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Unzeitgemäßer Musik-,bzw. Gitarrenunterricht??
Verfasst: Do Dez 03, 2009 11:14 am
von jafko
Ich möcht mal ne Diskussionsrunde für die hiesigen Gitarrenlehrer und -Schüler anstoßen.
Mich beschäftigt aus aktuellem Anlass wieder mal die Frage, ob nicht das herkömmliche musikpädagogische Konzept hoffnungslos veraltet ist.
Ganz besonders, was die Gitarre angeht.
Wenn ich Dinge erfahre wie:

Junge Dame, 15 Jahre, 7 Jahre Gitarrenunterricht an einer regionalen Musikschule Ich:"Greif doch mal ein A-Moll." Sie: "Was, bitte?"

Junge, 11 Jahre 4 Jahre Gitarrenunterricht an einer regionalen Musikschule. Kann gut Noten lesen. Spielt einstimmige Melodien nach Noten mit (einem fürchterlich knallenden

) Appojando-Anschlag rauf und runter. Aber ist nicht fähig zwei benachbarte Saiten zeitgleich anzuschlagen.

Aussage eines Lehrers beim Tag der offenen Tür in einer regionalen Musikschule zur interessierten Mutter: " Vielleicht sollte er besser ein anderes Instrument lernen. Fasst alle die zuerst Gitarre lernen wollen, hören schnell wieder auf!"
Da frag ich mich, irgendwas stimmt doch da nicht?
Jugendliche, deren Intension es ist, die Musik die sie gerne hören selbst machen zu können, werden stattdessen mit Carulli und Co. gequält.
Der erste Akkord kommt frühestens nach 3 Jahren Unterricht.
Diese einseitige Ausrichtung führt doch nur dazu, daß die Kids entweder ganz aufhören, oder sich halt vom Klampfer aus der Nachbarschaft was zeigen lassen und später dann versuchen ihr schlampige Technik als "persönlichen Stil" zu verkaufen.
Und komme mir ja keiner mit der Aussage, daß sich gute Technik und sensible Tonbildung halt nur mit dem Klassischen Material erarbeiten lässt.
Das geht auch sehr gut mit modernem Material!
Vor allen Dingen steht doch der Spaß an der Musik und am Instrument im Vordergrund. -und da tut die herkömmliche Musikpädagogik ihr bestes dem Schüler diesen Spaß zu nehmen...
Was meint ihr?
Verfasst: Do Dez 03, 2009 11:41 am
von clone
Tja, da kann ich nur berichten wie es Mitte der 80er war. Da wollte ich als Jugendlicher eigentlich Musik wie Depeche Mode machen. Nach einem Besuch im Musikgeschäft war aber klar, dass das finanziell und technisch unmöglich wäre. Als Beatles (und Bowie) Fan dachte ich dann an Gitarre. Also doch eher wohl eine Western. Da hieß es das komme später, wer nicht mit einer Klassik Klampfe anfängt wird nie mehr mit solchen Griffbrettern zurechtkommen, geschweige denn sauber die Technik lernen. Also wurde auf einer sehr sehr mäßgen (aber wohl soweit vertretbaren) Nylon Gitarre Bauerntänze und ähnliches geübt. Nach ein paar Monaten hat er mir dann zum zusätzlich üben ein paar Akkorde aufgemalt. Nur klang dann z.B. ein C-Dur auch so dermaßen beschissen, dass es keine Freude war. Ein Kontext wurde für die Akkorde auch nicht geliefert. Na gut, dass war eben auch ein Lehrer aus dem Klassik/Orchesterbereich. In Ergebnis habe ich dann halt nach 1 1/2 Jahren aufgehört.
Die damaligen Musikschulen haben zwar auf Noten und Bauerntänze verzichtet, nur wenn der `junge`, `flippige` Gitarrenlehrer einem dann den 70er Rock aufdrängt, hat das einen ähnlichen Effekt. In den 80ern war der nämlich irre out und peinlich.
In einem Wort, je ´cooler` und jugendkultureller ein Jugendlicher war, desto höher war der Frust mit den Lehrern. So oder so... .
