Ist Deutschland musikerfeindlich ?

Alles, was mit akustischer Gitarrenmusik zu tun hat und sonst nirgends hineinpaßt

Moderatoren: jpick, RB, Gitarrenspieler

Benutzeravatar
tele
Beiträge: 1527
Registriert: Do Mär 21, 2013 12:16 am
Wohnort: Saarland

Ist Deutschland musikerfeindlich ?

Beitrag von tele »

Vielleicht erlaubt mir ein Lottogewinn irgendwann mal einen Umzug in ein Musikerfreundlicheres Land.
Schreibt Laschek im MP3-Forum. Mir hat das zu denken gegeben. Nicht, dass ich jetzt irgendwie in meinem Nationalstolz verletzt wäre, ich wollte das einfach mal zur Diskussion stellen.
Ich denke, die mangelnde Untersützung von Amateurmusik ist eher ein globales, ökonmisches Problem als ein nationales.
Amateurmusiker haben am ehesten Auftrittsmöglichkeiten in Bereichen, in denen nicht die Förderung von Kunst, sondern die Förderung des Getränkeumsatzes im Vordergrund steht.
Hinzu kommt, dass die Mehrheit des Gelegenheitspublikums nicht besonders aufnahmefähig für neue Klänge ist, sondern lieber mäßig gespielte Versionen von Bekanntem geboten bekommt. Das Engagement eines unbekannten Künstlers, der eher unbekannte Songs spielt, stellt, unabhängig von dessen Qualität ein nicht zu kalkulierendes Risiko für jeden Veranstalter da.
Meinen Erfahrungen im nahen Ausland(Frankreich, Luxemburg) zufolge ist das woanders nicht besser als bei uns.
Was denkt ihr? Gibt es ein "musician's paradise" auf dieser Erde :?:
Benutzeravatar
StringKing
Beiträge: 1540
Registriert: Mi Mai 02, 2007 1:55 pm
Wohnort: am schönen Harz

Beitrag von StringKing »

Mancher kann halt nicht so anspruchsloses Gedudel machen, wie ein Mickie Krause.
Da muss man halt damit leben, dass das Publikum wegbleibt.

Ich sag nur "Finger im Po, Mexiko" (Zitat: M. Krause) :lol: :aua:

----------
"Wie ahh de Tschämpiens, ole"
Gruß StringKing
Benutzeravatar
Holger Hendel
Beiträge: 12022
Registriert: Do Feb 17, 2005 7:18 am
Wohnort: Soltau, Niedersachsen
Kontaktdaten:

Beitrag von Holger Hendel »

Amateurmusiker haben am ehesten Auftrittsmöglichkeiten in Bereichen, in denen nicht die Förderung von Kunst, sondern die Förderung des Getränkeumsatzes im Vordergrund steht.
Check. Darf ich, insbesondere in den Sommermonaten, immer wieder selbst erfahren, wenn auch mit einigen positiven Ausnahmen.
Hinzu kommt, dass die Mehrheit des Gelegenheitspublikums nicht besonders aufnahmefähig für neue Klänge ist, sondern lieber mäßig gespielte Versionen von Bekanntem geboten bekommt.
Check. Wobei ich keinen Grund dafür sehe eine nur "mäßig" gespielte Coverversion vorzutragen; man darf sich ruhig Mühe geben und auch in soundtechnischer Hinsicht dem Original nacheifern; wird ab und an tatsächlich honoriert.
Das Engagement eines unbekannten Künstlers, der eher unbekannte Songs spielt, stellt, unabhängig von dessen Qualität ein nicht zu kalkulierendes Risiko für jeden Veranstalter da.
Check. Gerade gestern beim Aufbauen Gesprächsfetzen zweier Gigbesucher aufgeschnappt, die die Veranstaltung mit wechselnden Künstlern regelmäßig besuchen..."Wer spielt denn heute, Candlelight & Beer, was machen die denn...". Sein Kumpel: "Ist völlig egal, besser als letzte Woche ist es auf jeden Fall...". Das hat mich stutzig gemacht und ich habe mal recherchiert, wer da vor einer Woche gespielt hatte. Und siehe da: Ein Singer / Songwriter der ausschließlich eigene Sache aufspielt. Kam wohl nicht sonderlich gut für dieses Publikum.

