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Der Stellenwert von Gitarren & Co. - fast Off Topic
Verfasst: So Sep 04, 2011 9:46 am
von berndwe
Hi zusammen,
in einem anderen Thread im Unterforum Off Topic geht es ums Fotografieren. Hier auch - aber eigentlich geht es nicht nur darum. Man kann die Aussagen auch auf unser Haupthema beziehen und darüber nachdenken.
Ich zitiere aus einem Lehrbuch von Andreas Feininger (1), einem Papst der Fotografie und ich setze das bewusst nicht unter "Off Topic". Die Passage befasst sich mit dem Stellenwert der Fotoausrüstung:
"Kameras, Objektive, Belichtungsmesser usw. sind Werkzeuge. Sie sind Instrumente, dazu bestimmt, gewisse Funktionen zu erfüllen, deren Zusammenwirken schließlich das Foto ergibt. Leider bedeuten sie jedoch vielen Fotografen mehr, die in ihnen beinahe etwas Verehrungswürdiges sehen........
.............Fotografen, die in ihre Ausrüstung verliebt sind, kommen nie dazu, ernsthaft Bilder zu schaffen, weil sich ihr Hauptinteresse auf die Mittel konzentriert anstatt auf das Ziel. Sie sind Experten auf dem Gebiet der Zubehörteile, wissen alles über die verschiedenen Kameramodelle, testen endlos ihre Ausrüstung und sind stolze Besitzer der am schärfsten zeichnenden, sorgfältig ausgewählten Objektive. Sie tauschen dauernd ihre Ausrüstung um, damit sie stets auf dem letzten Stand ist, verbringen zahllose Stunden in Diskussionen mit Gleichgesinnten über die Vorzüge ihrer Kameras, sind mit allen feinen Unterschieden vertraut, die das eine Modell dem anderen voraus hat, aber sie bringen nie eine Fotografie zustande, die der Mühe wert ist. Wollen Sie als Fotograf weiterkommen, ist daher mein Ratschlag: Behandeln Sie Ihre Kamera wie der ein Schriftsteller seine Schreibmaschine. Nicht mit Liebe sondern mit vernünftiger handwerklicher Rücksicht......"
Soweit das Zitat. Man könnte im Text jetzt sinngemäß den Begriff "Kamera" durch "Gitarre" ersetzen und schon hat mein ein schönes Diskussionsthema für dieses Forum. Ich selbst bin überzeugt davon, dass auch diejenigen, die ihre Gitarren lieben, gescheit Musik machen können, aber nachdenkenswert sind die zitierten Passagen schon.
P.S: Damit es mir nicht ergeht wie unserem Grafen aus Oberfranken

:
(1) Andreas Feininger, Andreas Feiningers große Fotolehre, Willhelm Heyne Verlag, München, 1979, S. 436 ff.
Verfasst: So Sep 04, 2011 10:02 am
von Rainer H
Das ist es! vielen Dank!
Gruß Rainer
Verfasst: So Sep 04, 2011 10:38 am
von Silver
-
hi berndwe, ich dank Dir vielmals !
erwischt, damit triffst Du so dermasen ins Schwarze,
und das passt natürlich auf viele Bereiche.
Tja, und was machma dagegen jetzt ???
(ich hab nämlich auch immer schon einen guten Fotoaparat, dessen Auswahl viele viele "Wochen" studium mitsich zogen

Verfasst: So Sep 04, 2011 10:39 am
von H-bone
Wieso sollte man gute, edle "Werkzeuge" nicht lieben und trotzdem gute Arbeit damit machen ?
Ich liebe meinen Flachwinkelhobel, er ist ein wundervoll präzises und auch ästhetisches Werkzeug, ich liebe meine handgeschmiedeten japanischen Stemmeisen und verbeuge mich in Verehrung vor dem Meister der sie gemacht hat... Und ich mache damit meine Arbeit...
Ich liebe meine Armbanduhr und bin verzückt in Hochachtung vor der Präzision des Automatik-Uhrwerks... ich kann trotzdem ganz passabel die Uhr ablesen...
Und ich liebe meine (persönlichen) Gitarren, denn nur durch diese Zuneigung ist ein wirklich intensiver gegenseitiger Dialog zwischen Instrument und mir möglich...