Verfasst: Do Dez 03, 2009 11:45 am
von Juan
Also grundsätzlich bin ich in Allem bei Dir:
Meine Devise lautet:
Es heißt nicht umsonst, dass man ein Instrument "spielt", Also sollte der Unterricht eine Anleitung zum Spielen sein. D.h. der Schüler sollte neugierig gemacht werden, was man mit so einem Instrument alles machen kann. D.h. ja nicht, dass man Haltung und Theorie vergisst, aber setzt natürlich voraus, dass Schüler und Lehrer offen dafür sind. D.h. man wird nicht so schnell zu hause zur Leistungsschau antreten und die ersten Etüden vorspielen können und die Lehrer können möglicherweise nicht auf die bequemen Gitarrenschulen zurückgreifen, sondern müssen sich selbst was überlegen. Kreativität ist gefragt.
Ich hatte Lehrer von beider Sorte und es hat mir beides was gebracht. Ich konnte aber auch selbst entscheiden, wie und was ich in welcher Zeit lerne. Damit bin ich sicher nicht der Supergitarrist geworden, aber ich spiele mein Instrument immer noch von Herzen gerne.
Gruss
Jens
Verfasst: Do Dez 03, 2009 11:46 am
von notenwart
Meiner Erfahrung nach, greifen da viele Probleme ineinander:
Die Eltern möchten ihren Kindern meistens eine „solide“ musikalische Ausbildung gönnen; dazu wird zuerst einmal die Klassik gerechnet.
Der Musiklehrer, der um jeden Schüler bangen muß, der eventuell abspringt, versucht, möglichst viel „Erfolg“ beim Schüler zu erzielen. Und Erfolg wird in vorspielbaren Stücken gerechnet; es gibt keine B-Note und es gibt auch kein Nebenfach, also oftmals nicht, Musiktheorie
Nochmal der Musiklehrer, der natürlich nicht alle modischen Strömungen (ich will wie Tokio Hotel, ich will wie HannaMontana...) vermitteln kann; der auch sinnvollerweise irgendwie einen Lehrplan hat.
Der Schüler, der unter dem Druck der Eltern (bei einigen ist das so) widerwillig eine halbe Stunde vor der Übungsstunde seine Gitarre haßerfüllt anguckt und mal eben schnell noch 10 Minuten übt.
Wann sieht man als Gitarrenschüler ein, daß Technik wichtig ist? Und übt diese daher selbst?
Ich weiß nicht, inwieweit man die von Dir genannten Beispiele verallgemeinern kann. Meiner Meinung nach aber ist der Anfang auf der Gitarre mit ca 8 Jahren, wie in Deinen beispielen, zu früh.
(Mein Gitarrenlehrer ist immer eingeschlafen bei der Stunde)

Verfasst: Do Dez 03, 2009 11:58 am
von OldPicker
Ich hatte 11 Monate mit 29 anderen Gitarrenwilligen Frontalunterricht, wobei der Gitarrenlehrer selbst nur Akkordeon spielte. Die Mundorgel war unsere musikalische Bibel. Akkorde malte er an die Tafel.
Ich habe alles autodidaktisch erlernt, kenne allerdings auch meinen Notenzirkel, Vorzeichen, Dreiklänge, Mollparallelen. Ein wenig Grundwissen halt. Wo es bei mir aber total hapert, sind Sonderformen - z.B. aus der Jazzfamilie - , die sich Sus oder so nennen. Ich kann sie spielen und auch zeitweise praktisch herleiten, aber auf Zuruf wären die Dinger mir ebenso geläufig, wie der Stadtplan von Peking.
Auch das Lesen von Noten und Tabs ist mir möglch, aber ich könnte sie nicht schreiben. Und ich kann sie nur mit besonderer Mühe auf der Gitarre umsetzen.
Soweit dieses, zu meiner eigenen "Ausbildung".
Bei meinem Sohn kam auch zunächst die "Konzertgitarre", mit einem recht guten und für Kinder und Jugendliche höchst engagierten Lehrer. Was mein Jüngster dort in der Zeit lernte, war eine solide Basis für den späteren Lehrer, bei dem er gleich mit der E-Gitarre anfing.
