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GEMA-pflichtig?

Verfasst: Sa Mai 18, 2013 12:42 pm
von Bernd C. Hoffmann
Ich arbeite an einem neuen Projekt, wo (unabhängig von Ort und Zeit) ich u. a. unbekanntere Gitarristen, auch Gitarrenlehrern die Möglichkeit geben möchte, sich akustisch am Instrument vorzustellen. Für jede Ausgabe ist eine max. Länge von 10 bis 15 Minuten geplant. Das Angebot ist für die Nutzung komplett kostenfrei. Allerdings ist angedacht, bei entsprechender Bekanntheit und Verbreitung potenzielle Werbekunden anzusprechen, die dann Geld für ihre Werbung bezahlen. Obwohl es anfangs keine kommerziellen Absichten gibt, ist es dem Wesen nach kein Non Profit Angebot.

Es gibt Internet GEMA freie Musik, die ich für dieses Projekt verwenden kann, z. B. für Jingles, Titelmusik, Hintergrund etc. Ich will in diesem Projekt aber nur selbst gespielte Musik von Komponisten verwenden, die mindestens seit 70 Jahren verstorben sind sowie eigene Stücke oder Bearbeitungen. Diese Vorgabe bekommen auch Gitarristen, die ich in den Ausgaben vorstelle; hierüber ist auch ein Vertrag über die Korrektheit der gemacht Angaben zu unterzeichnen. Zudem sollen sie kein Mitglied einer Rechteverwertungsgesellschaft wie die GEMA sein, die Ansprüche aus der Darbietung geltend machen kann. Die Länge des jeweiligen Musikstücks soll bei ca. 1 bis 3 Minuten liegen.

Lt. GEMA bestehen keine Urheberrechtsansprüche für Komponisten, die seit 70 Jahren verstorben sind.
Meine Frage lautet nun: Kann mich die GEMA anstelle der Urheberrechte dann für die in der Ausgabe enthaltenen Musikstücke belangen?

Eine weitere Frage, die mir in diesem Zusammenhang interessant erscheint: Wie ist es bei GEMA-Mitgliedern in diesem Forum z. B. der GEMA-Prozess bei Youtube oder myVideo, Facebook und anderen Social Media Downloads geregelt?

Vielen Dank vorab.

Verfasst: Sa Mai 18, 2013 12:49 pm
von RB
Die Frage hat Dir die Gema doch schon beantwortet und Du selbst sie Dir auch schon. Doppelt genäht soll wohl besser halten, was ?

Die Werke von Autoren, die bereits seit 70 Jahren verstorben sind, sind gemeinfrei, bei der Gema heißt das auch gerne domaine publique, abgekürzt "DP". An solchen Werken bestehen keine Urhberrechte und auf ihnen beruhenden Verwertungsrechte mehr. Ob die darbietenden Künstker angeschlossene oder sonstige Mitglieder bei der Gema sind, ist unerheblich. Die Gema treibt kein Geld für aufführende Künstler, sondern Vergütungsansprüche ein, die auf dem Urheberrecht beruhen.

Verfasst: Sa Mai 18, 2013 1:27 pm
von Bernd C. Hoffmann
@ RB: Eigentlich habe ich das auch gedacht.

Eben habe ich mit einem bekannten Gitarrenpädagogen telefoniert, der Mitglied der GEMA ist. Er sagt, die GEMA unterscheidet zwischen einer Komposition und einer Bearbeitung. Bearbeitungen seien lt. ihm GEMA pflichtig. Wenn ich bspw. die Harfenfantasie von Alonso Mudarra (1510 - 1580) spiele, dann handelt es sich in jedem Fall um eine Bearbeitung, weil das Stück nicht für die Gitarre sondern Vihuela komponiert wurde. Danach ist ist dieses Stück GEMA pflichtig. Um das zu umgehen, müsste ich nachweisen, aus welchen alten Quellen ich meine Bearbeitung gemacht habe.

Es scheint so, dass es eben nicht eindeutig ist und die GEMA nach Wegen sucht, eben doch an Geld heranzukommen.

