"Übe niemals Tonleitern beim Fernsehen" u.ä.

Alles, was mit akustischer Gitarrenmusik zu tun hat und sonst nirgends hineinpaßt

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Holger Hendel
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"Übe niemals Tonleitern beim Fernsehen" u.ä.

Beitrag von Holger Hendel »

Gerade beim Durchblättern eines John Ganapes-Buches gelesen. Ok, ist von 1997, heute hätte er wohl geschrieben "übe niemals Tonleitern beim youtube-Gucken" - dennoch halte ich so eine Empfehlung für bahnbrechend falsch! Ich würde zwar auch nicht empfehlen "übe Tonleitern nur beim youtube-Gucken" - tendenziell aber eher so als wie Ganapes es empfiehlt.

Wenn ich die Funktionsweise des Denkknochens richtig verstanden habe ist v.a. die Wiederholung ("Anzahl der Wiederholungen") motorischer Abläufe wichtig um diese zu einem späteren Zeitpunkt quasi abrufen zu können. Dabei ist es sekundär ob ich dabei aus dem Fenster gucke, auf meine Hand gucke, youtube gucke. Vielmehr ist entscheidend, inwieweit es mir gelingt meine Aufmerksamkeit zu fokussieren. Wenn ich einen wilden Kneipengig spiele und an der der Bühne gegenüberliegenden Wand ein flatscreen hängt auf dem ein Sportsender läuft...niemand käme auf die Idee, dass der Gitarrist der Band darum bitten würde den Fernseher auszuschalten. ;)

Ganapes differenziert auch nicht, das nervt mich auch hart an. "Üben" kann alles bedeuten...wenn ich den Fingersatz einer Tonleiter erstmalig erarbeite würde ich yt auch kurz pausieren, klar. Doch sobald mir der Fingersatz vertraut ist schmettere ich das Ding in 3er und 4er-Gruppen, Quarten und Quinten rauf und runter, es wird zunehmend sauberer klingen, geläufiger werden. Dabei stört mich eine nebenbei laufende Doku doch nicht. Heidanai.

Don´t know. Ich finde derartige Tipps völlig daneben, sie gehen an der tatsächlichen Übesituation / den zeitlichen Möglichkeiten vieler self-taught Gitarristen vorbei. Wenn ich gleich meine Quartenzirkel-Tonleiterübung spiele werde ich noch mal darüber nachdenken...
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RB
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Re: "Übe niemals Tonleitern beim Fernsehen" u.ä.

Beitrag von RB »

Wie ist das mit dem Ton, kannst du auf den Ton achten, wenn die Quak-Kiste läuft ?
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Holger Hendel
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Re: "Übe niemals Tonleitern beim Fernsehen" u.ä.

Beitrag von Holger Hendel »

Da haste ´nen Punkt - wohl eher nicht (also...der tone wird wohl eher vernachlässigt). Wenn es z.B. um Geschwindigkeitsaufbau / Geläufigkeit geht...eher zu vernachlässigen, für mich.

Fällt mir gerade dazu ein:
Dave Goodman gab mal auf einem workshop den Tipp...Abends beim Krimi...gerne mit ein bis drei Flaschen des Lieblingsgetränks auf der couch gemütlich auf der E-Gitarre spielen...unverstärkt. Stört dann auch die sonstigen Anwesenden nicht so doll... ;)
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RB
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Re: "Übe niemals Tonleitern beim Fernsehen" u.ä.

Beitrag von RB »

Ich war auf die Idee neben Fernseher oder YT zu üben nicht gekommen. Ich muß immer auf den Ton achten, die Verschlechterung des Tons zeigt, daß ich in die Verkrampfung abzurutschen beginne. Dann versuche ich, wieder lockerer zu lassen. So versuche ich, die entkrampfte Länge von anfangs vielleicht 1,5 Takten immer weiter auszudehnen. Dabei geht es also weniger um die Bewegungsabläufe, als um eine Art inneres Hindernis. Ob Einflüsse von aussen da stören würden, kann ich nicht einmal sagen. Das wäre wohl, wie du schon meintest, eine Frage der Konzentration.
randomNotes
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Re: "Übe niemals Tonleitern beim Fernsehen" u.ä.

Beitrag von randomNotes »

Ich glaube das der Erfolg bei Tonleitern von der Präzision abhängt die ich mir aneigne. Meiner Erfahrung nach ist es besser langsamer, bewusster und achtsamer Tonleitern zu spielen als einfach nur durch technisch grobe Repetition.

Diese Achtsamkeit für all die wichtigen Faktoren wie Fingerpositionierung rechts und links, Muskelspannung der Finger etc. kann man glaube ich nur bei absoluter Fokussierung erreichen.

Ich glaube, lieber mit 100% 10-30 Minuten als mit 20% 2 Stunden.

Dann kommt langfristig auch die gewünschte Geschwindigkeit!
Zuletzt geändert von randomNotes am Do Feb 02, 2017 11:30 am, insgesamt 1-mal geändert.
notenwart
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Re: "Übe niemals Tonleitern beim Fernsehen" u.ä.