In unserem Fall war es glückliche Fügung, dass Instrument, Schüler und beide Lehrer optimal aufeinander eingestimmt waren.
Glück gehabt.
Verfasst: Do Dez 03, 2009 12:06 pm
von jafko
notenwart hat geschrieben:
Wann sieht man als Gitarrenschüler ein, daß Technik wichtig ist? Und übt diese daher selbst?
Das kann ich dir aus eigener Erfahrung beantworten:
Dann wenn er
unbedingt ein bestimmtes Stück spielen will, das aber Technisch noch nicht meistern kann, weil da so einige "verdrackte" Stellen drin vorkommen.
Ich bastele dann immer kleine Übungen aus diesen Stellen, damit der Schüler die erforderliche Technik trainieren kann.
Du glaubst nicht wie viel Zeit die plötzlich an der Gitarre verbringen.
(Ich vermeide übrigens grundsätzlich den Begriff "üben"! Meine Schüler, vor allem die Jungs, "trainieren"!)
Verfasst: Do Dez 03, 2009 12:11 pm
von notenwart
jafko hat geschrieben:..wenn er unbedingt ... will...
Genau. Also liegt doch evtl die Crux darin, den Schüler hinreichend zu einer Eigenmotivation zu verführen.
Verfasst: Do Dez 03, 2009 12:39 pm
von TorstenW
Ich denke der notenwart hat das ganz gut zusammengefasst:
Man kann nicht einfach sagen "der Musikunterricht ist schuld", weil das nicht die Komponenten abdeckt die mit drinhängen.
Ich bin ja selbst Musiklehrer, und ich hab da auch einige Spezies die jetzt 8 Jahre spielen und de facto nix können. Das sind aber auch die Schüler, die einfach gar nicht üben und wenig Interesse haben, denen ich auch im Grunde jede Woche dasselbe erzähle und man einfach nicht weiterkommt.
Die kommen halt zum Unterricht weil sie es schon immer so gemacht haben und weil sie ihren Kumpels erzählen können, das sie Gitarrenunterricht nehmen, es gibt aber auch durchaus Beispiele, wo das sehr anders läuft.
Thematisch würde ich sagen, dass die Klassik von vielen etwas zu Unrecht verteufelt wird. Ich hab in meinem klassischen Unterricht einfach wahnsinnig viel über Soundformung etc gelernt, einfach weil die Musik das bedingt.
Und wenn ich heutzutage im Musikladen sitze, seh ich massenhaft Leute, die das klangliche Potential der Gitarren nicht einmal Ansatzweise ausnutzen (können).
Pop- und Rockmusik fordern einfach nicht so viel von einem Gitarristen in Richtung Interpretation (und technisch oft auch nicht), daher finde ich klassische Musik gar nicht verkehrt um solcherlei Dinge zu lernen.
Trotzdem sollte ein guter Lehrer auch auf seine Schüler eingehen.
Ich mach das z.B. so, dass ich mehrgleisig fahre, und mit meinen Schülern dann auch Lieder spiele auf die sie Lust haben um sie zu motivieren und "klassische" Sachen die sie einfach schneller voranbringen. Mit den meisten klappt das ganz gut.
Dann sollte man jedoch auch nicht die Pädagogische Komponente vergessen:
Ich finde meine Schüler müssen auch lernen, dass nicht immer alles von Anfang an sofort klappt und Spaß macht.
Aber ebenso, dass man mit etwas Disziplin und Willen auch Erfolgserlebnisse haben kann, wo man sie evtl zunächst nicht vermutet hat.
Wenn man nur Dinge macht, auf die die Schüler Lust haben, werden diese nur recht schleppend vorankommen (so meine persönliche Erfahrung).
Ein wenig "Durchquälen" gehört einfach dazu und das Überwinden des inneren Schweinehundes bringt die Schüler auch (moralisch) weiter.
Das ist so eine Komponente die Musikunterricht meines Erachtens gut erfüllen kann. Etwas befremdlich hingegen finde ich Eltern, die ihre Kinder dahinschicken und zwar extra in den Gruppenunterricht, damit ihre Kinder einen sozialen Umgang haben. Da würde sich ein Sportverein wesentlich besser anbieten. Musikunterricht ist nunmal primär eine Sache wo einer spielt und der Rest ruhig ist, und wo das Instrument auch im Vordergrund steht, und nicht nur Beschäftigung und Spaßfaktor.
