Die Crux mit dem One-Take

Alles, was mit akustischer Gitarrenmusik zu tun hat und sonst nirgends hineinpaßt

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CDKlampfe
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Die Crux mit dem One-Take

Beitrag von CDKlampfe »

Hallo zusammen,

mich treibt da eine Erfahrung um, die mir beim Aufnehmen der diesjährigen Forums-CD wieder mal bewusst geworden ist.

Da gibt es (vornehmlich) Instrumentalstücke, die ich eine zeitlang intensiv übe, bis ich den Eindruck habe, sie fehlerfrei und mit einer gewissen eigenen Note versehen auswendig spielen zu können.

Was dann im Wohnzimmer in meinen Ohren echt gut klappt, wird plötzlich und unerwartet kompliziert, wenn es ans Aufnehmen geht. Irgendwie scheint diese besondere Situation, verbunden mit dem Bestreben möglichst gut zu spielen, bei mir dazu zu führen, dass ich vermehrt Fehler einbaue. Und das auch bei Stellen, die ich sonst traumwandlerisch beherrsche. Daher brauche ich für einen One-Take oft sehr lange bzw. muss ab und an stückeln.

Ich rede hier jetzt nicht von Lampenfieber und Aufgeregtheit. Die kenne ich natürlich von öffentlichen Auftritten auch und weiß sie zu schätzen und zu nutzen. Aber bei mir im Keller bin ich ja nun mal allein...

Nun zur Frage: Kennt Ihr das auch? Beziehungsweise, wie erlebt Ihr den Unterschied zwischen Live-Spiel und Aufnahme-Situation?

Glück auf
Christian
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Niels Cremer
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Re: Die Crux mit dem One-Take

Beitrag von Niels Cremer »

Kenn ich nur zu gut! Hab ja früher viel live gespielt und da eher selten songs verpatzt, aber im Studio oder bei mir daheim im "Heimstudio" (eigentlich nur ein Zimmer im Keller :wink: ) gilt die alte Studio-Weisheit: "Mikrofon an - Musiker aus". Ich denke es ist auch eine Art Nervosität (wie es ja auch Lampenfieber ist), aber auf einer anderen Ebene, man ist sich sehr stark bewußt dass es "jetzt zählt" und will 100%ig "abliefern" und verliert dadurch die Entspanntheit die man eben hat wenn man "einfach nur so" im Wohnzimmer auf der Couch spielt ...

Was ich oft mache ist erst einen rough-track aufnehmen den ich zu Metronom oder drum-groove einspiele und auf dem ich dann "wie live" spiele, also zB Gesang und Gitarre gleichzeitig, wobei kleinere Patzer hier egal sind solange man "in time" bleibt, was durch die Rhytmus-Begleitung eigentlich meist gegeben ist. Dann hab ich diesen rough-track auf dem Kopfhörer wenn ich die einzelnen Spuren einspiele und habe somit nicht nur Rhytmisch sondern auch strukturell eine Stütze ... mir hilft's, auch nicht immer, aber immer öfter ... :wink:

LG,
Niels
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Andreas Fischer
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Re: Die Crux mit dem One-Take

Beitrag von Andreas Fischer »

kenn ich
mir fällt aber gerade etwas ein:
ventuell könnte es helfen jeden tag etwas aufzunehmen, einen take, etwas das man spielen kann, mann kann es ja hinterher löschen, eventuell wird die situation irgendwann so normal das verspieler immer seltener werden
Andreas Fischer
Versucht seit 2012 nach 30 Jahren zum 2. Mal Gitarre zu lernen
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HR
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Re: Die Crux mit dem One-Take

Beitrag von HR »

Ja, das kenn' ich auch.

