Gitarrenseminar bei Pierre Bensusan

Alles, was mit akustischer Gitarrenmusik zu tun hat und sonst nirgends hineinpaßt

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The Fake Dirk
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Gitarrenseminar bei Pierre Bensusan

Beitrag von The Fake Dirk »

In diesem Jahr habe ich an dem Seminar bei Pierre Bensusan teilgenommen und möchte einige der dort gesammelten Erfahrungen kurz beschreiben.

Das Seminar läuft eine Woche lang bei Pierre daheim auf einem kleinen Gehöft in der Nähe von Paris. Die neun Teilnehmer (zwischen 15 und 63 Jahre alt) kamen diesmal aus den USA, Kanada, der Schweiz und Deutschland. Gute Englischkenntnisse sind empfehlenswert. Zum Glück wurde das Seminar nicht auf Französisch gegeben.

Viele Teilnehmer waren zum wiederholten Mal dort, weniger, weil ihnen der Lernstoff ausging, sondern eher wegen der Atmosphäre: Neun Gitarristen in einer Art Jugendherbergsatmosphäre für eine Woche zusammengesperrt – da erlebte man neben viel Musik vor allem die schönen Töne der Zwischenmenschlichkeit.

Pierres Unterrichtsschwerpunkt ist auf der einen Seite technischer Art. Dehnübungen und Arpeggien gehören zur Tagesordnung, einige davon sind echte "Braintwister", wie einer der Teilnehmer sie nannte. Salsabass mit dem Daumen, während die Finger der rechten Hand Sechzehntel spielen und die linke Hand anderweitig beschäftigt ist, da kamen viele ins Schwitzen. Pierre legt auch ein ordentliches Tempo vor und verlangt viel von den Teilnehmern (darunter spontanes Transponieren eines Motivs in eine andere Oktave und Tonart), bleibt aber immer fair und lässt keinen zurück, der es mal nicht versteht oder länger zum Üben benötigt.

Neben viel Technik vermittelte der Meister die Kunst, Musik zu komponieren, und zwar ohne Instrument. "Your fingers have no brain" ist sein Credo, und er behauptet, dass Musik mit Tiefe am einfachsten und echtesten dort entsteht, wo wir nicht durch technische Fähigkeiten begrenzt sind, eben im Kopf und nicht am Instrument. Das wurde bei einer Übung deutlich, die als Dirigentenspiel bezeichnet wurde: Einer der Teilnehmer steht als Dirigent vor den anderen und gibt einen einfachen Rhythmus mit Klatschen oder Fingerschnippen vor. Dann gibt er einem der anderen vor, was dieser dazu singen soll, etwa einen kurze Basslinie, eine hohe kleine Melodie oder ein Perkussionsgeräusch. Das macht er der Reihe nach mit allen, bis eine Art Stegreif-Acapella-Chor entstanden ist. Der wird dann noch dirigiert: Diese "Instrumente" mal lauter, jene mal leise, einige können auch mal Pause machen etc. Die Musik entsteht dadurch ohne Gitarre nur im Kopf des Dirigenten – und das erwies sich tatsächlich als einfach für alle – vom Spaß mal ganz abgesehen, den wir dabei hatten.

Das sind nur kurze Ausschnitte aus einem umfangreichen und inspirierenden Programm. Pierre ist ein Meister, der kurze Ideen der Teilnehmer aufschnappte und daraus spontan Stücke improvisierte, deren Dichte ich nach Monaten des Überarbeitens nicht erreichen würde. Das Material, dass ich mit nach Hause nahm, reicht zum Üben und Umsetzen für einige Jahre. Danach, das weiß ich schon jetzt, fahre ich wieder hin.

(Wer Interesse an dem Seminar hat: Die Anmeldungen für August 2015 laufen bereits. Für Fragen stehe ich gern zur Verfügung.)
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Holger Hendel
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Beitrag von Holger Hendel »

Vielen Dank für diesen Erfahrungsbericht. Er lässt erahnen, wie toll es war. und weckt Erinnerungen an den letzten workshop, den ich besuchen konnte. Die sind immer viel zu kurz.

"Residential Guitar Seminars" auf seiner homepage, schaut auch wirklich sehr gemütlich aus, da bekommt man richtig Lust drauf.
Preliminary Work
We ask out students to get hold of a physical or digital copy of "The Guitar Book" from our website, and start working on the technical excercices part: Arpeggio, Stretchings, Harpisant Scales, etc.
Das klingt sehr interessant:

http://www.pierrebensusan.com/store_vie ... asp?ID=255

Ich werde auf jeden Fall versuchen ein Exemplar zu ergattern um einen Eindruck zu bekommen, was bei dem Seminar so läuft.
www.holgerhendel.com | facebook | youtube | twitch | Heavy Silence - finest acoustic cover
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Jörg Dehmel
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Beitrag von Jörg Dehmel »

Toll, ich danke auch für den Erfahrungsbericht!
Ich habe Pierre im Mai in Ludwigshafen zum ersten Mal live gesehen und mit ihm ein paar Worte gewechselt. Seine Musik ist atemberaubend schön und das nicht nur, weil alles in DADGAD ist. Persönlich gefallen mir live nur nicht so die Gesangseinlagen oder seine Stücke ohne Gitarre. Aber Kompositionen wie "Wu Wei" oder "L'Alchimiste" sind einfach meilensteinverdächtig.
Ich habe auch schon überlegt die Workshop-Woche bei ihm zu machen, technisch würde ich mir das zutrauen. Danke für deine geschilderten Eindrücke, die haben mich etwas mehr zur "Ja-Entscheidung" bewegt, was die Teilnahme am Workshop betrifft.
Das Guitar Book habe ich mir in Ringbuchform gekauft, das kann man jedem empfehlen. Auch ausgebuchste Profis werden damit für Jahre beschäftigt sein. Man sollte aber zumindest rudimentär schonmal in DADGAD unterwegs gewesen sein und sollte den Willen haben, mit dem Tuning weiter zu arbeiten, sonst macht es m.E. keinen Sinn.
Seine Lowden klingt auch toll, aber die Preise sind äußerst heftig, selbst für eine Basis-Lowden aus der Original-Series...
Grüße aus Rheinhessen.
Hanika 54 PC
Lakewood M-New Century 1999, M-32-12 custom, J-53 Bariton custom
Sigma 000R-28VS, S00R-45VS
Stevens SJ-AT
Taylor 214DLX, 614CE
The Fake Dirk
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Beitrag von The Fake Dirk »

Jörg Dehmel hat geschrieben:Man sollte aber zumindest rudimentär schonmal in DADGAD unterwegs gewesen sein und sollte den Willen haben, mit dem Tuning weiter zu arbeiten, sonst macht es m.E. keinen Sinn.
Das dachte ich zunächst auch. Im Seminar konnte aber jeder die Stimmung spielen, die er mag oder beherrscht. Einzig, wenn alle Teilnehmer etwas gemeinsam übten, mussten alle auf DADGAD wechseln. Das passt auch zu Pierres Philosophie, dass es zweitrangig ist, auf welchem Instrument (und erst recht mit welcher Gitarrenstimmung) wir Musik entstehen lassen. DADGAD muss also nicht sein, ein paar Griffe in der Stimmung zu beherrschen hilft aber, wie Du ja schon vermutest.
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