Stardivari-Geheimnis gelüftet...

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jab
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Stardivari-Geheimnis gelüftet...

Beitrag von jab »

..titelt die Presse und der ORF und natürlich haben sie stark übertrieben.

Was aber stimmt:
Meine Kollegin Simone Zopf hat mit der Abschlußklasse unserer Instrumentenbauabteilung ( https://www.facebook.com/Hallstattinstrumentenbau ) eine Sensation geschafft!
Sie haben gemeinsam entdeckt, dass ein im Nachlass vom Stradivari vorhandenes Lineal eine alte Maßeinheit besitzt, mit der die Konstruktion von Stradivari (und anderen Cremoneser Geigen) endlich einfach und schlüssig zu erklären ist. Es haben sich schon sehr viele Geigenbauer und Geigenforscher mit der Frage beschäftigt, wie die alten Italiener zu der Form der Geige und der Position von f-löchern und Steg gelangt sind. Gesucht wurde eine Methode, die fraglichen Punkte nur mit Zirkel und Lineal zu konstruieren. Alle bisher gefundenen/gebastelten/ausdenFingerngesogenen Methoden waren sehr kompliziert und nicht sehr überzeugend.
Die neue Methode, die das (Amati-Inch genannte) alte Maß als Grundlage nutzt, funktioniert sehr sehr gut auf Instrumente aus Cremona und ist dabei sehr einfach. Das finde ich das überzeugendste daran: Stardivari war ein Handwerker, der sicher eine einfache, schnell auszuführende Konstruktion gemacht hat.
Jedenfalls: Das Fernsehen war da, die Kronenzeitung hats auf der Titelseite (!) gebracht und die Schüler waren auf einem Symposium in Cremona und haben dort ihre These vorgestellt. Großartig!
Hier ein Link zum ZeitImBild (Tagesschau in Ö)-Beitrag:
http://tvthek.orf.at/program/Oberoester ... et/9081596

Wieso noch niemand vorher auf die Idee gekommen ist, ein in der Werkstatt vorhendenes Lineal zur Grundlage von Konstruktionsversuchen zu nehmen, ist mit schleierhaft...

Beste Grüße, Jab
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Bernd C. Hoffmann
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Re: Stardivari-Geheimnis gelüftet...

Beitrag von Bernd C. Hoffmann »

Das ist wirklich eine sensationelle Nachricht!
jab hat geschrieben:Wieso noch niemand vorher auf die Idee gekommen ist, ein in der Werkstatt vorhendenes Lineal zur Grundlage von Konstruktionsversuchen zu nehmen, ist mit schleierhaft...
So ist das mit spät entdeckten Kuriositäten. Ein Teil erscheint seiner Einfachheit so selbstverständlich, dass man das Einfachste vor lauter Selbstverständlichkeit übersieht. Und am Ende stellt man fest, es war einfach nur zu einfach. Man ist nur nicht drauf gekommen, weil man ja selbst so ein vertrautes Teil benutzt :wink:
Liebe Grüße
Bernd
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jab
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Beitrag von jab »

Jaja, es sind alle Experten vom modernen metrischen System ausgegangen, damals waren aber sehr viele unterschiedliche Maße unterwegs.

Interessant ist außerdem, dass die Instrumente von Jakob Stainer (ein damals sehr berühmter Geigenbauer aus Innsbruck) nicht in das System passen, was der Theorie, nach der er bei Amati gelernt hätte, eher entgegenspricht.

Sehr spannend, das alles.
Beste Grüße,
jab
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Pappenheim
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Beitrag von Pappenheim »

Interessanter Beitrag, das alles.
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jab
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Beitrag von jab »

Es soll noch ein ausführlicherer Beitrag im ORF kommen.
Die Verkürzung in den Zeitungen und im ersten Beitrag sind schon ein wenig schade...


