachen alle . Jetzt spielt er Klavier , Gitarre und hat Gesangsunterricht und ist ein ganz passabler Sänger .
Das 2 Jahre später , man stelle sich vor jeder Musiklehrer ist so , es gäbe weniger Musiker .
You're so clever... but clever ain't wise !
land_of_green
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Beitrag von land_of_green »

Flow hat geschrieben:(...) meinem Cousin wurde von seinem Musiklehrer gesagt er sei vollkommen unmusikalisch und sollte wenn die Klasse singt leise für sich singen .(...)
Immerhin hat besagter Lehrer seine Aufgabe teilweise erfüllt: Er hat einen gewissen Förderbedarf erkannt, sich leider um die Umsetzung gedrückt. Man stelle sich hier mal einen Mathematiklehrer vor, der seinem Schüler empfiehlt, sich im Unterricht mangels mathematischer Begabung möglichst selten zu Wort zu melden ...

@Flow:
Für Deinen Cousin freut mich, dass der o.g. Lehrer das aktive Fördern an Dich "outsourcen" konnte ...

stefan
sonnenaffe
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ein nicht ganz einfaches thema

Beitrag von sonnenaffe »

:wink:
Ich bin neu hier im forum. und dieser thread ist einer der ersten den ich gelesen habe. 8)

meine persönliche meinung ist folgende:
Ich spiele jetzt ca... 11 monate gitarre. ich hatte nie im meinem leben auch nur ansatzweise an ein instrument gedacht, obwohl mein Pate Gitarrenlehrer war und mein vater,der aus erzählungne auch gitarre spielte. (ich hatte mit ihm keinen kontakt).
jahre vergingen, meine ganze familie starb und mit sowas in jungen jahren fertig zu werden war schwer. als dann mein vater starb, war das einzige was ich von ihm erhalten habe seine gitarre.
irgendwann kam ich an den punkt an dem ich gitarre spielen wollte, um so alles emotional besser zu verkraften und zu verarbeiten.

viele gitarristen in meiner umgebung sagen, ich würde sehr schnell voran kommen. ich selber glaube das wenn ich nicht so emotional mit meiner gitarre verbunden wäre, ich nicht halb so gut wär.
Ich denke das dieser i- punkt das gitarrenspiel abrundet. das wort "talent"
gibt so einigen diskussionsstoff. ich persönlich weigere mich bis auf messer zu glauben, man kann nur wirklich gut sein wenn man als kind anfängt. "talent" hat meiner meinung nach etwas mit hingebung, kreativität und spiritueller, sowie emotionaler einstellung zum instrument an sich zu tun. üben ist ein muss für jeden der etwas erlenen möchte. dabei kommt es natürlich auch darauf an wie ,wie viel ,was und natürlich wie hingebungvoll man übt. ich glaube nicht das man die stunden die man braucht um wirklich gut zu sein monokausalisieren kann. jeder mensch denkt individuell, handelt individuell, lernt individuell und setzt informationen individuell um. es gibt einfach so verdammt viele faktoren die man berücksichtigen muss. ein kind , dass unfreiwillg gitarre erlernt , jahrezentelang übt, weil jemand es von ihm verlangt, unglaublich gut ist in dem was er was er spielt, fehlt einfach dass gewisse etwas. jeder spielende muss sich einfach die frage stellen, wie viel zeit man investieren will und wie man zum instrument under sache a sich steht.
für mich stellt sich die frage erst gar nicht. ich sehe meine gitarre und diese stimme in meinem kopf sagt "spiel". nicht selten versetze ich freunde, wenn ich das gefühl beim spielen habe ,als wären wir eins. und diese verbundenheit kann NICHT erzwungen werden. jetzt bin ich 19. werde 20 und ja ich für meinen teil kann mir ein leben ohne gitarre nicht mehr vorstellen. 10.00 stunden? veralgemeinrungen sollten verbote werden.
oh mein gott
soviel wollte ich gar nicht schreiben^^ ich entschuldige mich im vorraus für evtl. abschweifungen.
mfg grüßen und natürlich ein zwischenmenschlich hochwertiges HALLO an alle. jan
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Harald
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Beitrag von Harald »