Und vielleicht gibt es sogar Schriftsteller, die ihre Schreibmaschine lieben... von Johannes Mario Simmel wird kolportiert er hätte sich von seinem Lieblingsmodell gleich 10 Stück gekauft, damit er immer eine zur Verfügung hat.
Gruss, Martin
Verfasst: So Sep 04, 2011 10:46 am
von rwe
Ja, klar.
Werkzeuge sind wichtig. Auch Fotografen überlegen sich, mit welcher Kamera, mit welcher Brennweite, mit welchen Filtern und welchen Filmen sie das Bild am besten realisieren können. Insofern ist natürlich auch bei Musikinstrumenten wichtig, inwieweit ihr Klangcharakter zum Stück passt usw.
Aber es sind eben auch nur Werkzeuge. Die können (und sollen) Spaß machen. Sie müssen auch bespielbar sein, und das kann sehr von Person zu Person differieren.
Ein grundsätzliches Problem: Es ist wohl für Gitarristen (kann ersetzt werden durch: Bassisten, Pianisten, Flötisten, Oboisten, ...) nicht untypisch, die Virtuosität bzw. den Effekt auf dem Instrument gegenüber der Musik in den Vordergrund zu stellen. Das ist "erlaubt", aber verengt die Perspektive. Es gibt viele Stücke, die als Gitarrist Spaß machen, aber musikalisch nicht besonders "wertvoll" (ich weiß um das Problem dieses Begriffs) sind.
Verfasst: So Sep 04, 2011 10:50 am
von Silver
hi Martin,
Du hast ihn nicht richtig verstanden, es geht nicht darum dass man sein Arbeits- übungsgerät nicht lieben soll,
sondern darum dass bei manchen Leuten
das der Zeit und Energieaufwand von:
sich mit dem Werkzeug, der Auswahl der Marken usw. beschäftigen
in einem ungünstigen Verhältnis steht zu
damit Üben / arbeiten / weiterlernen / bessere Ergebnisse erzielen.
Verfasst: So Sep 04, 2011 11:22 am
von berndwe
H-bone hat geschrieben:
Ich liebe meinen Flachwinkelhobel, er ist ein wundervoll präzises und auch ästhetisches Werkzeug, ich liebe meine handgeschmiedeten japanischen Stemmeisen und verbeuge mich in Verehrung vor dem Meister der sie gemacht hat... Und ich mache damit meine Arbeit...
In Deinem letzten Satz steht das Entscheidende. Die Sache ist bei Dir im Gleichgewicht. Deine Werkzeuge sind Werzeuge geblieben und Du benutzt sie um Gitarren zu erschaffen und nicht um ihrer selbst willen.
Verfasst: So Sep 04, 2011 11:26 am
von Pida
Ich kann Martins Einwand schon verstehen. Hätte er sich nicht vorher zu Wort gemeldet, hätte ich etwas ähnliches geschrieben.
Silver hat geschrieben:es geht nicht darum dass man sein Arbeits- übungsgerät nicht lieben soll,
sondern darum dass bei manchen Leuten
das der Zeit und Energieaufwand von:
sich mit dem Werkzeug, der Auswahl der Marken usw. beschäftigen
in einem ungünstigen Verhältnis steht zu
damit Üben / arbeiten / weiterlernen / bessere Ergebnisse erzielen.
Wo findet sich das denn im Zitat von Feininger? Ich könnte das auch nicht nachvollziehen. Ich glaube nicht, dass jemand ein besserer Fotograph wird, weil er keine Testberichte o.ä. liest und in der gewonnenen Zeit noch ein paar Fotos mehr schießt. Bei der Gitarre sehe ich den Zusammenhang von besser werden und Zeitaufwand schon eher.
Davon ab: Die meisten Fotographen wie Gitarristen betreiben ihr Hobby doch, weil sie ihre Freizeit gestalten möchten (und nicht, weil sie z.B. einen Preis gewinnen wollen oder Geld verdienen müssen). In diesem Moment möchte ich eben lieber hier was im Forum schreiben, als zu spielen; jemand anders liest vielleicht grade lieber einen Testbericht und ein dritter putzt seine Gitarre lieber, als darauf Musik zu machen.