Übrigens ist am Samstag Tag der offenen Tür an der Schule, jederman (und jede Frau! [Monty Python]) ist herzlich eingeladen, sich alles anzuschauen!

http://www.htl-hallstatt.at/index.php?i ... 6a454539ec

http://www.amati-inch.at/

https://www.facebook.com/Hallstattinstrumentenbau

Beste Grüße!
Jab
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wolfwal
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Beitrag von wolfwal »

Dann kann jetzt jeder - also auch ich - einfach so eine Stradivari bauen?? Das ist cool!! :roll: :whistler:
Der Nachteil am Nichtstun ist, dass man nie weiß, wann man fertig ist!

Gruß, Wolfi!
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jab
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Beitrag von jab »

Ja, klar! Kommste zu uns, bringen wir dir das bei. Null Problemo... :D

Also nochmal:
Es geht nur darum, dass der Umriß, die Stegposition und die Lage der f-Löcher bei alten cremoneser Streichinstrumenten (Stardivari, Amati etc..) bisher nicht mit einfachen Mitteln (Zirkel und Lineal) zweifelsfrei nachkonstruiert werden konnten. Das hat zunächst mal nix mit dem Bau und dem Klang von modernen Geigen zu tun. Man weiß ja, wo die Strege und f-Löcher sind und den Umriß kennt man auch. Man wusste bisher nur nicht warum der Steg und die f-Löcher da sind, wo sie sind. Das lässt sich jetzt mit der Methode, die unsere Schüler mit meiner Kollegin zusammen herausgefunden haben und die sich auf Lineale aus Stardivaris Werkstatt stützt, ziemlich einfach nachvollziehen. So ist zum Beispiel die Stegposition immer ein Amati-Inch unterhalb der Mitte des Instruments. Lustig ist, dass sich immer mehr Hinweise auf das Maß finden lassen. So het jemand, der sich mit alten Tänzen aus der Zeit und der Gegend befasst, erwähnt, dass die Tanzanweisungen sehr genau und kleinschrittig waren. Und das kleinste maß ist "ein Daumen", was genau dem Amati-Inch entspricht.
Wenn man das alles weiß, macht einen das natürlich immer noch nicht zu einem weltbesten Geigenbauer der Welt.Das Ganze ist eher für Geigenforscher weltbewegend und für Geigenbauer, die eigene Instrumente entwerfen wollen, hilfreich. In der Forschung ist das aber nichts weniger als eine Sensation.

Kleiner, ganz angenehmer Nebeneffekt:
Das das bei uns gefunden wurde, wird dem Österreichischem Geigenbauerverband, der uns, gelinde gesagt, sehr kritisch gegenübersteht, nicht gefallen. :D

Beste Grüße!
Jab
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doc
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Beitrag von doc »

:r:
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Holger Hendel
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Beitrag von Holger Hendel »

Sehr interessant, vielen Dank für die Info!

Der Link funktioniert nicht mehr, ist der Beitrag noch irgendwo zu sehen? Ich würde ihn gern einem befreundeten Geigenbauer (Tomas Pospichal) schicken.
www.holgerhendel.com | facebook | youtube | twitch | Heavy Silence - finest acoustic cover
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Pida
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Beitrag von Pida »

Glückwunsch! Das ist sicher ein tolles Gefühl für die angehenden Instrumentenbauer und ihre Ausbilder.

Das heißt dann aber auch, das viele Details der Instrumente von Stradivari und seinen Zeitgenossen nicht auf Erkenntnisse im Instrumentenbau zurückgehen, sondern einem Interesse an Mathematik entspringen, oder?

Ich meine, dass der Abstand des Stegs zur Mitte des Instruments gleichzeitig auch in der Form der Schnecke 'codiert' ist, hat ja vermutlich keine klanglichen Auswirkungen. Die Vorstellung, dass jedes Detail einer Stradivari mit Blick auf den Klang gestaltet wurde, finde ich romantischer ;-)
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landmesser
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Beitrag von landmesser »

Moin,

irgendwie verstehe ich das nicht. Ob ich Meter, Inch, Ruten (preussische, bairische oder sonstwelche), Daumen oder sonstwas als Maßstab verwende, ändert doch nur einen numerischen Wert.

