Wie kann eine Gitarre EUR 35.000,- kosten?

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notenwart
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Wie kann eine Gitarre EUR 35.000,- kosten?

Beitrag von notenwart »

Das ist eine ernst gemeinte Frage, ich bitte um ernst gemeinte Diskussionsbeiträge ohne all zu sehr vom Thema abzuschweifen, mich interessiert´s halt mal.

Mir sind die grundlegendsten Grundlagen des Gitarrenbaus bekannt. Demzufolge ist klar, dass man eine Gitarre für einen Verkaufspreis EUR 60,- nicht herstellen kann; ein Instrument für ca 300,- ist eben industrielle Fertigung, kann durchaus ganz ordentlich sein, man sollte aber kein Kunstwerk erwarten. Ab ca EUR 1.500,- gibt es schon sehr ordentliche Industriegitarren, in diesem Preisrahmen beginnt dann auch schon der eine oder andere Gitarrenbauer im Manufakturbetrieb zu fertigen. Wer sich eine industriell gefertigte Gitarre ab ca 2.500,- kaufen möchte, erhält hier im Forum oder auch im Kreise der Mitmusiker den Hinweis „für das Geld kannst Dir doch aber was ordentliches bauen lassen“. Jetzt gibt es also einen großen Bereich der Überschneidung zwischen Fabrikfertigung und Einzelanfertigung. Vielleicht von EUR 2.000,- - EUR 5.000,-.
Und in der Einzelfertigung (oder im Customshop) kann ich natürlich noch diverse individuelle Wünsche einfließen lassen, die den Klang verbessern, die Bespielbarkeit auf mich abstimmen, die Optik aufhübschen. Kostet alles, klar.

Aber kann man ehrlichen Herzens eine Gitarre bauen, deren klangliche und technische Eigenschaften einen Preis von EUR 35.000,- rechtfertigen? Was ist daran anders, als an einer Gitarre eines Tommy Emanuel oder Ian Melrose, deren Instrumente / deren Finger doch hervorragende Töne hervorbringen?
Also kann man bspw 35.000,- in Klang oder andere Qualitätsmerkmale umsetzen?
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Holger Hendel
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Re: Wie kann eine Gitarre EUR 35.000,- kosten?

Beitrag von Holger Hendel »

„für das Geld kannst Dir doch aber was ordentliches bauen lassen“
Genau, hört man häufiger, nicht nur hier. Ich halte diesen Ausspruch für eines der größten Missverständnisse in unserer Zunft. Wie sonst erklären sich all die Unikate (oftmals frühere oder zukünftige sog. "Traumgitarren") die weitergereicht werden? :roll:
Aber kann man ehrlichen Herzens eine Gitarre bauen, deren klangliche und technische Eigenschaften einen Preis von EUR 35.000,- rechtfertigen?
Meine Phantasie ist in diesen Belangen bisher nicht ausgeprägt genug, bisher waren Gitarren von der Stange mein deal. Für möglich halte ich es schon, hochwertiges Material etc. Ich tendiere dennoch zu "nö" und würde dem Anbieter eines entsprechenden Instruments unterstellen, dass er ein Buch über Werbepsychologie im Regal stehen hat.

Sehr spannend wäre so ein Test ähnlich wie ein Weintest - bei dem verschiedene Gitarren ohne Preisetikett von langjährigen Spielern (oder sonst. "qualifizierter" Versuchsgruppe) geschätzt werden. :mrgreen:
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Tobias
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Re: Wie kann eine Gitarre EUR 35.000,- kosten?

Beitrag von Tobias »

Der Gitarrenbauer, der solche Preise für seine Gitarren bekommt, verkauft ja nicht nur das Holz und seine Arbeit, sondern vor allem seinen Namen und seinen Ruf, d.h. alles, was er sich über Jahre und Jahrzehnte aufgebaut hat. Der Käufer erhält also nicht nur eine Gitarre, sondern ein Gesamtkunstwerk. Und das darf so viel kosten, wie Käufer bereit sind zu zahlen. Das irgendwie objektiv bemessen zu wollen führt automatisch in eine Sackgasse.

