Verlust von Magie.

Alles, was mit akustischer Gitarrenmusik zu tun hat und sonst nirgends hineinpaßt

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scifi
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Beitrag von scifi »

Hmmm, ich bin skeptisch ob eine Zuordnung von Tonlage zu Evokationen bestimmter Emotionen allgemeinpsychologisch oder biologisch sinnvoll sein kann.

Was mit Klängen für Assoziationen verbunden sind, sollte doch vor allem über eine "kulturelle Konditionierung" beeinflusst werden. Wenn ich Barockmusik höre, werden bei mir automatisch die gespeicherten Bilder "getriggert", die ich auf Konzerten, in Filmen oder bei Tänzen in Zusammenhang mit der Musik abgespeichert habe. Und wenn diese Musik zum Großteil in typischen Tonarten gespielt wird, werde ich das wohl auch als Information über das Klischee abspeichern. Zusammen mit der ganzen Inszenierung der Musik und den dabei mir nahegelegten emotionalen Interpretationen, sollte am Ende eine Verbindung von Gefühlserlebnis und Tonart rauskommen. Sprich: die kulturell beeinflusste Hörgewohnheit wäre relevante Punkt. Natürlich immer im Rahmen der biologischen Möglichkeiten, die Hirn und Wahrnehmungsorgane so anbieten.


Spekulation macht Spaß :-)

Ich habe übrigens noch nie einen Zusammenhang von Tonart und Musikerlebnis gespürt, wenn ich die echten Instrumente weg lasse. Einfach mal eine Midispur mit Fiep-Sound fröhlich transponieren...
Ulrich Peperle
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Beitrag von Ulrich Peperle »

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Holger Esseling
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Beitrag von Holger Esseling »

Ich kann mich nicht des Eindrucks erwehren, dass die Welt, auch die der Musiker, zunehmend der Wissenschafts-Hörigkeit verfällt.

Ich kann viele Theorien nachvollziehen, aber im Grunde sehe ich es so: Beim Transponieren in eine andere Tonart ändere ich jeden einzelnen Ton. Wieso sollte ich davon ausgehen, dass das die Stimmung nicht tangiert?

Theorien sind vereinfachende Abbilder der Realität, das gilt auch für Musiktheorie. Toll, um Komplexität zu reduzieren - ungeeignet um die Realität zu beschreiben. Denn die entsteht im Kopf des Hörers. Vielleicht eher in dessen Bauch, oder wo auch immer sich die Sammelstelle der bisherigen Erfahrungen seines Lebens befindet.

Auch mich fasziniert immer wieder die Mathematik der Musik. Dass sie diese aber nicht ansatzweise zu erklären vermag, finde ich noch besser.

Herzliche Grüße

Holger
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Pida
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Beitrag von Pida »

Holger Esseling hat geschrieben:Beim Transponieren in eine andere Tonart ändere ich jeden einzelnen Ton. Wieso sollte ich davon ausgehen, dass das die Stimmung nicht tangiert?
Und warum solltest du das Gegenteil annehmen? Einzelne Töne erzeugen zumindest bei mir - so wie ich es wahrnehme - gar keine unterschiedlichen Stimmungen.
Holger Esseling hat geschrieben:Auch mich fasziniert immer wieder die Mathematik der Musik. Dass sie diese aber nicht ansatzweise zu erklären vermag, finde ich noch besser.
Wäre noch die Frage, ob es da überhaupt etwas zu erklären gibt oder ob Tonartcharakteristiken ein Mythos sind.

Ich habe mal jemanden gebeten, sich an der Uni umzuhören. Wenn er was zu der Frage findet, melde ich mich.
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Herigo
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Beitrag von Herigo »

ist doch egal ob uni oder nicht.

für mich ist musik lebendige mathematik, das tut der faszination keinen abruch, eher das gegenteil ist der fall.
Salud a Familia
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hmarke
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Beitrag von hmarke »

Holger Esseling hat geschrieben: Wissenschafts-Hörigkeit


Erklär diesen Begriff doch bitte mal.
Holger Esseling
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Beitrag von Holger Esseling »

Uuups, habe ich mich irgendwie im Ton vergriffen? Ich wollte mit meinem Kommentar niemanden angreifen.

@Pida: Die Ausgangsfrage war, warum beim Tonartwechsel ein Lied manchmal seine Magie verliert, obwohl die "mathematische" Struktur erhalten bleibt. Auch ich spüre deutliche Unterschiede beim Wechsel von Tonarten und wollte es damit untermauern, dass man auch ganz schön viel verändert durch das Transponieren - nämlich jeden einzelnen Ton. Das heißt ja nicht, dass ich danach nur noch Einzeltöne spiele.

