"Aging", "Relic" oder wie auch immer

Alles, was mit akustischer Gitarrenmusik zu tun hat und sonst nirgends hineinpaßt

Moderatoren: jpick, RB, Gitarrenspieler

Benutzeravatar
tired-joe
Beiträge: 2284
Registriert: Di Apr 13, 2010 10:41 pm
Wohnort: Ore Mountains, Saxony

Beitrag von tired-joe »

Hi OldPicker,

nein ich wollte dir natuerlich nicht unterstellen, dass du die Gitarre nicht spielst. Nur, was bedeutet es, dass eine Gitarre "ungepflegt" ist? Bedeuten deutliche Spielspuren im Holz, dass die Gitarre ungeplegt ist? Tommy Emmanuel haette bei dir wohl keine Chance, oder?

Ich konnte mir jahrelang Rory Gallagher's Strat ansehen, die in der public library in Cork in einem Glaskasten steht. Die ist ziemlich mitgenommen, aber warum sollte er die Stellen, wo der Lack ab ist ueberlackieren? Damit sie im Buehnenlicht glaenzt, so wie die Strat von Ricky King? Wozu?

Wichtig ist, dass die Gitarre technisch funktioniert und spielbar ist und man sich wohl auf ihr fuehlt.

Joe
---
I'm a simple man. In the morning I listen to the news. At night I listen to the blues
tbrenner
Beiträge: 3723
Registriert: Mi Mai 02, 2007 12:26 pm
Wohnort: Mötzingen
Kontaktdaten:

Aging ...

Beitrag von tbrenner »

...irgendwie ein hübscher Gegensatz:
die Instrumente sollen aussehen, als wären sie über Jahrzehnte in einem versifften juke joint mißhandelt worden und die sie spielenden Stars sind dank Botox + Haarverpflanzung etc. ewig junge Strahlehelden.
Passt irgendwie zu unserer Zeit, daß man nix mehr natürlich vor sich hin reifen lassen kann, wie´s eigentlich gehört.

Meine Sachen sehen z.T. nach jahrzehntelangem Gebrauch noch ziemlich o.k. aus, wobei ich´s mit dem Wienern + Polieren wirklich nicht übertreibe.
Das einzige was da natürlich aged, sind die Metallbauteile, die vom nicht zu vermeidenen Handschweiß angegrabbelt werden ...

Grüssle,

tbrenner

P.S. Die Leute, die von Fender, Gibson & Co diese imho maßlos überteuerten Aging-Sachen kaufen, sollen es getrost tun. Im Überfluß vorhandene Kaufkraft will irgendwohin abgesaugt werden..... :roll:
Benutzeravatar
OldPicker
Beiträge: 4637
Registriert: Mi Feb 09, 2005 3:04 pm

Beitrag von OldPicker »

tired-joe hat geschrieben:Hi OldPicker,

nein ich wollte dir natuerlich nicht unterstellen, dass du die Gitarre nicht spielst. Nur, was bedeutet es, dass eine Gitarre "ungepflegt" ist? Bedeuten deutliche Spielspuren im Holz, dass die Gitarre ungeplegt ist? Tommy Emmanuel haette bei dir wohl keine Chance, oder?

Ich konnte mir jahrelang Rory Gallagher's Strat ansehen, die in der public library in Cork in einem Glaskasten steht. Die ist ziemlich mitgenommen, aber warum sollte er die Stellen, wo der Lack ab ist ueberlackieren? Damit sie im Buehnenlicht glaenzt, so wie die Strat von Ricky King? Wozu?

Wichtig ist, dass die Gitarre technisch funktioniert und spielbar ist und man sich wohl auf ihr fuehlt.

Joe
Genau das meine ich. In diesem grundlegenden Punkt scheiden sich die Geister: der eine sagt "Ist mir doch egal, Hauptsache spielt / fährt / funktioniert..." und den anderen verbinden Gefühle, Stimmungen, Klänge und noch so einige andere schwer zu beschreibende Umstände mit "seinem" Instrument, die ihn dazu veranlassen, seine Finger / Pleck dort zu nutzen, wo es sinnvoll ist (an den Saiten) und sich so zu bewegen, dass man mit dem Instrument nicht ständig irgendwo aneckt.

