"Aging", "Relic" oder wie auch immer

Alles, was mit akustischer Gitarrenmusik zu tun hat und sonst nirgends hineinpaßt

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Kraushaar
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Beitrag von Kraushaar »

Pida hat geschrieben:
Kraushaar hat geschrieben:...selbst "geagete" Strat mal eben an die Schwabbel gehalten
:lol:
Reaktion?
Im ersten Moment? Schnappatmung.
Dann aber einhelliges Gelächter und dann habe ich ihm ein paar Tipps gegeben, wie man es hin bekommt, dass die Oberfläche weniger zerkratzt, sondern gebraucht aussieht.
Allerdings nicht ohne ihn für den Quatsch zu veräppeln. Man soll seine Kunden ja nicht verzärteln... :)
Mit den besten Grüßen aus dem milden Westen!
Walter Kraushaar
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RB
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Beitrag von RB »

Die Geschichte mit dem Gebrauchsgegenstand ist Koketterie und soll vielleicht mit der Betonung der Gleichgültigkeit gegenüber einem vom Gesprächspartner hochgeachteten Gegenstand lässig und verwegen wirken. Als Psychologe kann ich konstatieren: Aus ausgeprägter Ich-Schwäche evoziertes Kompensationsverhalten und heimliches Heulen bei jedem Kratzer.
Gast

Beitrag von Gast »

In der Tat ist es so, dass gerne mal ein bestimmter Begriff missbraucht wird um ein Produkt zu verkaufen. Gebe ich beim großen T. den Begriff „vintage“ ins Suchfeld ein, erhalte ich 3257 Treffer. Nun gut - es ist ein Modebegriff und er verkauft sich zur Zeit nun mal ganz gut. In anderen Branchen ist ja auch nicht anders. Denken wir an „wellness“, „bio“ oder jedes beliebige Produkt, dem „rechtsdrehend“ vorangeschoben wird.
Trotzdem brech‘ ich mal ne Lanze für die Vintage-Fans, die sich vielleicht nach den ganzen Anti-Vintage-Vertretern in diesem Thread noch nicht getraut haben, hier etwas zu schreiben. Vielleicht bin ich auch der Einzige, wer weiß.
Eins vorweg: Ich spiele nicht gut und würde es mir nie anmaßen, eine Gitarre zu kaufen, die andeuten würde, ich hätte jahrzehntelange Bühnenerfahrung. Trotzdem finde ich, dass so manch eine Gitarre im roadworn-look einfach nur schick aussieht.
Nehmt die hier als Beispiel:
http://www.dolphinmusic.co.uk/product/3 ... ewood.html
Die mag zwar andeuten viel gespielt worden zu sein; man kann es aber auch als „I don’t give a fuck about your highglanz, hochpolierte Samtkoffer-Gitarrensammlung“ interpretieren. Und wer das mag, bitte schön.
Darüber hinaus glaube ich auch, dass solche Gitarren eine ganz andere Zielgruppe ansprechen möchte, als diejenigen, die meinen, dass ihre Gitarren auch sonst Spielspuren im Laufe der Jahre erhalten werden und diese ihnen auf „natürliche Weise“ selbst hinzufügen möchten. Denn mal ehrlich: Welcher durchschnittliche Mitteleuropäer, der auch noch Wert auf pseudoanonyme Mitgliedschaft in einem Gitarrenforum Wert legt, würde seiner Gitarre solche Gebrauchsspuren hinzufügen (auch wenn die Gitarre mal einen Ding oder Dong mit der Zeit abbekommt)? Die Meisten würden doch schon nach einem kleinen Lackplatzer mit Pippi in den Augen zum Gitarrenbauer ihres Vertrauens rennen, der ihnen bestimmt sagen wird: „Ei, mein Kleiner, alles wird wieder gut...“
Was ich damit sagen will: Ich finde es, genauso wie die Meisten hier, absolut lächerlich, wenn jemand seine Gitarre „vorschickt“ um vorzugeben schon lange, und damit auch gut, gespielt zu haben (von der Sorte gibt es sicherlich nicht zu wenig). Doch sicherlich gibt es auch diejenigen, die gut spielen können und denen eine solche Gitarre einfach gut steht. Und denen gönne ich es, dass es eine Gitarre auf dem Markt gibt, die auf ihre Bedürfnisse zugeschnitten ist.

Gruß, M.
Gast

Beitrag von Gast »

Oh Mist, habe gerade gesehen, dass Pida die Lanze schon vor mir gebrochen hat...nichts für Ungut...

