Analphabetisierungskampagne durch Videoportale?
Verfasst: Sa Okt 04, 2014 1:33 pm
schreibt Ulrich Peperle im Tabs-Thread.Weitaus problematischer als die Pro- und Kontra-Diskussion um bestimmte Notationsformen sind die langfristigen Auswirkungen der aktuellen und gigantischen "Analphabetisierungskampagne" durch die Video-Portale. Hier wird es sich nämlich irgendwann nicht mehr um die Frage "Tab vs. Noten" drehen, sondern um "Musizieren nach Schrift vs. Musizieren durch audiovisuelles Imitieren". Was dieses Revival der schriftlosen Tradierung für Musikkulturen mit langer Schrifttradition bedeutet, ist zur Zeit nur schwer abzusehen - und ein eigenes Thema.
Aber kann man hier wirklich von einem Revival sprechen oder war schriftlose Tradierung von Musik immer ein wichtiger Bestandteil der Musikkultur und hat durch das Internet lediglich wieder die ihr gebührende Aufmerksamkeit erlangt?
Mir scheint zweiteres wahrscheinlicher.
Drei Beispeile:
-"Flamenco guitarists traditionally don't read music, but learn by imitation and by ear" schreibt Juan Martin zu Beginn seiner Flamenco-Gitarrenschule
-Mein Gitarrenkollege in meiner ersten Schülerband bekam ein mal pro Woche Unterricht von einem Rockgitarristen, der ihm pro Unterrichtsstunde ein Gitarrensolo beibrachte ohne jede Form der Notation, lediglich durch Vor-und Nachmachen.
Der arme Kerl musste damals 20 Mark dafür berappen, heute ist es halt kostenlos.
-"Self-taught musician, learned by ear by studying guitarist Charlie Christian". Kein anderer als der einflussreiche Wes Montgomery
So sehr mich persönlich "first finger, second fret"-Videos nerven, so denke ich doch, dass sie nicht der Grund für den musikalischen Analphabetismus sind, sondern ihn einfach wiederspiegeln .
Was war zuerst, das Huhn oder das Ei?