Ich bin dann dazu übergegangen, das Aufnahmegerät einzuschalten und einfach einmal drauf los zu spielen. Ich habe für mich festgestellt, wenn ich den Kopf von dem ganzen Aufnahmeprozedere ein bisschen freibekomme und mich nur auf das Spielen konzentrieren kann (ist das schon schwer genug) werden auch die Aufnahmen besser. Da mache ich dann ca. 10 Durchläufe und meist ist dann auch was Brauchbares dabei.
lg
HR

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CDKlampfe
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Re: Die Crux mit dem One-Take

Beitrag von CDKlampfe »

Schön zu wissen, dass ich mit dieser Erfahrung nicht alleine bin ...
Niels Cremer hat geschrieben:Mikrofon an - Musiker aus
Schöner Spruch - kannte ich noch gar nicht, ist aber viel Wahres dran!

Die Variante mit dem rough-take oder scratch kenne ich auch. Das hilft mir tatsächlich bei Stücken mit komplexen Arrangements und mehreren Spuren. Bei reinen Instrumentalstücken verwirrt es mich eher.

Ist wohl tatsächlich eine Kopfsache.
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berndwe
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Re: Die Crux mit dem One-Take

Beitrag von berndwe »

#MeToo

;-)

...wir sind inzwischen beim 14. Take. Bisher nichts wirklich Vorzeigbares dabei, aber diesmal läuft es. Du spielst fehlerfrei und zugleich noch locker und ausdrucksvoll. Ein Vortrag wie er sein muss, der nichts zu wünschen übrig lässt...

...nun betritt er die Szene - aus einer schwefelgelben Rauchwolke heraus - er selbst, der Leibhaftige, und er spricht:

“Du machst das klasse Junge, weiter so. Das wird eine Aufnahme die Du wirklich präsentieren kannst. Profiniveau - vorausgesetzt Du baust jetzt nicht noch in den letzten Takten einen gut hörbaren Verspieler ein“
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Gitarrenspieler
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Re: Die Crux mit dem One-Take

Beitrag von Gitarrenspieler »

Das kenne ich auch... Wenn das eines Tages weg ist sind wir Maschinen geworden und es macht keinen Spaß mehr. Komischerweise hab ich das nicht wenn ich vor Leuten spiele. Aufnahmen sind so endgültig, wenn da einen „Bock“ drin ist kann man den immer wieder hören. Live hören das wahrscheinlich nur wenige oder keiner. Vielleicht ist das mit im Spiel? Jetzt nicht drüber nachdenken das live immer Videos mit Telefonen gemacht werden die u.U. nicht nur privat geschaut werden. Ich geh dann jetzt mal aufnehmen.
Gruß Wolfgang Hemd aus der Hose macht noch keinen Varoufakis
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docsteve
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Re: Die Crux mit dem One-Take

Beitrag von docsteve »

Kenne ich auch, und der Tipp von Andreas hilft - einfach mehr aufnehmen, dann geht auch das Lampenfieber weg.

Interessanterweise habe ich neulich ein paar Sachen live mitgeschnitten und hatte das Problem da nicht.

Aber was spricht gegen Schnitte im Studio? Ihr glaubt doch nicht im Ernst, dass die Helden alles im ersten Take auf Band nageln? Soll es geben, wird aber wohl gerade deshalb so hervorgehoben, weil es nicht der Standard ist.

Viele Grüße, Stephan
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docsteve
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Re: Die Crux mit dem One-Take

Beitrag von docsteve »

Um so mehr gilt: nimm mehr auf und kontrolliere dich selber.

Viele Grüße Stephan
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Jürgen
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Re: Die Crux mit dem One-Take

Beitrag von Jürgen »

berndwe hat geschrieben:
...nun betritt er die Szene - aus einer schwefelgelben Rauchwolke heraus - er selbst, der Leibhaftige, und er spricht:

“Du machst das klasse Junge, weiter so. Das wird eine Aufnahme die Du wirklich präsentieren kannst. Profiniveau - vorausgesetzt Du baust jetzt nicht noch in den letzten Takten einen gut hörbaren Verspieler ein“
Diese Szene kenne ich auch zur Genüge :-)

Und das Problem dabei ist, wie Gitarrenspieler schon bemerkte: Live gespielt (was ich selten tue) ist der Fehler nicht von Dauer. Auf einer Aufnahme hörst du ihn jedesmal wieder.