Beitrag von notenwart »

Holger, ich vermute, dass das Buch sich nicht explizit an Dich richtet. Du bist ein sehr weit fortgeschrittener Spieler. Zudem kannst Du selber Deine Fähigkeiten beurteilen und im Zweifelsfall die volle Konzentration aufs Spielen legen oder eben nebenei noch TV gucken.
Das kann nicht jeder und hier empfiehlt das Buch eben volle Konzentration auf´s Tonleiterüben.

Die Sache mit der ANzahl der Wiederholungen ist doch mit Sicherheit auch nur ein Mittelwert und wird auch davon abhängen, wie viele Prozesse parallel Dein Hirn belasten
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Holger Hendel
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Re: "Übe niemals Tonleitern beim Fernsehen" u.ä.

Beitrag von Holger Hendel »

Das kann nicht jeder und hier empfiehlt das Buch eben volle Konzentration auf´s Tonleiterüben.
Hmja. Und doch wünschte ich mir etwas mehr Text vom Autor, etwas mehr in die Breite gedachte Ideendreingabe..."nie" klingt so endgültig, you know? Ich werde ständig mit solchen Fragen konfrontiert, überwiegend von Heranwachsenden - die scheinbar oftmals schnelle Erfolgserlebnisse gewohnt sind, und dann kommt die Gitarre und irgendeine "unmögliche" Technik..."schon wieder keine Zeit zum Üben gehabt" etc. Da drängt sich früher oder später die Frage auf, was wie wann (ggf. dann eben auch "wobei") geübt werden kann und soll. Sogar Übeplanerstellung ist Thema...für mich wurde das dann relativ früh eine Schnittmenge...Geläufigkeitsübungen durchaus auch beim Dokugucken abspielen.

Habe gerade nochmal geschaut, ich falle wohl echt nicht in die Zielgruppe des Buches, ok...aber dennoch...ich finde solche Aussagen echt schade. Das lenkt das Denken des Spielers krass in eine Richtung und schränkt die Möglichkeiten ein. Über so ein zentral wichtiges Thema hätte er für mich durchaus zwei, drei Sätze mehr verlieren dürfen.
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thust
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Re: "Übe niemals Tonleitern beim Fernsehen" u.ä.

Beitrag von thust »

Holger Hendel hat geschrieben:Wenn ich einen wilden Kneipengig spiele und an der der Bühne gegenüberliegenden Wand ein flatscreen hängt auf dem ein Sportsender läuft...niemand käme auf die Idee, dass der Gitarrist der Band darum bitten würde den Fernseher auszuschalten.
Der Niedergang der Livemusik war wohl 1997 noch nicht absehbar. :evil: :lol:

Ich kenne das aber, wobei der Fernseher noch das kleiner Übel ist. Ich hatte schon Leute die 2 m vor mir Billard oder hinter mir Airhockey gespielt haben. Dabei zu musizieren schult die Konzentrationsfähigkeit aber ungemein. :mrgreen:
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HR
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Re: "Übe niemals Tonleitern beim Fernsehen" u.ä.

Beitrag von HR »

Hi Holger,

wenn ich den Faden so lese, klingt das für mich nach "optimiertes Zeitmanagement". Wie lerne ich mit möglichst schnell am meisten. Am besten eben auch noch neben einer anderen Tätigkeit (Fernsehen, YT, Bügel, ..) um die Zeit auch optimal zu nützen.

Wollen deine Schüler Gitarre lernen oder müssen sie ?

Mir ist schon klar, dass Üben jetzt nicht zu den beliebtesten Tätigkeiten gehört; aber es ist nun mal in einer gewissen Weise notwendig. Und ja, Gitarre spielen ist (wie jedes Hobby) mit einem gewissen Zeitaufwand verbunden.
Ich bin der Meinung, dass man jede Tätigkeit auch bewusst machen sollte, auch wenn sie noch so lästig und/oder einfach ist (wie z.B. Gitarre üben).

Im übrigen bin ich auch der Meinung, dass es nicht hilft, wenn du die Tonleitern oder Riffs rasend schnell spielen kannst; klingen tut's aber wie S...

jm2c
lg
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CocoW
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Re: "Übe niemals Tonleitern beim Fernsehen" u.ä.

Beitrag von CocoW »

Ohne jetzt das Buch zu kennen, finde ich auch, es kann durchaus hilfreich sein. Bei mir laufen dann allerdings keine Dokus, sondern möglichst doofes Vorabendprogramm. Grund 1 waren in einer alten, hellhörigen Wohnung Nachbarn. Sobald sie auch nur ein Tönchen von einem Saiteninstrument erahnt haben, wurde oben das Gehen lauter - wenn noch Gesang dazu kam, wurde auf den Boden gestampft. Der Fernseher störte sie aber nicht - Lösung, Fernseher aufdrehen, davor sitzend üben.