@hmarke: Ich meine ganz allgemein, dass die Wissenschaft zur Religion wird und speziell, dass wir alle sehr stark nach erklärenden Regeln suchen und dabei auf beschreibende Regeln zurückgreifen. In der Musik sehe ich häufig, dass die Stimmung eines Liedes fast ausschließlich durch die Analyse der Harmonien erklärt wird. Was nicht in dieses Beschreibungsmuster passt, wird weniger oder gar nicht beachtet. Und es gibt wenig Toleranz für Unerklärbares. Wenn in einem Lied ein Akkord auftaucht, der dort eigentlich nicht hingehört, aber gut klingt, dann bemühen wir uns, den über acht Ecken in der Harmonielehre doch wieder als theoretisch stimmig darzustellen anstatt einfach zu sagen: Passt theoretisch nicht, hört sich aber gut an.

Ich hoffe, mit diesen Ausführungen etwas klarer gemacht zu haben, was ich sagen möchte.

Herzliche Grüße

Holger Esseling
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scifi
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Beitrag von scifi »

Holger Esseling hat geschrieben: Ich kann viele Theorien nachvollziehen, aber im Grunde sehe ich es so: Beim Transponieren in eine andere Tonart ändere ich jeden einzelnen Ton. Wieso sollte ich davon ausgehen, dass das die Stimmung nicht tangiert?
Wieso solltest du davon ausgehen, dass das die Stimmung tangiert?

Das ist das lustige in diesem Thread: jeder (inkl. mir) spekuliert fröhlich drauf los, bastelt sich seine individuellen Plausibilitäten zusammen und verallgemeinert diese gnadenlos. Das Erleben von Musik ist so abstrakt und komplex, dass das einfach wunderbar geht - ähnlich wie bei Thema Fußball.

Deshalb wäre es interessant, ob es dazu wissenschaftliche Erkenntnisse gibt, wo zumindest jemand mal versucht hat über kontrollierte Messungen einen Verdacht zu begründen. (Wobei ich mir nicht vorstellen kann, wie das jemand methodisch anstellen sollte.)
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Holger Hendel
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Beitrag von Holger Hendel »

Ich brauche keine empirischen Erhebungen - Nigel Tufnel sieht es ähnlich wie ich, das reicht mir an Legitimation. :twisted:
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scifi
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Beitrag von scifi »

Holger Danske hat geschrieben:Ich brauche keine empirischen Erhebungen - Nigel Tufnel sieht es ähnlich wie ich, das reicht mir an Legitimation. :twisted:
Ich gehe auch davon aus, dass sein Meister-Solo eine völlig andere emotionale Wirkung auf den Zuhörer hat, wenn man es einen halben Ton nach oben transponiert:

http://www.youtube.com/watch?v=k4UJkl6eaGQ

:mrgreen:
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Holger Hendel
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Beitrag von Holger Hendel »

[OT]Legendär! 8)

like a boss

..ach Quatsch, like THE boss! [/OT]

Aber mal ohne Spaß: es wäre doch methodisch ein Klacks; Kontrollgruppe, Versuchsgruppe...klass. Vergleichsuntersuchung; diverses Tonmaterial in versch. Tonarten unter identischen äußeren Bedingungen (Räumlichkeit etc.) ...da ginge so einiges...und dann: ein gut konzierter Fragebogen und man hätte erste Ansatzpunkte.
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RB
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Beitrag von RB »

Mir ist keine Religion lieber, als die der Wissenschaft. Sie hat der Vernunft und Logik zu gehorchen und das vermisse ich schmerzlich bei anderen Religionen. Allerdings scheint mir die Behauptung, der Zeitgeist neige zur Erhebung der Wissenschaft recht gewagt, liest man doch regelmäßig als den häufigsten, schnellsten und zugleich dümmsten Kommentar zu Berichten über Wissenschaft und Forschung: "Und was nützt das, sollen das Geld doch lieber für __________ (beliebigen Blödsinn eintragen) ausgeben". Geforscht wird für den Erkenntnisgewinn und der ist Wert an sich. Der schnauzbärtige Blödmann, der sich inzwischen so wichtig nimmt, daß er meint, sich in Focus online verewigen zu müssen, mag es anders sehen.

Auch die Behauptung, die Wissenschaft bilde Wirkliches unvollkommen ab, ist in ihrer Absolutheit nicht korrekt. Die Formel 4 pi r hoch 3 bildet beispielsweise das Volumen einer Kugel vollkommen ab und so gibt es noch allerhand andere perfekte Abbildungen der Realität. In den Grenzbereichen der Wissenschaft und bei der Beschreibung des menschlichen Erlebens wird die Sache schwieriger. Nur behauptet die Musiklehre überhaupt nicht, die Musik in der Dimension des Erlebens von Musik abbilden zu können. Was sie perfekt abbilden kann, sind die Gesetzmäßigkeiten, denen die Musik unterliegt. Woher die stammen und warum man den Tritonus als größtmögliche akustische Katastrophe empfindet, sagt sie nicht, behauptet aber auch nicht, das sagen zu können.

Ich könnte mir sogar vorstellen, daß sie diese Qualität des Erlebnisses des Tritonus begründen kann, aber ich weiß es nicht.