Mehr aufnehmen hilft.
Gruß

Jürgen

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Klar ist doch auch, daß die Beschränkung auf eine einzige Gitarre auf eine extreme Notsituation, im Grunde auf den Zusammenbruch der Zivilisation hinweist. (RB)
jpick
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Re: Die Crux mit dem One-Take

Beitrag von jpick »

Tja, das kennen wir wohl alle.

Ich habe jedoch für mich selbstkritisch festgestellt, dass das Gefühl "das Stück im Schlaf" zu können, meistens eine wohlgemeinte Illusion für das eigene Ego ist. Wenn ich es nicht fehlerfrei aufnehmen kann, sitzt es eben noch nicht, es ist nicht vollkommen "automatisiert" und gegen Fremdreize wie eine Aufnahmesituation resistent. Oder es stellt Anforderungen, denen ich (noch) nicht gewachsen bin. Wenn ich so auf mehrere Jahre Fingerstyle schau, und wieviele Stücke ich schon als "gekonnt" betrachtete, habe ich doch maximal 2-3 Stücke, die ich wirklich "kann". Die sind auch so stabil, dass ich sie viele Wochen nicht spiele und trotzdem nicht hänge. Adam Rafferty hat das mal irgendwo auch so beschrieben. Finde ich aber momentan nicht wieder. Dafür das mit einigen Tipps:

http://www.adamrafferty.com/2013/06/26/ ... equipment/" onclick="window.open(this.href);return false;

Und wenn ich es fehlerfrei aufnehmen kann, ist übrigens noch lange nicht der Punkt erreicht, in dem ich es auch richtig gut und frei interpretieren kann. Das wäre dann nicht nur "Können" sondern "Souveränität". Denke, hier unterscheidet man sich erheblich vom echten Könner.

8) 8) 8)
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es hilft sowieso nur üben
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RB
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Re: Die Crux mit dem One-Take

Beitrag von RB »

Viel aufnehmen hilft und zwar in zweierlei Hinsicht: (1) eine Gewöhnung und ein wenig Routine stellen sich ein (2) man bekommt den Spiegel vorgehalten.
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tired-joe
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Re: Die Crux mit dem One-Take

Beitrag von tired-joe »

Wenn ich ausnahmsweise mal ein Stueck technisch fehlerfrei und musikalisch gekonnt durchspiele - habe ich garantiert vergessen den "Record" Knopf zu druecken.

Joe
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I'm a simple man. In the morning I listen to the news. At night I listen to the blues
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CDKlampfe
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Re: Die Crux mit dem One-Take

Beitrag von CDKlampfe »

jpick hat schon Recht: Im Gefühl der „traumwandlerischen Sicherheit“ steckt wohl auch bißchen wohlgemeinter Selbstbetrug (zumindest bei mir - ich will da nicht auf andere schließen).
Und die angesprochene Souveränität kenne ich auch nur von einer Handvoll Stücken. Die sitzen dann so sicher, dass ich daraus meine eigene Interpretation mache.
Übrigens mache ich manchmal die Erfahrung, dass es einem Stück auch ganz gut tut, es für ein paar Wochen mal „wegzulegen“, nachdem ich es intensiv geübt habe. Nach dieser Zeit des Ruhens komme ich schnell wieder rein und und es ist oft viel flüssiger als während der Probezeit.
Gruß
Christian
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berndwe
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Re: Die Crux mit dem One-Take

Beitrag von berndwe »

Wenn ich alle Stücke so souverän draufhaben wollte, dass ich sie auch in der Aufnahmesituation auf Anhieb fehlerfrei spielen kann, würde mein Repertoire maximal 3 Stücke umfassen.

Solange die Aufnahmesituation gleichzeitig auch eine Ausnahmesituation ist geht vorhandene Souveränität leicht verloren. Der Gedanke es könnte nun kurz vor Ende des Takes noch ein Fehler unterlaufen ist im Grunde eine Art von Konzentrationsverlust. Man ist nicht mehr bei der Sache - dem Vortrag von Musik - sondern im Unfallvermeidungsmodus.

Ich glaube auch dass häufiges Aufnehmen hier die Widerstandskraft deutlich erhöht.
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