Und wenn wir schon beim Wein sind: ein Bekannter von mir arbeitet im Restaurent eines bekannten Hotels. Die haben einen Wein für 150.000 Euro auf der Karte. Ist über 100 Jahre alt und schmeckt wahrscheinlich beschissen ohne Ende. Aber wenn es die Herren Ölscheichs und Sowietoligarchen beliebt, dann wird das Zeug eben gekauft. Da hat es auch keinerlei Sinn den Preis rechtfertigen zu wollen.
Zuletzt geändert von Tobias am Do Nov 26, 2015 11:30 am, insgesamt 3-mal geändert.
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rudi
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Re: Wie kann eine Gitarre EUR 35.000,- kosten?

Beitrag von rudi »

Ich weiß jetzt nicht ob Du von einer neuen oder einer gebrauchten Gitarre für diesen Preis ausgehst.
Bei einem Neubau kann es sich nur um einen Gitarrenbauer handelt der für irgendeinen "Superstar" der Szene arbeitet.
Z.B. kann Linda Manzer ( baut für Pat Metheny) viel mehr Geld für ihre Gitarren verlangen (und bekommt es auch) als ein weniger bekannter Gitarrenbauer. 35.000€ halte ich allerdings für maßlos überzogen. Anderseits ... wenn es einen Käufer gibt ?? :shock:
Für gebrauchte Gitarren, besonders im Konzertgitarrenbereich, ist der von Dir genannte Betrag durchaus zu erzielen.
Eine Gitarre aus den 50zigern ( Bouchet / Fleta etc) dürfte in der Preislage (unter Liebhabern) liegen.
Ob man in der Lage ist klanglich diese Summe zu erfahren sei dahingestellt !
Ich glaube heute hat jeder Golf eine bessere Straßenlage und fährt sich "besser" als ein Porsche 356.
Aber das ist ja nicht was zählt und bezahlt wird ! :wink:
Tobias
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Re: Wie kann eine Gitarre EUR 35.000,- kosten?

Beitrag von Tobias »

Wenn der Gitarrenbauer solche Preise verlangen kann, dann hat er mit hoher Wahrscheinlichkeit bereits für etliche "Superstars" gearbeitet. Viel wichtiger ist aber, dass er selbst als "Superstar" der Gitarrenbaukunst wahrgenommen wird.
notenwart
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Re: Wie kann eine Gitarre EUR 35.000,- kosten?

Beitrag von notenwart »

Ja der Vergleich mit dem Wein ist mir auch schon eingefallen.

Ich meine ursprünglich neue Gitarren. Kann man in einer solchen durch ausgeprägte Handwerkskunst für diesen Preis einen Gegenwert darstellen?

Natürlich kann man eine historische Gitarre, oder ein besonderes Liebhaberstück so verkaufen, gewiss ist der eine oder andere bereit, für so ein Statussymbol ordentrlich Kohle hinzublättern (gibt ja auch genug Leute, die Tag für Tag mit dem Porsche im Stau stehen)....
Tobias
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Re: Wie kann eine Gitarre EUR 35.000,- kosten?

Beitrag von Tobias »

Objektiv nein, subjektiv ja. Ich denke, es geht dann nicht nur um ein Instrument in handwerklicher Perfektion, sondern auch um ein Spekulationsobjekt. Der Käufer muss also davon ausgehen, dass es mindestens einen anderen Interessenten gibt, der das Gleiche oder mehr dafür bezahlen würde.
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Orange
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Re: Wie kann eine Gitarre EUR 35.000,- kosten?

Beitrag von Orange »

notenwart hat geschrieben:Kann man in einer solchen durch ausgeprägte Handwerkskunst für diesen Preis einen Gegenwert darstellen?[/b]
Da müsste man fast mal den Gitarrenbauer selber fragen was jetzt an dem Teil so viel wert ist,
nur er kann das beantworten. Die Antwort wäre sehr spannend ... :D
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H-bone
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Re: Wie kann eine Gitarre EUR 35.000,- kosten?