Wie auch immer - jeder so, wie er es braucht. Ich mag meine Instrumente, sie sind für mich auch ein Teil meines Lebens und Hilfe in so manchen mentalen Situationen. Und so werden sie auch behandelt. Zuhause und auf der Bühne.
* * * * * * * * * * * * * * *

"I usually play songs in two chords, C and G, and every once in a while I throw in an F, just to impress the girls."
(Woody Guthrie)
_______________________________________________
Benutzeravatar
Orange
Beiträge: 6045
Registriert: So Dez 12, 2010 5:56 pm
Wohnort: Linz
Kontaktdaten:

Beitrag von Orange »

"Gebrauchsspuren" und "Ungepflegtheit" sind für mich sowieso 2 verschiedene Paar Schuhe:

Gebrauchsspuren: Entstehen mit der Zeit

Ungepflegtheit: Die Gitarre kann noch relativ neu sein und trotzdem schon total "versifft", das ist nicht gleichzusetzten mit
Gebrauchspuren oder Relic (wie es so schön im neudeutsch heißt).

:wink:
Benutzeravatar
Manati
Beiträge: 3961
Registriert: Sa Apr 19, 2008 5:04 pm
Wohnort: Schläfrig-Holstein

Beitrag von Manati »

JeSter hat geschrieben:
Und du hast also keine einzige stonewashed Jeanshose im Schrank?!
Ich sprach nicht von stonewashed (was anderes bekommt man ja kaum), sondern vom ach-so-angesagten "destroyed" Look.
"Real stupidity beats artificial intelligence every time."
Terry Pratchett, 1948 - 2015
Benutzeravatar
berndwe
Beiträge: 8038
Registriert: So Feb 20, 2005 3:38 pm
Wohnort: Dresden

Beitrag von berndwe »

Am Ende ist es zum einen eine Frage des persönlichen Geschmacks ob auch eine neue Gitarre alt aussehen soll und zum andern ob man sich einen satten Aufpreis für seine Vorliebe für alt aussehende Gitarren leisten will. Ich halte Letzteres für Luxus und würde den "Aging"-Mehrpreis eher für andere Ausgaben nutzen.

Bei mir ist es so ähnlich wie bei Rolli: ich finde es klasse wenn eine neue Gitarre absolut perfekt und neuwertig aussieht. Das Altern dieser Gitarre will ich selbst besorgen, indem ich sie benutze. Dabei ist es mir durchaus recht, wenn das Instrument viele Jahre wie neu aussieht.

Bei anderen Hobbies wird der Relic-Trend auch durchaus umgekehrt, d.h. es wird in alte Sammlerobjekte sehr viel Aufwand und Geld reingesteckt, damit sie wie neu aussehen. Bei uns im Dorf war z.B. vor einigen Wochen eine Oldtimer-Ralley. Da fuhren überwiegend Autos aus den 50er und 60er Jahren. Die sahen aber alle so aus, als wären sie gerade aus der Fabrik gekomme: perfekter Lack, keine Beulen und nicht die kleinste Schramme.
Benutzeravatar
Orange
Beiträge: 6045
Registriert: So Dez 12, 2010 5:56 pm
Wohnort: Linz
Kontaktdaten:

Beitrag von Orange »

Nunja, dann bin ich mal so frei und halte den aktuellen Top-Zustand meiner Breedlove hier mal mit 3 Pics für die Nachwelt fest.
Lassen wir uns überraschen wie die in ein paar Jahren aussieht, aber vermutlich nicht mehr so "jungfräulich" :lol: .

Gekauft: 31.12.2010

Aktueller Stand der Fotos: 27.05.2011


Bild

Bild

Bild
Benutzeravatar
JeSter
Beiträge: 144
Registriert: Do Mär 31, 2011 5:31 pm
Wohnort: Münster

Beitrag von JeSter »

NEEEEEEEEEEEEEEEEEEEEEEIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIINNNNNNNNNNNNNNNNNNNNNNNNNNNNNN
AAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAHHHHHHHHHHHHH

Hab mir nen Dong auf die schöne Decke gehauen auf der M32...

Verdammte axt...4 Jahre lang hat sie keinen Schaden bekommen, ich hab sie 2 Monate und verranz die direkt...