Was ist daran ungünstig oder problematisch; warum sollte man was dagegen machen?
Verfasst: So Sep 04, 2011 12:57 pm
von Gast
hallo,
ich stimme 100% mit feininger überein.
meine gitarren sind werkzeuge, hochwertige werkzeuge, und dementsprechend werden sie behandelt, damit sie möglichst lange halten.
respekt, hochachtung oder jede sonstige geartete beziehung zu diesem werkzeug oder dessen erbauer haben für mich keinen platz.
das werkzeug tut was ich will, und wenn nicht, dann wird es verändert oder es kommt ein neues/besseres werkzeug her und das alte wird (fast) emotionslos verkauft.
ich will keinen beleidigen, aber auch ich denke, dass eine "beziehung" zu einem instrument eher hinderlich ist um ein guter musiker zu sein/werden.
TR
Verfasst: So Sep 04, 2011 1:45 pm
von Saitensprung
Es ist schon etwas Wahres an der Sache, aber es muss nicht unbedingt zutreffen.
Ich will auch die vielen schönen Werkzeuge um mich daran zu erfreuen. Zeichenbedarf, Bilderbücher, Musikinstrumente, Schuhe - da kaufe ich nicht einfach das Günstigste. Aber mich motivieren die edleren Dinge eher dazu, sie auch zu benutzen, als nur anzusehen und zu sammeln.
Leider mache ich oft auch keinen Unterschied im Gebrauch zu den üblichen Gegenständen, was dann letztlich dazu führt, dass auch meine teuren Stücke dem Verschleiß unterliegen.
Für mich sind meine Objekte der Begierde oft Klassiker oder Handwerkskunst.
Früher gab es nur solches Material, als es noch keine Automatisierung gab und nahezu jeder Gegenstand in Handarbeit hergestellt wurde. Diese Dinge wurden auch gebraucht und nicht immer gerade geschont.
Verfasst: So Sep 04, 2011 3:06 pm
von Fayol
danke füe diese gedankenanregungen, besonders dir berndwe....toller thread.
ende der 80' war ich in köln auf einer photokina. dort waren fantastische aufnahmen von profis/amateuren zu sehen. das besondere an denen war,
sie alle waren mit einer ganz billigen einwegkamera gemacht ("ritsch ratsch klick" dingerähnlich).
diese profis/amateire haben das gemacht, was man eben mit diesen fotoapperaten an fotos machen konnte (festbrennweite glaube ich 35 mm). und nur das! mit sehr überzeugenden ergebnissen.
wenn hbone* werkzeuge gebraucht ist das ergebnis eben eine (und hoffentlich viele viele weitere) tolle instrumente. die wiederum sollten werkeuge für gitarristen sein, die dazu gebraucht werden um musik zu machen. tolle musik eben.
Fayol
* hbone ist als vertreter dere gitarrenbauer aufgeführt.
wer es noch nicht weiß, ich habe in christian stoll meinen gitarrenbauermeisterfavoriten gefunden. aber das "nur" so am rande "bemerkt".
Verfasst: So Sep 04, 2011 3:35 pm
von Tripple xXx
Das ist das was ich immer und immer wieder gerne Leuten sage die denken man braucht eine 5000 Euro Gitarre um schöne Musik zu machen;).
Klar ist man im Vorteil oder es ist schöner ein Tolles Instrument/Kamera zu haben,aber nicht die Gitarre/die Kamera macht die Bilder/Musik solldern der Musiker/Fotograf.
Es spricht ja auch nichts dagegen in sein Hobby viel Geld zu investieren,aber man soll nicht glauben nur weil man eine zb. eine canon 7D oder was weiss ich für ne Cam hatt man besonders gut fotografieren kann,genauso ist es bei der Gitarre,jemand der gut spielen kann kriegt auch aus "Sperrholz" schöne Töne raus.