Heute bin ich das Problem los, habe aber gemerkt, dass es trotzdem hilfreich sein kann. Ich achte oft sehr auf den Ton, das Pick, die Haltung - und bin ab und an frustriert, weil ich trotz aller Justierungen nicht zufrieden bin mit dem, was ich höre. Dann hilft es mir, mich beim Üben vom Guckkasten und sinnlosen Texten ablenken zu lassen, um mich nicht zu sehr auf meine Unzufriedenheiten zu konzentrieren und wieder lockerer zu werden. Allerdings übe ich dann auch eher Sachen, die schon laufen, ich also auch nicht die volle Konzentration brauche.
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docsteve
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Re: "Übe niemals Tonleitern beim Fernsehen" u.ä.

Beitrag von docsteve »

In den Achtzigern, als ich noch jung und ambitioniert war, habe ich mir das Buch "Ten" gekauft, in dem zehn prominente Gitarristen mit je einer Lektion vertreten sind. Langsam komme ich in ein Stadium, wo ich auch was damit anfangen kann :lol:

Das Vorwort stammt von Howard Roberts. Dort gibt er Hinweise zum effektiven Üben. Sachen, die kognitiv erfasst werden müssen, soll man sich so klar und konzentriert wie möglich draufschaffen: "One clear snapshot is better than a thousand blurred ones". Reine motorische Abläufe kann man seiner Meinung nach auch üben, wenn das Gehirn abgeschaltet ist: "A person can achieve wonders while playing or noodling for hours while watching TV, even with the sound on".

Viele Grüße, Stephan
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Holger Hendel
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Re: "Übe niemals Tonleitern beim Fernsehen" u.ä.

Beitrag von Holger Hendel »

Danke für Eure Gedanken zur Sache, sehr interessant.
Wollen deine Schüler Gitarre lernen oder müssen sie ?
Erstgenanntes. Mit Variante zwei würde ich mir binnen kürzester Zeit den guten Ruf ruinieren, da sorge ich idR schon im Vorfeld dafür, dass solche Leute gar nicht erst den Weg zu mir finden.

Es geht ja nicht nur um meine Gitarrenschüler, sondern ganz allgemein um die Fragestellung bzw. initial darum, dass ich solche verallgemeinernden Tipps von namhaften Autoren für total verfehlt, sogar für gefährlich (hinsichtlich des Enwicklungspotentials einzelner Gitarristen) halte. Es geht doch, Dave Goodman war schließlich auch zu einer differenzierten Betrachtung fähig - und hat sehr wohl´nen enorm guten tone, meine ich.

Howard Roberts, sowas gefällt mir. So sollte es sein.
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tbrenner
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Re: "Übe niemals Tonleitern beim Fernsehen" u.ä.

Beitrag von tbrenner »

@ HR: + 1

Für andere mag/wird sich das ja anders darstellen, aber vor TV oder beim Betrachten von yt-videos irgendwelche Gitarrenübungen zu machen ?? Nogo.Das Ergebnis könnte ich in die Tonne kloppen. In langen Jahren des Trial & Error beim Erlernen des Instruments hat sich für mich die Einsicht gefestigt, daß ich mich entweder mit voller Aufmerksamkeit dem Üben zuwende oder es besser gleich bleiben lasse. Die eherne Regel von Leuten wie Eric Lugosch (und sicher zahlreichen anderen Berufenen) lautet denn auch: "you got to really hear what you play" . Also für´s Abspeichern von Lernvorgängen gehört für mich. daß ich auch höre, was ich da so vor mich hindudle.
Mag aber auch meinem reifen Alter und meiner schwach ausgeprägten Mulittasking-Fähigkeit liegen... 8)

Grüssle,

tbrenner :wink:
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string
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Re: "Übe niemals Tonleitern beim Fernsehen" u.ä.

Beitrag von string »

Wenn man das Buch von Salamouny "Breaking the Wall" oder die Übungs-Tipps von
Adam Rafferty und auch neurologische Zusammenhänge bzgl. Üben
in Betracht zieht, dann ist beim Üben nebenbei fernzusehen etc. sehr kontraproduktiv.
Ich versuche mir dies immer wieder in Erinnerung zu rufen,
wenn mich manche Passagen zu üben zu langweilen beginnen und ich
deswegen den Fernseher einschalten möchte.

Gruß
Klaus
________________________________
"Das Wesentliche im Umgang miteinander ist nicht der Gleichklang,
sondern der Zusammenklang".
Ernst Ferstl
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scifi
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Re: "Übe niemals Tonleitern beim Fernsehen" u.ä.

Beitrag von scifi »

Ich bin gespalten. Als Jugendlicher habe ich viel Skalen vor der Glotze für die E-Gitte geübt und das hat einiges gebracht für Geschwindigkeit und motorische Automatisierung. Leider haben sich dadurch auch die Finger "verselbstständigt" und ich habe mir ein "Skalengefuddel" angewöhnt, was musikalische nicht zielführend ist und ich immer noch dabei bin mir wieder abzugewöhnen.
Heute versuche ich das YT-Glotze&Fuddeln nur noch zum Üben von Phrasen oder Pickingpattern zu benutzen, bei denen ich die Automatisierung wirklich trainieren muss ohne darüber das bewusste Üben zu vernachlässigen. Die Mischung macht es.
Klar wäre nur bewusstes Üben besser, aber hey, ich bin Hobbymucker.. Kirche im Dorf lassen.
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