Verfasst: Sa Mai 18, 2013 3:16 pm
von RB
Das ist Halbwissen, das den halb Wissenden in die falsche Richtung führt. Eine Bearbeitung im urheberrechtlichen Sinn ist ein Werk und damit genau so zu behandeln. Damit sollten die Folgen klar sein.

Die Bearbeitung unterscheidet sich vom eigentlichen Werk dadurch, daß sie akzessorisch ist, also auf einem bestehenden Werk beruht und daher seine Verwendung und Verwertung unter dem Einwilligungsvorbehalt des Urhebers des Ausgangswerks steht. Aber das ist im Zusammenhang mit der Gemeinfreiheit unwesentlich.

Wenn der Bearbeiter seit 70 Jahren verstorben ist, ist auch die Bearbeitung gemeinfrei.

Damit gibt es im Zusammenhang mit der Bearbeitung die folgenden Fallgestaltungen:

Werk gemeinfrei, Bearbeitung nicht: Gema will Geld
Werk geschützt, Bearbeitung gemeinfrei: Gema will Geld
Werk gemeinfrei, Bearbeitung gemeinfrei: Gema bekommt nichts

Fall zwei sollte zu denken geben, denn er ist ohne Zeitmaschine kaum zu machen. Allerings könnte ein fünfjähriges Wunderkind ein Werk schaffen, auf dessen Grundlage eine Woche später von einem 95-jährigen Musiker eine Bearbeitung geschaffen wird.

Verfasst: Sa Mai 18, 2013 3:59 pm
von Bernd C. Hoffmann
Danke Dir für die Aufklärung! Das hat mich auf eine weitere Frage gebracht. Ich kann aber nicht beurteilen, ob sie wirklich praxisrelevant ist: Gibt es für eine von beiden Seiten (GEMA oder mich) eine Beweislast?
Hintergrund ist folgender:
Ich spiele das besagte Stück (oder ein anderes, das wegen seiner Epoche nicht für die 6saitige Gitarre komponiert wurde). Von Mudarra und Sanz gibt es unzählige Bearbeitungen, die alle fast gleich klingen und sich oft nur in den Fingersätzen und dem Hinzufügen und Weglassen von Oktavtönen und Vortragsanweisungen unterscheiden. Nun tritt die GEMA an mich heran und verlangt einen Nachweis, dass ich meine Bearbeitung anhand einer Urtextausgabe gemacht habe. Sie unterstellt damit, ich habe von einer geschützten Bearbeitung abgekupfert. Muss ich diesem Nachweis tatsächlich Folge leisten oder kann ich verlangen, dass die GEMA mir das Gegenteil beweisen soll? Mein Rechtsempfinden sagt mir, dass man mir die Schuld nachweisen muss und nicht ich meine Unschuld.

Re: GEMA-pflichtig?

Verfasst: Sa Mai 18, 2013 4:55 pm
von landmesser
Bernd C. Hoffmann hat geschrieben: Zudem sollen sie kein Mitglied einer Rechteverwertungsgesellschaft wie die GEMA sein, die Ansprüche aus der Darbietung geltend machen kann.
1. Das ist Diskriminierung von GEMA-Mitgliedern.

2. Ich bin zwar kein Jurist, aber das ist Blödsinn. Solange die Leute DP spielen, ist es egal, ob sie GEMA-Mitglied sind.

2.1 Später eingefügt: Das ist nur halber Blödsinn. Bei Eigenkompositionen und eigenen Bearbeitungen sind GEMA-Mitglieder verpflichtet, die Stücke zu melden.

3. Wie es mit einer GVL-Mitgliedschaft aussieht, entzieht sich allerdings meiner Kenntnis. Eventuell macht die ja ein Inkasso, und die darf das, solange der Musiker lebt (Da bin ich mir allerdings über die Dauer absolut unsicher).

4. Ich bin kein Jurist, Meine Äußerungen stellen die unbekümmerte Meinung eines Laien dar. Für eine verbindliche Auskunft bitte einen Rechtsanwalt oder andere kompetente Leute konsultieren.