lg Sascha
Verfasst: So Sep 04, 2011 4:13 pm
von Rainer H
Obwohl die Yamaha FG 150 eher als günstige Mittelklassegitarre für Anfänger und Hobbymusiker gedacht war, erlangte sie weltweite Berühmtheit durch das Woodstock-Festival. Im Backstagebereich des Konzerts befand sich zufällig ein Exemplar, das von den verschiedenen Musikern zum Aufwärmen benutzt wurde. Legendär wurde der Auftritt des Musikers Country Joe, der unverhofft auf die Bühne geschickt wurde um eine Umbaupause zu überbrücken. Da Country Joe kein Instrument zur Hand hatte nahm man die Yamaha, band ein Seil als provisorischen Tragegurt um die Gitarre und schubste den überraschten Musiker auf die Bühne. Das spontan gespielte Lied „I-Feel-Like-I'm-Fixin'-To-Die Rag" ist auf dem Album und dem Film zum Festival zu hören.
und Das war eine Sperrholzklampfe!
Legenden müssen nicht Vollmassiv sein!
Gruß Rainer
Verfasst: So Sep 04, 2011 4:29 pm
von uwesemmelmann
Feiningers Bücher habe ich immer so geschätzt, weil er nie die Hardware in den Mittelpunkt stellte, sondern die Qualität des Ergebnisses.
Übertragen auf die Musik würde das bedeuten, dass Tonbildung (z.B. im Hinblick auf die Zupfhand (wird ja zumeist stark vernachlässigt), verschiedene Vibratotechniken und Fingersatz), Dynamik und Interpretation in den Vordergrund gerückt werden.
Sobald das Instrument eine gewisse Mindestqualität besitzt (und die ist heute relativ preiswert zu haben), wäre es eigentlich an der Zeit, sich mehr mit Musik zu beschäftigen und die eigene Energie in die zigtausend Stunden zu setzen, die es, wie irgendwo steht, braucht, das Instrument besser zu beherrschen.
Was machte Miles Davis so einzigartig? Warum bekommt man den Groove von Adam Rafferty - trotz Billigtaylor, Fat Lady oder Maton - nicht hin... und was könnte man dagegen machen?...
Das sind doch eigentlich die interessanten Fragen...
Zwei Buchtipps:
-- Pierre Bensusan: The Guitar Book of P.B. (was man nicht alles mit der rechten Hand machen kann/können sollte...)
-- Philip Toshio Sudo: Zen Guitar
Btw.: Ich habe mal einen professionellen Industriefotografen im Ruhestand kennengelernt, der ein Leben lang mit großen Plattenkameras und im Mittelformat gearbeitet hatte, alles mit Bestausrüstung. Er hatte immer nur noch eine kleine Rollfilmkompaktkamera mit einer 35mm Festbrennweite dabei (das war noch vor Digital) und freute sich immer, dass er nichts mehr schleppen musste. Und, verdammt nochmal, jedes einzelne seiner Fotos war besser als alles, was ich damals so gemacht habe...
Verfasst: So Sep 04, 2011 4:53 pm
von notenwart
Um jetzt mal dem Feininger zu widersprechen:
Aus Sicht Feiningers ist es wohl logisch, zuerst mal an das Bild zu denken, und dann an die benötigte Ausrüstung. Wenn es aber jemandem unbändigen Spaß macht, die tollsten und feinsten Details der Ausrüstung zu bewundern ohne jemals ein herausragendes Bild festzuhalten, ja also mich stört das nicht.
Das ist doch die Entscheidung des Einzelnen
Was bitte macht ein Modellbauer? Er verliebt sich in die Details eines Schiffes (Flugzeuges...), das nie schwimmen wird.
Oder ein Liebhaber von Oldtimern? Gibt Unsummen für möglichst originale Ersatzteile aus für ein Auto, das nie mehr die Werkstatt verlassen wird.
(Die zumeist jugendlichen Autotuner haben erst recht einen Riss in der Schüssel)
Es gibt sogar Frauen, die sich für viel Geld verschiedene Körperteile renovieren lassen, werden die dann mehr geliebt?
Zurück zur Gitarre, wenn jemand vorrangig alle Testberichte auswendig kennt, alle Saiten theoretisch beurteilen kann und jegliches Aufnahmeequipment auf seine theoretische Tauglichkeit hin präsentieren kann und daran Freude hat, ja dann ist es doch wunderbar. Dann muss ich dem doch nicht die Freude verderben, indem ich sage, ja nun spiel doch mal was.