:evil: :heul: :heul: :heul: :heul: :heul: :heul: :heul: :heul: :heul: :oops: :oops:
Duke GA-PF Cut
Alhambra 4P Zeder
Stromgitarre Höfner Stratocaster Nachbau von 1968

Wer anderen eine Bratwurst brät, hat ein Bratwurstbratgerät!
Benutzeravatar
LaFaro
Beiträge: 2663
Registriert: So Dez 19, 2010 11:03 am

Beitrag von LaFaro »

so fängt "aging" an ;) andere geben dafür anscheinend viel Geld aus... sozusagen eine Art "Wertsteigerung" 8)
aber ich kann Dich verstehen... mich ärgert so etwas auch immer ....
Lakewood M 32 Custom
Loef Tera
Voss Da Vinci
Voss Miss Maple


"Lieber politisch korrekt als moralisch infantil" (Carolin Emcke)
Benutzeravatar
Kraushaar
Beiträge: 4
Registriert: Do Mai 26, 2011 10:36 am
Kontaktdaten:

Beitrag von Kraushaar »

mr335 hat geschrieben: Ich meine festzustellen, dass oft Menschen, die wenig spielen, Gitarren kaufen wollen, die aussehen, als ob man viel spielt.
Hi Rolli,

so sehe ich das auch. Eine alberne Attitüde von Leuten die vorgeben, sich mit etwas zu beschäftigen, für das sie keine Zeit haben.
Es soll so aussehen, als hätte man intensiv gelebt und ich weiß nicht, ob ich es erbärmlich oder bedauerlich finden soll.
Das meine ich jetzt gar nicht böse. Keine Zeit für etwas zu haben, ist eigentlich nichts ungewöhnliches. Wenn man aber selbst den Eindruck gewinnt, dass das Leben an einem vorbei rauscht und man gibt Geld dafür aus, um sich mit Dingen zu umgeben, die diesen Umstand verwischen sollen, dann wird es meiner Meinung nach Zeit, einen langen Blick auf das eigene Leben zu werfen.
Mit den besten Grüßen aus dem milden Westen!
Walter Kraushaar
Benutzeravatar
H-bone
Beiträge: 5582
Registriert: Mi Feb 09, 2005 4:02 pm
Wohnort: Engelthal bei Nürnberg
Kontaktdaten:

Beitrag von H-bone »

Der grösste Knaller in meiner Werkstatt war, als einer mit einer schlagmichtotwievieltausendeuro-Rory-Gallagher-heavy-Relic-Strat reinkam um was einzustellen. Als ich die Gitarre auf die Teppichbodenauflage auf der Werkbank legen wollte ertönte ein schrilles "HALT !!" - Dann untersuchte er erstmal akribisch das Teppichbodenstück ob nicht etwa ein getrocknetes Leimtröpfchen der Gitarre optisches Leid zufügen könnte...

Danach hatte ich den ganzen Tag immer wieder spontan wiederkehrende Lachanfälle... :lol:
Benutzeravatar
spijk
Beiträge: 457
Registriert: Sa Apr 30, 2005 10:48 pm
Wohnort: Berlin

Beitrag von spijk »

H-bone hat geschrieben:Der grösste Knaller in meiner Werkstatt war, als einer mit einer schlagmichtotwievieltausendeuro-Rory-Gallagher-heavy-Relic-Strat reinkam um was einzustellen. Als ich die Gitarre auf die Teppichbodenauflage auf der Werkbank legen wollte ertönte ein schrilles "HALT !!" - Dann untersuchte er erstmal akribisch das Teppichbodenstück ob nicht etwa ein getrocknetes Leimtröpfchen der Gitarre optisches Leid zufügen könnte...

Danach hatte ich den ganzen Tag immer wieder spontan wiederkehrende Lachanfälle... :lol:
Ich versuche mir gerade die entgleisenden Gesichtszüge von Rory selig zu diesem Vorfall vorzustellen. :mrgreen:
"What the blues is? I guess the blues is something between the greens and the yellows."
Lightnin' Hopkins
Benutzeravatar
Kraushaar
Beiträge: 4
Registriert: Do Mai 26, 2011 10:36 am
Kontaktdaten:

Beitrag von Kraushaar »

H-bone hat geschrieben:Der grösste Knaller in meiner Werkstatt war, als einer mit einer schlagmichtotwievieltausendeuro-Rory-Gallagher-heavy-Relic-Strat reinkam um was einzustellen. Als ich die Gitarre auf die Teppichbodenauflage auf der Werkbank legen wollte ertönte ein schrilles "HALT !!" - Dann untersuchte er erstmal akribisch das Teppichbodenstück ob nicht etwa ein getrocknetes Leimtröpfchen der Gitarre optisches Leid zufügen könnte...

