Auf dem Glen-Campbell-Trip

Alles, was mit akustischer Gitarrenmusik zu tun hat und sonst nirgends hineinpaßt

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sali
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Auf dem Glen-Campbell-Trip

Beitrag von sali »

Hallo zusammen,

seit gut zwei Wochen bin ich auf dem Glen-Campbell-Trip. Der Rhinestone Cowboy befindet sich gerade auf dem langen Ritt in den Sonnenuntergang. Anfang 2011 wurde bei ihm Alzheimer diagnostiziert. Seit dem Herbst ist Glen Campbell auf Abschiedstournee. Jetzt wurde er bei den Grammys mit dem Lifetime Achievement Award geehrt.

Als Nachgeborener war mir lange gar nicht bewusst, welch ein großartiger Musiker und auch phantastischer Gitarrist dieser Mann war und ist. In den 60ern gehörte er zur Wrecking Crew, der erlesenen Gruppe an Top-Studiomusikern, die in LA auf Hunderten von Produktionen mitgewirkt haben. Seine Gitarre ist zu hören auf "Strangers In The Night" von Frank Sinatra, der Platte "Viva Las Vegas" von Elvis, "You've Lost That Lovin' Feeling" von den Righteous Brothers, auf "I'm A Believer" von den Monkees und dem Mega-Album "Pet Sounds" von den Beach Boys, denen er auch für eine Weile als Brian-Wilson-Ersatz angehörte.

Ende der 60er schaffte er als Crossover-Künstler mit Country-Pop den Durchbruch und verkaufte seitdem zig Millionen Platten von Hits wie "By The Time I Get To Phoenix", "Gentle On My Mind", "Wichita Lineman", "Galveston" oder "Rhinestone Cowboy". In seiner Fernsehshow "Glen Campbell Goodtime Hour" spielte er mit Leuten wie Ray Charles, Stevie Wonder, Cher oder Johnny Cash zusammen.

Nun, da die Alzheimer-Krankheit mehr und mehr Besitz von ihm ergreift, hat er ein viel beachtetes letztes Album vorgelegt: "Ghost On The Canvas". Es wurde von Julian Raymond produziert und gilt als eine Art Retrospektive seiner Karriere, ohne ein Best of zu sein. Raymond hat auch schon den hochgelobten Vorgänger "Meet Glen Campbell" aus dem Jahr 2008 produziert, ein Alterswerk, das aber nicht so schwermütig daherkommt wie etwa die American Recordings von Johnny Cash.

Von der letzten Platte stammt das Lied "A Better Place", das viel über sein Leben mit allen Höhen und Tiefen aussagt und zugleich belegt, dass Glen Campbell auch mit 75 Jahren noch unheimlich soulige Musik machen kann:
http://www.youtube.com/watch?v=l4mylwPMPhM

Die Tour scheint ihm gut zu tun, seine Familie fängt ihn auf - und die Musik genauso:
http://www.youtube.com/watch?v=HhAhBFkm9MI

Der Krankheit zum Trotz stecken noch fantastische Licks in den alten Knochen, wie hier bei "Gentle On My Mind" von einer Probe im letzten Herbst (ab ca. 3:00):
http://www.youtube.com/watch?v=L3sDZRnpTy0

Das folkige "Gentle On My Mind" gehört ohnehin zu meinen Favoriten:
http://www.youtube.com/watch?v=X0-fL6YlVgA

Hier fummelt er 2009 bei einem Auftritt mit Keith Urban erst minutenlang an seinem Capo herum, um dann ein brilliantes Solo zu "Wichita Lineman" abzuliefern:
http://www.youtube.com/watch?v=KTZCdZmtJYM
Noch mal ohne Kapo, dafür mit Strat aus dem Jahr 2008:
http://www.youtube.com/watch?v=LMFOnpT9RkQ
Und damit's endgültig in die Gehörgänge kriecht - vor gut zehn Jahren mit den Stone Temple Pilots (!):
http://www.youtube.com/watch?v=HDPuK_tqG-Y

Auch bei der Soldatenballade "Galveston" lässt er am Ende die Finger fliegen, erneut 2008 bei "Later with Jools Holland":
http://www.youtube.com/watch?v=w6cPF4IHHds