Viele Grüße
landmesser

Re: GEMA-pflichtig?

Verfasst: Sa Mai 18, 2013 9:19 pm
von Bernd C. Hoffmann
Danke Dir, landmesser, für Deine Mühe. Du musst mich nicht für blöde halten.

Verfasst: So Mai 19, 2013 12:08 pm
von Ulrich Peperle
[Beitrag vom Verfasser entfernt]

Verfasst: So Mai 19, 2013 1:56 pm
von RB
Man sollte vielleicht einmal im urhrg nachschlagen, was eine Bearbeitung ist. Unter dem Begriff "Urtextausgabe" verstehe ich das Ergebnis eines Versuchs, mit wissenschaftlichen Methoden das zu rekonstruieren, was der Autor oder Komponist ursprünglich einmal verfasst oder komponiert hatte. Urheberrechtlich kann es also kaum etwas geben, das weniger als Bearbeitung bezeichnet werden kann, als der Urtext.

Das, was die GEMA meint, wenn sie den Nachweis will, dass eine Bearbeitung nicht auf einer anderen Bearbeitung fußt, läuft auf folgendes hinaus: angenommen, es gibt ein gemeinfreies Werk, desgleichen eine noch dem Urheberrecht des Bearbeiters unterfallende Bearbeitung. Wenn nun eine weitere Bearbeitung Elemente der vorangegangenen Bearbeitung enthält, also in teilen auf ihr beruht, können Rechte des erst-Bearbeiters berührt sein.

Verfasst: So Mai 19, 2013 2:06 pm
von RB
Dann zum Schutz wissenschaftlicher Erstausgaben und nachgelassener Werke: da helfen die par. 69 und 70 weiter.

Und dann wegen Deiner nachgeschobenen Frage: Erst einmal ist es keineswegs selbstverständlich, daß die von Dir erwähnten "Bearbeitungen" überhaupt Bearbeitungen im Sinne von § 3 UrhRG sind. Die Abgrenzung ist im Einzelfall nicht einfach, aber die Rechtsprechung stellt eher hohe Anforderungen an die "Schöpfungshöhe".

Fromm/Nordemann (Kommentar UrhRG) sagt zu diesem Thema beispielsweise:

Zitat:
Die Feststellung, ob eine Bearbeitung vorliegt, ist im Einzelfall oft schwierig. (das ist tröstlich, weil man merkt, man ist nicht doof oder zumindest nicht alleine doof) ... Die Instrumentierung einer Melodie kann eine schöpferische Leistung von hohen Graden darstellen (Beispiel: Hecor Berlioz' orchesterbearbeitung des Klavierstücks "Aufforderung zum Tanz" von Carl Maria v. Weber), kann sich aber auch in landläufiger Routinearbeit erschöpfen, wie das bei den normalen Volkslied-Arrangements der Fall zu sein pflegt, die die Kapellenleiter für den jeweiligen Zweck ad hoc einrichten. Das gleiche gilt für die Veränderung eines Orchesterwerks (Uminstrumentierungen, Änderungen in der Partitur); nicht jeder Dirigent, der in der Partitur zu Don Giovanni herumverbessert, ist deshalb schon ein Bearbeiter Mozarts."
ZITAT ENDE

aber:

ZITAT
Wer dagegen in der Art der Auswahl und Zusammenstellung der Melodien ... oder in der Färbung des Klangbildes durch Tonart- und Instrumentenwahl etwas Eigenartiges schafft, ist Bearbeiter.
ZITAT ENDE

Ohne die von Dir genannten Werke zu kennen, muß man sich fragen, ob man überhaupt Bearbeitungen vor sich hat, die die Schwelle der Bearbeitung von § 3 UrhRG erreichen und danach dann noch die Schwelle der Geringfügigkeit (§ 3 letzter Satz). Der Schutz von Bearbeitungen (echten Bearbeitungen) beginnt nämlich gerade bei Musikwerken erst, wenn es sich um eine nicht nur geringfügige Bearbeitung handelt.