Danach hatte ich den ganzen Tag immer wieder spontan wiederkehrende Lachanfälle... :lol:
Peter Coura erzählte mir, einer seiner Kunden bat ihn, eine selbst verursachte Macke aus einer "relicten" Gitarre zu entfernen. Die Sache war irgendwie nicht hin zu bekommen, denn Peter sagte dem Kunden, er könne die Gitarre neu lackieren, was der Kunde als Angriff betrachtete...

Ich habe einem (sehr gut bekanntem) Kunden seine selbst "geagete" Strat mal eben an die Schwabbel gehalten, als er sich einen Kaffee holte. "Ich habe Dir das wieder schön poliert - die war ja ganz zerkratzt...!" :)
Mit den besten Grüßen aus dem milden Westen!
Walter Kraushaar
Benutzeravatar
Pida
Beiträge: 946
Registriert: Do Mai 22, 2008 10:20 am

Beitrag von Pida »

Kraushaar hat geschrieben:...selbst "geagete" Strat mal eben an die Schwabbel gehalten
:lol:
Reaktion?

Übrigens kann ich so gar nichts schlimmes daran finden, wenn Leute auf relic/ vintage/ wasauchimmer stehen. Und das ganz unabhängig davon, ob die Gitarren viel gespielt werden oder in der Vitrine stehen. So manche gerelicte Gitarre sieht, finde ich, einfach großartig aus.
OldPicker hat geschrieben:Mir bleibt [für Käufer teurerer Relic-Gitarren] nur ein mitleidiges Lächeln.
OldPicker hat geschrieben:Es gibt Menschen, die entschuldigen ihren ziemlich gleichgültigen und achtlosen Umgang mit ihren Instrumenten mit der erstaunlichen Begründung, es handle sich hierbei um einfach nur Werkzeug und Gebrauchsgegenstände. [...] nicht nur ein allgemeines Verständnis-, sondern auch ein Generationsproblem.
OldPicker, ich finde deine Äußerungen etwas anmaßend. Ich betrachte meine Gitarren weitgehend als normale Gebrauchsgegenstände und mir ist - anders als dir - völlig egal, wie die Instrumente eines Musikers aussehen, den ich auf der Bühne sehe.
Ich denke aber nicht, dass deine Sichtweise der Entschuldigung bedarf oder bei dir ein allgemeine Verständnisproblem vorliegt. Und sollten wir mal zusammen ein Gitarrengeschäft verlassen (ich mit teurerer Relic-Gitarre, du mit dem Standardmodell) werde ich dabei hoffentlich weder Mitleid noch Überlegenheit verspüren. Ich würde mich freuen, wenn du meine Kaufentscheidung dann genauso entspannt sehen könntest.

Gruß
Pida
Benutzeravatar
Manati
Beiträge: 3961
Registriert: Sa Apr 19, 2008 5:04 pm
Wohnort: Schläfrig-Holstein

Beitrag von Manati »

Chacun à son goût.

Viele Leute hegen und pflegen ihr Auto, als wäre es ein Kind oder ein Schatz - ich hingegen wasche mein Gefährt vielleicht einmal in vier Jahren und mülle es stets voll. Hauptsache, es ist technisch in Ordnung, dafür sorge ich schon. Ein Auto ist für mich halt ein Gebrauchsgegenstand, zu dem ich keine emotionale Beziehung habe. Mehr nicht.

Andere behandeln ihre Bücher so, wie man es vor hundert Jahren tat, als Bücher noch wertvoll waren. Ich hingegen lege sie grundsätzlich offen nebens Bett, platt, mache Eselsohren hinein und krümle auch oft rein. Bücher sind für mich zum Lesen da, nicht zum Schonen (es gibt natürlich Ausnahmen wie teure Bild- oder Fotobände).

Meine Gitarren aber pflege ich liebevoll und bin sehr gut zu ihnen. Zu ihnen habe ich halt eine emotionale Beziehung. Wenn andere das mit ihren (!) Instrumenten anders handhaben, dann ist das eben so. Ist mir ehrlich gesagt reichlich egal. Solche Leute lasse ich meine Instrumente halt nicht spielen, und ihre versifften Gitarren (Griffbretter mit "Kruste" - *börks*) nehme ich nicht in die Hand.
"Real stupidity beats artificial intelligence every time."
Terry Pratchett, 1948 - 2015
Antworten