Gruß, M.
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Orange
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Beitrag von Orange »

_Marcus_ hat geschrieben: ... Ich spiele nicht gut und würde es mir nie anmaßen, eine Gitarre zu kaufen, die andeuten würde, ich hätte jahrzehntelange Bühnenerfahrung. Trotzdem finde ich, dass so manch eine Gitarre im roadworn-look einfach nur schick aussieht ...
Da bin ich als alter Vintage-Fan auch ganz auf deiner Seite :bide: !

OT: So, jetzt aber wieder zurück zum Champions League Finale - möge die bessere Mannschaft gewinnen --> also Manchester 8) .
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jay-cy
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Beitrag von jay-cy »

Gut, oute mich auch gerne. Bei meiner Strat (1962 reissue) hab ich unter Kopfschütteln meiner lieben Frau selbst Hand angelegt und ihr einen Relic Job verpasst. War wahnsinnig zeitaufwändig, mit viel Logistik, Sucherei, Chemie und harter Arbeit verbunden, hat aber irre Spaß gemacht. Letzten Endes hats ein gutes halbes Jahr gedauert, zusammen sicher über 50 Stunden. Allein das Trem hat etwa 10 bis 12 Stunden über 8-10 Tage verschlungen. Und das Endergebnis sieht besser aus als die Stangenware von F..., G... & Co. Außerdem: 1962 reissue neuwertig sieht einfach besch... aus.
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Orange
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Beitrag von Orange »

jay-cy hat geschrieben: ... Bei meiner Strat (1962 reissue) hab ich unter Kopfschütteln meiner lieben Frau selbst Hand angelegt und ihr einen Relic Job verpasst. ...
Kann ich mir gut vorstellen dass das sehr zeitaufwendig ist. Hier würde ich gerne mal ein Foto sehen :P ?

Ich habe bei meiner Walden nur den Hochglanz-Lack von der Halsrückenseite mit feiner 400-er Körnung runtergeschliffen,
nicht aus relic-gründen sondern da ich hochglanz-polierte Hälse gar nicht mag :x .

Jetzt ist er schön griffig, allerdings farblich nicht mehr so "schön", stört
mich aber ungefähr 0 (in Worten: null :lol: ).

Bild
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OldPicker
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Beitrag von OldPicker »

Pida hat geschrieben: ...
OldPicker hat geschrieben:Mir bleibt [für Käufer teurerer Relic-Gitarren] nur ein mitleidiges Lächeln.
OldPicker hat geschrieben:Es gibt Menschen, die entschuldigen ihren ziemlich gleichgültigen und achtlosen Umgang mit ihren Instrumenten mit der erstaunlichen Begründung, es handle sich hierbei um einfach nur Werkzeug und Gebrauchsgegenstände. [...] nicht nur ein allgemeines Verständnis-, sondern auch ein Generationsproblem.
OldPicker, ich finde deine Äußerungen etwas anmaßend. Ich betrachte meine Gitarren weitgehend als normale Gebrauchsgegenstände und mir ist - anders als dir - völlig egal, wie die Instrumente eines Musikers aussehen, den ich auf der Bühne sehe.
Ich denke aber nicht, dass deine Sichtweise der Entschuldigung bedarf oder bei dir ein allgemeine Verständnisproblem vorliegt. Und sollten wir mal zusammen ein Gitarrengeschäft verlassen (ich mit teurerer Relic-Gitarre, du mit dem Standardmodell) werde ich dabei hoffentlich weder Mitleid noch Überlegenheit verspüren. Ich würde mich freuen, wenn du meine Kaufentscheidung dann genauso entspannt sehen könntest.

Gruß
Pida
Aber klar doch. Ich wiederhole es aber gern noch einmal:
Oldpicker selbst weiter oben hat geschrieben: ...
Wie auch immer - jeder so, wie er es braucht.
...
8)
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"I usually play songs in two chords, C and G, and every once in a while I throw in an F, just to impress the girls."
(Woody Guthrie)
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Pappenheim
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Beitrag von Pappenheim »

Manati hat geschrieben:Viele Leute hegen und pflegen ihr Auto, als wäre es ein Kind oder ein Schatz - ich hingegen wasche mein Gefährt vielleicht einmal in vier Jahren und mülle es stets voll. Hauptsache, es ist technisch in Ordnung, dafür sorge ich schon. Ein Auto ist für mich halt ein Gebrauchsgegenstand, zu dem ich keine emotionale Beziehung habe. Mehr nicht.