Man stelle sich vor, jemand schriebe ein für Vihuela oder Laute verfaßtes, gemeinfreies Werk für Gitarre um. Er behält das Ausgangswerk möglichst bei, hie und da ist die Baßlinie verändert. Ist das schon Bearbeitung oder noch Arrangement ? Tatfrage. Wenn es eine Bearbeitung sein sollte, ist die mehr, als nur geringfügig zu einzuschätzen ? Ebenfalls Tatfrage. In der Tendenz der Rechtsprechung, die für eine Bearbeitung eher ein im Kern eigenständiges Werk sieht, glaube ich, daß in diesen Fällen regelmäßig keine Bearbeitung im Sinne von § 3 UrhRG vorliegt.

Weitere Frage: Wer muß was beweisen. Dein Empfinden ist im Grunde nachvollziehbar, denn es entspricht der grundlegenden Ordnung der zivilrechtlichen Beweislast und ähnelt der strafprozessualen Unschuldsvermutung. Dem steht aber § 13 UrhWahrnG und die daraus von der Rechtsprechung entwickelte "GEMA-Vermutung" entgegen. Die Rechtsprechung hat daraus eine weitgehende Beweislastumkehr konstruiert, die so weit geht, daß "zugunsten der GEMA angesichts ihres umfassenden In- und Auslandsrepertoires eine tatsächliche Vermutung ihrer Wahrnehmungsbefugnis für die Aufführungsrechte an in- und ausländischer Tanz- und Unterhaltungsmusik und für die sogenannten mechanischen Rechte besteht; die Vermutung erstreckt sich auch darauf, daß die Werke urheberrechtlich geschützt sind" (BGH - Urteil zu I ZR 53/83). Aber nun merke auf: Da ist von Tanz- und Unterhaltungsmusik die Rede. Es dürfte also mindestens zweifelhaft sein, daß die GEMA-Vermutung auch für den von Dir beschriebenen Fall greift.

Ich meine eher nein. Wenn nicht, wäre es Sache der Gema, nachzuweisen, daß die von ihr genannten Bearbeitungen auch Bearbeitungen im Sinne von § UrhRG sind, die zudem die Geringfügkeitsschwelle überschreiten und dann möge sie nachweisen, daß ein konkret aufgeführtes gemeinfreies Werk auf einer solchen Bearbeitung beruhte.

Verfasst: So Mai 19, 2013 5:18 pm
von wuwei
@RB: Danke für die ausführliche Darlegung. Hatte kürzlich schonmal nach einem früheren, ähnlichen Beitrag von Dir gesucht, ihn aber nicht mehr gefunden. Finde das sehr wichtig, denn Aussagen wie diese:
Wenn ich bspw. die Harfenfantasie von Alonso Mudarra (1510 - 1580) spiele, dann handelt es sich in jedem Fall um eine Bearbeitung, weil das Stück nicht für die Gitarre sondern Vihuela komponiert wurde
hört man immer wieder, obwohl sie kaum eine rechtliche Grundlage haben.

Generell schiene mir gut, wenn man die Urheberrechtsfrage nicht immer nur aus der Perspektive des aufführenden Musikers betrachtet, wobei sie meist lediglich auf das Verwertungsrecht reduziert wird, sondern auch vom Komponisten/Bearbeiter aus. So hat ja z.B. Carl Orff Bearbeitungen seiner Werke testamentarisch untersagt, was seine Erben auch trotz wiederholter Anfragen aufrechterhalten. Aber der Orchesterleiter der Hinterdupfinger Blaskapelle verstößt trotzdem nicht gegen das Urheberrecht, wenn er ein Stück Carl Orffs für sein Ensemble einrichtet, auch wenn es sich wohl ganz anders anhört, wie's sich der Komponist vorstellte.

Herzlichen Gruß, Uwe

Verfasst: So Mai 19, 2013 6:57 pm
von Bernd C. Hoffmann
@RB
Auch von mir einen ganz dicken, herzlichen Dank für detaillierte Erörterung!