Ob ich etwas in Metern oder in Stradivari-Zoll messe und nachbaue, ich erhalte ich einen identischen Nachbau. Und identische geometrische Verhältnisse.

Erklärungsbedürftigerweise
mit freundlichen Grüßen
landmesser

(zumindest mit geometrischen Maßstäben eigentlich vertraut)
Zuletzt geändert von landmesser am Sa Jan 24, 2015 7:00 pm, insgesamt 1-mal geändert.
Frei Cörper Kultur auch für Dicke
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Gitarrenspieler
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Beitrag von Gitarrenspieler »

doc hat geschrieben::r:
+1
Gruß Wolfgang Hemd aus der Hose macht noch keinen Varoufakis
https://www.taaken.net
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jab
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Beitrag von jab »

@Landmesser:

Richtig, es ändert sich nichts, wenn ich etwas nachbauen will. Da ist es mir egal, wie krumm der Wert in meinem bevorzugten Maßsystem ist.

Das Problem taucht erst auf, wenn man wissen will, wie zur Hölle die alten Italiener auf die Maße gekommen sind und wie sie die Geigenform nur mit Lineal und Zirkel entworfen haben.
Und hier erklärt die neu(wieder)entdeckte Methode alle Zusammenhänge höchst einfach, nachvollziehbar und handwerklich. Das finde ich besonders wichtig, denn mir kann keiner erzählen, der alte Stradivari habe höchst komplizierte Konstruktionen verwendet um seine Geigen zu proportionieren. Der war schließlich Handwerker und hatte einen Betrieb zu führen.

@Pida:

Stradivari war damals als Handwerksmeister sicher vertraut mit den gängigen Konstruktionsmethoden. Gleichzeitig hat er wahrscheinlich auch versucht, das Instrument zu optimieren. Türlich ist das romantischer, wenn man sich vorstellt, wie er am Fenster sitzt, ein Glas Wein in der Hand (Italien!), den Mädchen nachschaut und mit seinen Gesellen die Varianten diskutiert. Ob er das gemacht hat ist fraglich, er hat sehr lange (bis in seine 90er) Geigen gebaut und seine Söhne haben in seinem Betrieb gearbeitet. Ob das für die so super war ist eher unwahrscheinlich, da beide Söhne, nach dem der Vater aufgehört hatte zu bauen, sich ebenfalls zur Ruhe gesetzt haben und keiner von beiden je eigene Geigen gebaut hat.

Tja...

Der Alte war definitiv ein guter Geschäftsmann, er hat für Könige und Fürsten gebaut und es gab in Cremona damals das Sprichwort "Reich wie Stradivari".

Beste Grüße,
Jab
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chevere

Beitrag von chevere »

Welches Maß bitte und wie verhält sich das postulierte Maß eigentlcih zu den schnöden, die Weisheit alter Baumeister ignorierenden, minderwertig klingenden Artefakten?
Aus wemseinigen Nachlaß?
Gutachten bitte beifügen.

Handelt es ich um:
-Den venizianischen Doppelfinger?
Mit dem selbts heutzutage irrtümlicherweise von unwissende Deutschen (natürlich nur in Dresden und Castrop-Rauxel) zwei Grappa bestellt werden?
-Die "Papstlänge"?
-Oder etwa die streng geheime "Medicifaust" geteilt durch PI mal Kiesewetter in der dritten Ableitung des resonanztoptimierenden C-2 Lack?

"Boys don`t Cry!"
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jab
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Beitrag von jab »

... ich glaub, der Lack heißt C37...
Damit kann man aber jede, nein wirklich jede Winsel stradivarisieren. Gut der is nich billich, aber das sind ja diese alten Kisten auch nich. Und wenn man den Prozessor seines Rechners damit lackiert, bekommt der Monitor ein schärferes Bild. Bei Autos hilft es, die Steuergeräte zu lackieren, dann braucht der Karren weniger und fährt schneller und besser und schöner und gleichmäßiger. Genauso isses mit den Geigen. Auch schneller und besser und schöner und gleichmäßiger!
Los, kaufen!

8)

Jab
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Antworten