Was ich allgemein nicht checke ist die hierzulande vorherrschende Subventionierungspolitik im kulturellen Bereich. Meine Lieblingsszene zum Thema ist hier ab Min. 16:32...

https://www.youtube.com/watch?v=ojQFyXcYzDI

Aber Vorsicht, nur schwer zu ertragen. :?

Hey, hier wird "tote" Musik, tote Kunst künstlich am Leben erhalten (es hat fast etwas vom Buch ;) ) während "kleine" unbedarfte Bands von durchtriebenen Veranstaltern hinterlistig ver... werden. Wenn fünf Freunde die Meisterleistung vollbringen sich zu finden, verbunden durch die Musik und durch Freude am Musizieren, jeder sein Instrument halbwegs gescheit gespielt bekommt und sich jeder Zeit freiräumen kann um gemeinsam zu proben...dann hat man noch immer keinen bezahlbaren, gut erreichbaren Proberaum. Katastrophale Zustände diesbezüglich, zumindest im PLZ-Bereich 29614. :? Engagement und Unterstützung seitens der Stadt o.ä. ist = 0. "Elbphilharmonie"...ohohoh...ich höre besser auf, jetzt ist mein Kreislauf gut in Gang gekommen, langt. :?
www.holgerhendel.com | facebook | youtube | twitch | Heavy Silence - finest acoustic cover
maxpo
Beiträge: 326
Registriert: Mi Aug 07, 2013 10:16 am

Beitrag von maxpo »

Es liegt vermutlich an der allgegenwärtigen ständigen Überreizung der Konsumenten. Akustische Ruhe oder Stille ist für die Meisten undenkbar. Irgendwo für Freizeit einfach nur vertrödeln ohne Events , auf Naturgeräusche achten oder unversteckert wandern/joggen gehen oder mit dem Bike unterwegs ohne LTE Gadget + MP3 + YT ist für die meisten fast bedrohlich geworden.

Kreatives Schaffen als Künstler oder Musiker ist dann meist nur in Nischen möglich und darf nichts kosten, weil daddeln auf den Smarts immer und überall ja auch nichts kostet. Oder es muß Giga-Event sein : Waaaaacken !

Liedermacher , Folk , Americana , Weltmusik, Blues, Jazz finden selbst in den Programmen der ÖR Rundfunkanstalten keine Plattform mehr, nur noch ganz am Rande z.B. im Funkhaus Europa.

Liveübertragungen im WDR Sonntag vormittags von Live-Matinees hat der WDR schon vor 10 Jahren aus dem Programm gekickt im Rahmen der
"Programmoptimierungen"

Die privaten Lokalradios müssen ebenfalls wirtschaftlich denken im Sinne der Quote und Werbekunden: mit dümmlichen Livegewinnspielen und kreischenden Lokalfunkfans und Hausfrauen gibts Aufmerksamkeit risikofrei und kostenneutral.

Es gibt aber zumindest in den von mir geliebten gitarrenlastigen Blues/Jazz-Bereichen eine lebendige Szene mit regelmäßigen Jam Sessions, bei denen ein Opener den Abend in Bewegung bringt und dann wer will sich präsentieren darf.
maxpo
Beiträge: 326
Registriert: Mi Aug 07, 2013 10:16 am

Beitrag von maxpo »

Ergänzernde Beobachtungen:

selbst große Namen bekannter Gitarrenkünstler wie Peter Finger , Lämmerhirt füllen nur noch kleine Räumlichkeiten bei Auftritten:

ca 50 Zuhörer wo 500 reinpassen würden, Durchschnittsalter des Publikums jenseits der 60 Jahre, zwei, drei hatte ihre Enkel (!) mitgebracht

Wenn selbst Jahrzehnte lang gereifte Virtosen und Gitarrenentertainer a) beim dem jungen Nachwuchs weitestgehend unbekannt sind und b) nur Konzerte stattfinden weil diese extern (z.B. von Kulturbüros) gesponsort werden, was dürfen dann völlig unbekannte aufstrebende Gitarrenkünstler erwarten ?
martinst
Beiträge: 153
Registriert: Sa Nov 29, 2008 9:34 am