Ich kannte den Mann bisher nur von ein paar Videos mit Jerry Reed und hatte ihm nicht viel Beachtung geschenkt. Das wird sich nun ändern.
"Guitar Man": http://www.youtube.com/watch?v=nqxv3DbXO4k
"Southern Nights": http://www.youtube.com/watch?v=Mr5V3m6JMwY

Als er bei der Grammy-Verleihung geehrt wurde, trat er auch selbst noch mal auf - großes Kino:
http://www.youtube.com/watch?v=ogpGUm6NQYs
Und noch die großartige Version von "Gentle On My Mind" von The Band Perry, die am Anfang auftraten:
http://www.youtube.com/watch?v=yWbmhvdt9Co

Wenn Paul McCartney in der ersten Reihe steht und einem zujubelt, muss man eine verdammte Legende sein ...

Was für ein Ton! Was für eine Stimme!

Ich ziehe meinen Hut. Farewell, Mr. Campbell!

Viel Vergnügen!

Ingo


P.S:: Steve Lukather und Glen Campbell schremmeln und reden ein bisschen - Rocklegende trifft Idol - http://www.youtube.com/watch?v=hsRgxVZdTOg
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doc
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Beitrag von doc »

Hallo Ingo,
herzlichen Dank für die Klasse Dokumentation!
doc
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Bushi
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Beitrag von Bushi »

Jau, herzlichen Dank, mich an diesen Musiker zu erinnern.
Seine Hits, die wir aus dem Radio kennen, waren ja mehr (man verzeihe mir...) eher "schlagermäßig", aber darüber hinaus hat er viele tolle Songs geschrieben.
Ich spiele auf:
"The LADY" Washburn D10 CE/B (mit Cutaway !!!)
Harley Benton HBD-112
Fender Squier Strat
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tired-joe
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Beitrag von tired-joe »

Vielen Dank, Ingo, dass du mir wieder Glen Campbell ins Gedaechniss gerufen hast. Manche seiner Songs waren mir zu "schlagermaessig", wie bushi es ausdrueckt. Er hat aber auch einige schoene Sachen geschrieben. Klassische Songs.

Und irgednwie muss man ihm auch dankbar sein, dass er mit Hartfords Gentle on My Mind einen grossen Erfolg hatte. Wie Hartford es mal ausdrueckte hat ihm der Erfolg Freiheit gekauft. Freiheit in dem Sinne von finanzieller Unabhaengigkeit und so konnte Hartford seine eigenen Sachen durchziehen, ohne kommerziellen Druck, was zu einigen wirklich schoenen Alben fuehrte (fuer meinen Geschmack). Da erging es John Hartford wie Ralph McTell mit Streets of London, das seine Rentenversicherung ist :wink:

Joe
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kris
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Beitrag von kris »

Danke für das Glen-Campbell-Feature!!! Superinteressant!

Eine kleine Glen-Campbell-Anekdote aus dem MOJO-Magazine ("Believe it or not"):

G.C. konnte bei seiner ersten Aufnahmesession mit Frank Sinatra sein Glück nicht fassen, mit so einem Idol zu arbeiten und fühlte sich wie im siebten Himmel. Am Ende der Session fragte Sinatra seinen Arrangeur: Echt gut gelaufen heute, aber wer ist denn die Tunte da an der Gitarre, die mich andauernd anhimmelt?

Das waren noch Zeiten.

Gruß,
Kris
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sali
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Beitrag von sali »

Ich bin zu jung, um ihn aus dem Radio zu kennen ...

Aber stimmt schon: Vieles in den späten 70ern war sehr schlagermäßig. Seine großen Hits jedoch sind ausnahmslos starke Songs, die auch allein mit Akustikgitarre funktionieren.

Hier liegt aber ein Missverständnis vor: Er hat nichts davon selbst geschrieben, sondern immer nur die Stücke anderer Songwriter interpretiert. Das aber sehr eindrucksvoll.

@Joe: Ich musste bei deinen Zeilen an einen Rat Frank Zappas an einen jungen Musiker denken: "Keep your publishing!"

@Kris: Coole Story!

Hier noch eine Zugabe von einem seiner Abschiedskonzerte - mit seiner jüngsten Tochter, der bezaubernden Ashley, und seiner ältesten Tochter Debby, die locker Ashleys Mutter sein könnte - erst "Dueling Banjos", dann "Rolling In My Sweet Baby's Arms" - schlecht gefilmt, aber guter Ton und tolle Performance: http://www.youtube.com/watch?v=MW-J6xRFtdE
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