Beitrag von H-bone »

notenwart hat geschrieben: Aber kann man ehrlichen Herzens eine Gitarre bauen, deren klangliche und technische Eigenschaften einen Preis von EUR 35.000,- rechtfertigen?
Aber sicher ! So sicher wie man reinen Gewissens einen Ferrari oder Bugatti oder Bentley für 750.000 Euro bauen kann. Ist doch auch nur ein Auto.
Wer eine Somogyi im Wohnzimmer stehen haben möchte, der zahlt die 35.000 USD gerne - ist froh, das der Ervin ihn als Kunden akzeptiert hat. Bei dem kannste dir wahrscheinlich sogar eine zweite bauen lassen - im Gegensatz zu Wayne Henderson, der jedem nur eine Gitarre baut - eine zweite bekommt keiner. Auch nicht Clapton.
Ausserdem: Im Vergleich zu den "normalen" Preisen bei hochwertigen handgebauten Streichinstrumenten, Mandolinen, Akkordeonen etc. sind Gitarren echte Schnäppchen...

Gruss, Martin
Filigran
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Re: Wie kann eine Gitarre EUR 35.000,- kosten?

Beitrag von Filigran »

...
Zuletzt geändert von Filigran am Mi Mai 18, 2016 5:43 pm, insgesamt 1-mal geändert.
notenwart
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Re: Wie kann eine Gitarre EUR 35.000,- kosten?

Beitrag von notenwart »

Filigran hat geschrieben:Die 35 TEUR sind in dem Moment gerechtfertigt, in dem ein Kunde diesen Betrag bezahlt.........
Sorry, aber ich benötige doch keine Belehrungen über die allgemeine Funktionsweise des Kapitalismus. Ich schrieb mindestens zweimal, ob es einen qualitativen Gegenwert gibt! Gibt es? Gibt es nicht? Wenn ja, kann man den erkennen? Woran? Welche Spiel- und oder Hörfähigkeiten sind vonnöten?
Bernd C. Hoffmann
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Re: Wie kann eine Gitarre EUR 35.000,- kosten?

Beitrag von Bernd C. Hoffmann »

Einen Porsche zu bauen kostet auch nur 30.000 € Würde so ein Fahrzeug vom Hersteller für 70.000 angeboten, dann hätte er einen gewaltigen Imageschaden. Aus demselben Grund ist ein Apple Air-Book nicht für 300 € erhältlich. Das ist reine Hochpreisstrategie, um etwas exklusives zu artikulieren. Wenn wir auf Gitarren schauen und blicken auf eine Torres, dann ist wahrscheinlich alles unter ca. 500.000 € ein Sozialhilfekurs. Die gab es zwar neu nie für den Preis, aber neu gibt es sie nicht.

Es gibt ein Beispiel von einem spanischen Gitarrenbauer, der vor ca. 6 Jahren ein Stück Fichtenholz von einem über Hunndert Jahre altem Flügel erwarb und daraus eine Gitarrendecke machte. Die Gitarre klang Berichten zufolge entsprechend herausragend. Der Preis der Gitarre selbst wurde auch auf Grund des Kaufpreises für das Holz als "sündhaft teuer" beziffert. Warum soll vor dem Hintergrund außergewöhnlicher Hölzer eine Gitarre keine 40.000 € kosten? Solche Preise sind bewusst nicht für jeden gebaut.
Liebe Grüße
Bernd
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Rolli
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Re: Wie kann eine Gitarre EUR 35.000,- kosten?

Beitrag von Rolli »

Also bei alten Vintage E-Gitarren und auch alten Klassikgitarren werden ja Preise von 25000 - 400000 Euro aufgerufen.
Vorallem weil es Sammlerobjekte sind. Da kann ich das gut nachvollziehen und mach da ja ein wenig mit :)
Aber bei einer neuen Gitarre könnte ich das nur nachvollziehen, wenn der Kunde halt aussergewöhnlichste Zutaten wünscht. Diamantene Inlays, ein Binding aus dem Haupthaar von Frau Monroe oder ein Voodoo-Schalloch - sowas halt.
Schöne Grüße, Rolli
www.daskulturgut.de - KulturGUT
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notenwart
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Re: Wie kann eine Gitarre EUR 35.000,- kosten?

Beitrag von notenwart »

Hallo Bernd, ja diese Holzauswahl ist mit Sicherheit ein Alleinstellungsmerkmal, die Decke ist dann perfekt gelagert und eingeschwungen - das wäre ein Argument für einen sehr hohen Preis
Filigran
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Re: Wie kann eine Gitarre EUR 35.000,- kosten?

Beitrag von Filigran »

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Zuletzt geändert von Filigran am Mi Mai 18, 2016 5:43 pm, insgesamt 1-mal geändert.
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