Beitrag von martinst »

Die Frage war eigentlich, ob D musikerfeindlich ist, relativ zu anderen Ländern. Meine Erfahrung in NL, Frankreich, Schweiz, Österreich und Süddeutschland: Nein. Woanders ist das Gras nicht grüner (oder blauer).
maxpo
Beiträge: 326
Registriert: Mi Aug 07, 2013 10:16 am

Beitrag von maxpo »

Da die Wertevorstellungen und das Freizeitverhalten globalen Trends und gepushten Hypes folgen, stellt sich die Frage nach nationalspezifischen Ländergrenzen schon lange nicht mehr. Dank Satellit im Grunde überall die gleichen Trends.

Mit minimalem Einsatz , ohne Können, vielleicht nur einer bekloppten-genialen-absurden Idee oder dicken Titten oder Arsch, gern auch völlig befreit von Sinn und Können maximaler globaler wirtschaftlicher Erfolg dank des Internets. No risk, no fun ?
Benutzeravatar
Holger Hendel
Beiträge: 12022
Registriert: Do Feb 17, 2005 7:18 am
Wohnort: Soltau, Niedersachsen
Kontaktdaten:

Beitrag von Holger Hendel »

relativ zu anderen Ländern.
Ja, Irland. Und das auch nur, wenn man als Tourist da ist (glaube ich ;) ).
www.holgerhendel.com | facebook | youtube | twitch | Heavy Silence - finest acoustic cover
Benutzeravatar
clone
Beiträge: 2077
Registriert: Di Okt 09, 2007 11:57 am
Wohnort: Berlin

Beitrag von clone »

Holger Hendel hat geschrieben:
Ja, Irland. (...)
Ich mag da einer Illussion unterliegen, aber ich glaube, dass generell auf der Insel (England, Irland, Schottland) und in den USA, Musiker außerhalb des Klassik Kontextes einen höheren Stellenwert genießen als in Kontinentaleuropa.

Gerade in Deutschland (andere Länder Europas kann ich da nicht einschätzen) geht es doch sehr um Klassik, Musiktheorie etc. pp., also ein stark akademischer Zugang.

In dem Bereich haben wir ja auch eine große Tradition, bei Bach angefangen... .

´Geniale Dilettanten´ a la Beatles haben es da eher schwer.

Was allerdings auch noch recht gut funktioniert, ist die Elektro-Szene. Wenn es so Richtung Technik und Ingenieur geht. Da knüpft es dann wieder eher an deutsche Traditionen an... .
Benutzeravatar
tele
Beiträge: 1527
Registriert: Do Mär 21, 2013 12:16 am
Wohnort: Saarland

Beitrag von tele »

Ich mag da einer Illussion unterliegen, aber ich glaube, dass generell auf der Insel (England, Irland, Schottland) und in den USA, Musiker außerhalb des Klassik Kontextes einen höheren Stellenwert genießen als in Kontinentaleuropa.
Was Irland als Land angeht kann ich nicht beurteilen, wohl aber die Iren als Betreiber von Irish Pubs. Ich habe so um die Jahrtausendwende nämlich in einem Unplugged-Trio gespielt, dessen hauptsächliche Auftrittsorte Irish-Pubs waren.
Das lief so ab:
-als "Bewerbung" spielten wir Gigs während der Woche vor mehr oder weniger lehren Stühlen. Wenn das OK war, wurden wir fürs WE gebucht.
-Die Grundgage war extrem niedrig, wir durften aber in den Spielpausen mit dem Hut rumgehen.
-Teilweise spielten wir Freitag und Samstag. Da die Pubs teilweise einige Hundert Kilometer entfernt waren, haben wir am Ort übernachtet. Die Musikerzimmer waren Müllhalden.
Benutzeravatar
RB
Beiträge: 20129
Registriert: Di Feb 08, 2005 11:18 pm
Wohnort: Wetzlar
Kontaktdaten:

Beitrag von RB »

Vermutlich sind allgemeine Aussagen im Sinne der Eingangsfrage schwer möglich. Viele interessante Aspekte sind aber angesprochen worden und ich stimme Maxpo zu. Die Meute ist übersättigt. Andereseits erlebe ich auch immer wieder mal, dass ein gewisses Interesse, in Einzelfällen ein regelrechter Hunger nach Authentischem im Sinne live und pur vorgetragener Musik besteht. Bekannte Stücke können da ein Türöffner sein und da bin ich mit Holger der Auffassung, dass das ruhig gut interpretierte Darbietungen sein sollten. Qualität hilft.