Andere behandeln ihre Bücher so, wie man es vor hundert Jahren tat, als Bücher noch wertvoll waren. Ich hingegen lege sie grundsätzlich offen nebens Bett, platt, mache Eselsohren hinein und krümle auch oft rein. Bücher sind für mich zum Lesen da, nicht zum Schonen (es gibt natürlich Ausnahmen wie teure Bild- oder Fotobände).

Meine Gitarren aber pflege ich liebevoll und bin sehr gut zu ihnen. Zu ihnen habe ich halt eine emotionale Beziehung. Wenn andere das mit ihren (!) Instrumenten anders handhaben, dann ist das eben so. Ist mir ehrlich gesagt reichlich egal. Solche Leute lasse ich meine Instrumente halt nicht spielen, und ihre versifften Gitarren (Griffbretter mit "Kruste" - *börks*) nehme ich nicht in die Hand.
Sehr gut Manati, Du sprichst mir voll aus der Seele! Ich handhabe das aber sowas von ganz genau so.

:lol: "börks" :lol: hihi, was für ein Ausdruck ... :lol:
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jay-cy
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Beitrag von jay-cy »

@Kaindee:
Ist immer ein bisschen schwer, per Foto den richtigen Eindruck zu vermitteln. Wie üblich ist die Realität natürlich immer viel schöner 8)

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Dem Sachkundigen wird's natürlich auffallen: In Sachen Technik ist das nicht 100% Vintage :wink: Das Trem ist ein Callaham "cold rolled steel" (weil's einfach nix besseres gibt), und unter der Haube schlummert ein Ray Gerold Bourbon Pickup Satz mit entsprechender Schaltung.
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Orange
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Beitrag von Orange »

Sieht meiner Meinung nach gut aus, tolle Foto´s - danke für´s Zeigen :D !

Und die Brandspur an der Kopfplatte ... an welcher Gitarre hast du dich da wohl orientiert :roll: ... :wink: .

Mit gefällt´s :bop: !
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Pappenheim
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Beitrag von Pappenheim »

Ich hab in meiner E-Gitarrenzeit auch immer an der Stelle die Zigarette eingeklemmt, allerdings höllisch aufgepasst, dass genau sowas nicht passiert - wäre es dennoch passiert, hätte ich wohl wochenlang geheult ... :cry:

Na gut jetzt als Nichtraucher kann das ja garnicht mehr passieren. Fazit: Dieses ganze Relic-Zeugs ist wahrlich nichts für mich. Aber jedem das seine (und mir das Meiste!)
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RB
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Beitrag von RB »

Ich habe für derartige Verkünstelungen kein Verständnis. Wenn, dann ganz umbauen, im Sinne von Aufpeppen. (DX-1, ihr wißt vielleicht). Das Relic-Aussehen kam aufgrund meiner handwerklichen partiellen Inkompetenz von ganz alleine.
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OldPicker
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Beitrag von OldPicker »

Zugegeben, das ist handwerklich schon sehr gut gelungen. Und ich sehe sehrwohl einen Unterschied, ob jemand selbst (perfekt) Hand anlegt, oder sich eine "fertige" kauft.

Ich habe vor Jahren sehr intensiv Modellbau betrieben. Da hieß dieser Vorgang "weathering" und wurde von einigen Modellbaukollegen exzessiv und akribisch betrieben. Wer den Job gut machen wollte, brauchte ein besonderes Auge für Details und das genaue Wissen um realistische Alterung. Dann wurden die (meist Auto-)Modelle in einem entsprechenden Diorama fotografiert; es war schwer festzustellen, ob es dann ein Original oder ein Modell war. Wie oft, war hier der Weg das Ziel. War das Modell erst fertig, kam es irgendwo in einen Karton und wurde nur zu irgendwelchen Ausstellungen heraus geholt. Wenn überhaupt.
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Orange
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Beitrag von Orange »

Habe soeben meine ersten "Relic"-Spuren an der Gitarre entdeckt :rotfl: , mächtig, mächtig, und mit dem menschlichen Auge kaum sichtbar :lol: .

Zarge / Boden Oberseite - wo ich mir die Gitarre quasi "zur Brust nehme" :D .

Kleine braune Punkte am Binding - kein Schmutz :? . Und der Lack ist auch schon leicht "verletzt" (das ist aber am Pic schon gar nicht mehr erkennbar :wink: )

Spaßhalber hier ein Pic davon ... aber ich sag nur: schau genau !

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