Hallo Jan, kein Grund für irgendwelche Entschuldigungen.
Willkommen von mir in unserer Runde.
Ich finde Deine Einstellung und auch wie sie zustandegekommen ist gut.
Noch besser finde ich Deine offene Art, darüber zu sprechen!
"... und hätte aber die Liebe nicht ..."

http://www.youtube.com/watch?v=N4kFCBIYDqA
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GuitarAddicted
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Beitrag von GuitarAddicted »

Auf der ersten Seite fiel ein Kommentar über Tommy Emmanuel:
Und TE ist ja so ein Wunderkind und nichtsdestotrotz heisst es auch für ihn ÜBEN ÜBEN ÜBEN
Mr. Emmanuel ist mit vier Jahren mit der Gitarre in Kontakt gekommen war nur wenige Jahre später extrem weit fortgeschritten. Der Kerl hat sein Leben mit Musik und Gitarre verbracht. Jedes Mal wenn ich ihn auf seiner Maton spielen sehe, kann ich seine Freude förmlich spüren und sehen wie sehr er seine Musik lebt. Dass er über die Jahre zu solch einem Ausnahme Spieler (Certified Guitar Player by Chet Atkins) geworden ist, ist fast schon ein Selbstgänger. Klar muss er üben, aber er hat eine Basis, von der viele nur Träumen.

Meine Mutter hat viel Wert auf musikalische Früherziehung gelegt und wollte unbedingt dass ich ein Instrument spiele. Mit vier Jahren war ich bei der Musikalischen Früherziehung (Flöte, Xylophon etc...) Drei Jahre später gings dann zum ersten eigenen Instrument (Gitarre). Sie hat als ich 7 war, sogar selbst angefangen Gitarre zu spielen, damit ich quasi mit ihr zusammen üben konnte. Das ging 3 Jahre so, dann hatte ich ihre Nerven besiegt. Dann beharrte sie aber, dass ich es mal mit Klavier versuchen sollte, was ich dann nochmal für 4 Jahre durchhielt, bis ich 14 war. Neugierig war ich natürlich irgendwie, aber die ist immer schnell versiegt.
Die richtige Motivation kam Jahre später mit Ende 18. Ich war als Austausch-Schüler in Australien, wo der älteste Sohn meiner dortigen Familie Gitarre spielte. Ich hätte ihm stundenlang zusehen können. Mit ca. 19 1/2 hatte ich endlich meine eigene Gitarre und meine "Gitarrenkarriere" begann. Das einzige Problem hier war die Frage: Wo anfangen? Die Richtige "Dosierung" von neuem Lernmaterial inklusive gesunde Steigerung des Schwierigkeitsgrades sind für mich bis heute sehr wichtig. Ich bin kürzlich 23 geworden und habe mit "Stevie's Blues" von Tommy Emmanuel neues "Futter" gefunden. :)

Die Moral der Geschichte:
Motivationsnotwendige Begeisterung ist weckbar, allerdings nicht durch Zwang oder sonstige Druckmittel. Auch die richtige Portionierung (keine Über- oder Unterforderung) trägt sehr dazu bei, die Motivation zu ernähren. Zumindest ist das bei mir(!) so.

Ich wollte eigentlich keine Lebensgeschichte erzählen, sondern einen Vergleich zwischen Tommy Emmanuel und mir aufstellen. ;) Daran kann man sehen wie viel schwächer die erzeugte Motivation gegenüber natürlicher ist.

Mein Dank an die, die sich die Mühe gemacht haben, meinen Roman zu lesen. :)

Grüße,
Josh
Ulrich Peperle
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Beitrag von Ulrich Peperle »

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Zuletzt geändert von Ulrich Peperle am Sa Apr 09, 2016 1:34 pm, insgesamt 1-mal geändert.
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RB
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Beitrag von RB »

@Ulrich: Das leuchtet alles ein. Mal etwas anderes: Woran erkennt man ein gutes relatives Gehör ? Kennst Du einen einigermaßen einfachen Gradmesser, das würde mich interessieren.
Ulrich Peperle
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Beitrag von Ulrich Peperle »

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Zuletzt geändert von Ulrich Peperle am Sa Apr 09, 2016 1:35 pm, insgesamt 1-mal geändert.
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RB
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Beitrag von RB »

Danke, das ging genau in die Richtung meines Informationsbedarfs!
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