Wie dem auch sei: Das Thema Wissenschaft ist zu komplex, um es hier mit einigen markigen Sätzen abzumeiern. Die Wissenschaftsfeindlichkeit und allerlei esoterische Albernheiten sind gerade Mode. Zurück ins Mittelalter, avanti Dilletanti.

Zur Frage an sich: Ich sehe zu viele Einflußfaktoren, die es mir unmöglich machen, einen Stimmungseffekt alleine einer geänderten Tonhöhe zuzuschreiben. Angenommen, ich habe ein schönes Begleit-Arrangement für ein Lied und transponiere das vermittels Capo von A nach H, weil mir das stimmlich besser passt:

Der Klassiker mag's verzeihen, aber die Benutzung des Capo ist die einzige Möglichkeit, die Begleitung 1 zu 1 zu transponieren, ohne hinsichtlich der Erreichbarkeit der exakt gleiche Umkehrungen, Fingersätze, Leersaiten Kompromisse eingehen zu müssen. Da kommen schon die folgenden Effekte hinzu:

Die Gitarre klingt mit Capo am vierten Bund anstatt meinetwegen am zweiten Bund anders, irgendwie "lieblicher". Die Stimme verändert ihren Charakter dank größerer Entspanntheit. Ich könnte nicht mit Sicherheit behaupten, daß alleine die insgesamt verschobene Tonhöhe den Unterschied macht. Andererseits kann ich das auch nicht ausschließen.

Der verlorene Zauber hängt in meiner Erfahrung meist damit zusammen, daß das, was das gehörte Lied ausmacht, in einer eigenen Umsetzung viel von dem nicht aufweist, was die begeisternde Originalaufnahme an sich hat. Eine andere Stimme, eine anders gespielte Begleitung, womöglich arg vereinfacht. Also empfinde ich es als Aufgabe, so lange damit herumzuhandeln, bis das Lied nach meinem Empfinden wieder einigermaßen dem entspricht, was ich einst gehört und was mich begeistert hatte. Die Ergebnisse weichen vom "Original" mitunter ganz erheblich ab, aber sie erscheinen mir ähnlich interessant, wie das Ausgangsmaterial. Die Tonart erscheint mir in diesem Prozeß eher als zweitrangig.

Es gibt aber auch Beispiele und Situationen, in denen die Tonart viel ausmacht: Bei den Stücken, die ziemlich exakt nachgespielt werden, in meinem Fall beispielsweise Paul Simon (Simon & Garfunkel). Scarborough Fair einen halbton Tiefer angesetzt, kommt mir ziemlich anders vor, als das Ausgangsmaterial. Das aber liegt nach meiner Einbildung an der starken Gewöhnung und recht intensiven Beschäftigung mit dem Ausgangsmaterial, was das Begleit-Arrangement betrifft.
Zuletzt geändert von RB am Mi Aug 22, 2012 3:58 pm, insgesamt 1-mal geändert.
Ulrich Peperle
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Beitrag von Ulrich Peperle »

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Zuletzt geändert von Ulrich Peperle am Sa Apr 09, 2016 2:01 pm, insgesamt 1-mal geändert.
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scifi
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Beitrag von scifi »

Holger Danske hat geschrieben: Aber mal ohne Spaß: es wäre doch methodisch ein Klacks; Kontrollgruppe, Versuchsgruppe...klass. Vergleichsuntersuchung; diverses Tonmaterial in versch. Tonarten unter identischen äußeren Bedingungen (Räumlichkeit etc.) ...da ginge so einiges...und dann: ein gut konzierter Fragebogen und man hätte erste Ansatzpunkte.
Das Problem wäre zumindest die kulturellen Faktoren auszuschließen, um irgend eine allgemeine Aussage zu erhalten. Bei so einem Kulturerzeugnis wie Musik wäre das aus meiner Sicht unbedingt notwendig, um überzeugend zu sein.

Ich wage zu behaupten: Wenn ich meine Großtante experimentell mit Death-Metal bei 80 Dezibel bedröhne, dürfte es egal sein, ob ein Song in D Moll oder E-Moll gespielt wird. Einfach weil bei ihr so oder so erst mal der Fluchtreflex überwiegt. Die wäre kulturell soweit von diesem Genre entfernt, dass die Mustererkennung der musikalischen Wahrnehmung gar nicht erst einsetzen würde.

Wobei man dass mit 100 international zufällig ausgewählten Großtanten vielleicht wirklich erst mal überprüfen müsste :bide:
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scifi
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Beitrag von scifi »

@Holger Esseling

jetzt lass dich hier aber von unserer vermeintlichen Klugsch.... nicht in die Flucht schlagen!!!!

Genieße einfach, dass du mit einem Satz hier vielen Forumlern einen willkommenen Anlass gegeben hast, wieder mal die Buchstaben auf Ihren Tastaturen zu suchen ;-)

Das ist hier so eine Art Initiationsritus :twisted:
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