Was der Laschek anspricht, ist ein anderes Thema, das der Venues, wo man spielen kann und deren manchmal zu erkennende Unbeweglichkeit.
Benutzeravatar
tele
Beiträge: 1527
Registriert: Do Mär 21, 2013 12:16 am
Wohnort: Saarland

Beitrag von tele »

Bekannte Stücke können da ein Türöffner sein und da bin ich mit Holger der Auffassung, dass das ruhig gut interpretierte Darbietungen sein sollten. Qualität hilft.
Keine Frage, eine perfekte Darbietung eines Gassenhauers ist das non plus ultra.
Ich habe aber damals die Erfahrung gemacht, dass, wenn wir im ersten Set anspruchsvolle Arrangements von weniger bekannten Stücken gespielt haben, verhaltener Applaus die Reaktion war, und im dritten Set haben wir dann eher lieblose Versionen von "Country Roads" und "Stand by me" gebracht, dann war das Pub aber am toben.
Vielleicht hat das aber auch am erhöhten Alkoholpegel zu fortgeschrittener Stunde gelegen. :wink:
Benutzeravatar
laschek
Beiträge: 1430
Registriert: Sa Mai 22, 2010 3:21 am
Wohnort: Eisenach

Beitrag von laschek »

Huhu
Naja. meine Aussage war vielleicht auch etwas untreffend formuliert.
Wenn ich im Lotto gewinnen würde, würde ich zu tausend Prozent wieder zurück nach Wien gehen.
Und das wohl eher der Gewohnheit wegen, nicht weil Österreich DAS musikerfreundlichste Land ist. Mir fällt jetzt spontan auch kein Land ein wo es besser wäre. In Wien hatte ich meinen Platz in der Musikerszene und es gab jede Menge Möglichkeiten auch als unbekannter Musiker aufzutreten.
Das vermisse ich sehr.
Natürlich gabs da auch Absagen, aber die waren aufgrund der Alternativen nicht so gewichtig wie ich es nun hier erleben darf.

Das Problem liegt doch bei den Veranstaltern und dem Druck/Drang, möglichst viel Gewinn zu machen. Und ne reudige Top 40 Coverband zieht nun mal mehr Publikum als ein Singer/Songwriter mit eigenen Texten.

Lange träume ich davon, ne eigene Kneipe zu haben wo ich regelmässige OpenStage Sachen veranstalten kann um unbekannten Musikern eine Darbietungsplattform zu geben. "Laschek's Muckeschuppen"
Hübenbecker C1
Larrivee L03R
Avalon S200 Lorida
Takamine EF 408
Benutzeravatar
Gitarrenspieler
Beiträge: 8917
Registriert: Mi Feb 25, 2009 7:46 am
Wohnort: North German Lowland

Beitrag von Gitarrenspieler »

Glaube das ist überall irgendwie gleich auf der Welt.
Positive Erfahrungen habe ich auch hier mit den angeblich unterkühlten Norddeutschen schon des öfteren gemacht. Setzt euch mal auf eine öffentliche Wiese irgendwo im Ort/Stadt und klimpert u. singt vor euch hin..., ohne Hut aufstellen meine ich. Es gibt sehr viele Mitmenschen die das sehr interessiert die dann stehen bleiben und zuhören und das immer ganz toll finden. Anfeindungen hab ich noch keine gehört. So sind schon viele nette Gespräche entstanden.
Auftrittsmöglichkeiten in Lokalen gibt es hier aber auch sehr, sehr wenige.
Gruß Wolfgang Hemd aus der Hose macht noch keinen Varoufakis
https://www.taaken.net
Benutzeravatar
scifi
Beiträge: 3358
Registriert: Do Jun 17, 2010 10:28 am

Beitrag von scifi »

Sehr zu empfehlender Artikl finde ich:
http://www.backstagepro.de/thema/gagen- ... 2014-08-08
Antworten