Ich hatte als Kind selbst so eine Grenze, wo ich den ganzen Instrumentalunterricht hinschmeißen wollte, aber ich hab mich durchgebissen und behaupte heute, dass mich der Musikunterricht charakterlich durchaus geprägt hat.
Verfasst: Do Dez 03, 2009 12:47 pm
von clone
notenwart hat geschrieben:jafko hat geschrieben:..wenn er unbedingt ... will...
Genau. Also liegt doch evtl die Crux darin, den Schüler hinreichend zu einer Eigenmotivation zu verführen.
Eben. Das wollte ich mit meinen obigen Ausführungen sagen.
Und zum Thema Klassik bringt viel und ist komplexer. Klar, aber warum muss das am
Anfang sein? (Gut, weil man es später dann doch nicht mehr lernt. Nur lernt man dann häufig weder das eine noch das andere...)
Verfasst: Do Dez 03, 2009 12:53 pm
von notenwart
@clone...
was würdest du für den anfang vorschlagen?
Verfasst: Do Dez 03, 2009 1:06 pm
von chrisb
moin,
es steht und fällt wirklich alles mit der qualität, motivation und kreativität (was gestaltung des unterrichts betrifft) des lehrers.
ich hatte das glück an einen lehrer zu geraden der klassikgitarre studiert hatte, der jahrelang mit ner country band getourt hatte, der mit ner geigerin zigeunermusik machte u.v.m.
er vermittelte seinen schülern von anfang an offen für alle richtiungen zu sein. so zeigte er die strenge klassische technik. machte mit den schülern aber auch blues auf der konzertgitarre im ersten jahr. oder powerchord für metal. usw.
ich hab ihn wirklich sehr geschätzt
leider war ich aber wohl ein schwerer fall.........
Verfasst: Do Dez 03, 2009 1:09 pm
von Juan
Musikunterricht ist nunmal primär eine Sache wo einer spielt und der Rest ruhig ist,
Das sehe ich ganz anders und habe es auch selbst ganz anders erlebt:
Meine ersten Gitarrenstunden hatte ich mit 15 in einer Gruppe von insgesamt drei Schülern. Natürlich mussten wir Stücke üben nach Noten und jeder von uns hat innerhalb der Gruppe sein Maß an Zuwendung bekommen.
Wir haben aber auch immer, von Anfang an zusammengespielt. Manchmal holte der Lehrer die Geige raus und wir haben zusammen richtig gejammt (Daher auch eine gewissie Affinität zum Jazz Manouche).
Dieser Teil des Unterrichts hat mir aus meiner heutigen Perspektive wahnsinnig viel gebracht hat: Gefühl für Timing, Gehörbildung für die Wechsel (die Stücke wurden grundsätzlich ohne Noten gespielt) und ein Gefühl für das Miteinanderspielen - weiß nicht, ob ich mich da jetzt richtig ausdrück?
Und letzlich hat es uns wahnsinnig viel Spass gemacht - und da bin ich wieder bei meinem Thema: Das spielerische Element.
Später war ich dann so weit, dass ich mich selbst dafür entschieden habe, weiterkommen zu wollen und habe dann Unterricht bei einem anderen Lehrer genommen um ausschließlich Technik zu lernen. Das hat dann eine Zeilang gedauert und ab und an hole ich mir immer noch ein "Brushing Up" wenn ich meine, dass es irgendwo klemmt oder ich was neues lernen will.
Die Liebe zum Instrument habe ich aber nicht durch diesen Technikunterricht, sondern durch das "Spielen" bekommen.
Jens
Verfasst: Do Dez 03, 2009 1:11 pm
von clone
notenwart hat geschrieben:@clone...
was würdest du für den anfang vorschlagen?
Gute Frage. Ganz für den Anfang ist das so wirklich schwer zu sagen. Bei mir ging es damit los, dass ich den Klang der mir aufgedrängten Gitarre schlicht nicht mochte, der sagte mir einfach nichts. Also nicht zur Nylongitarre zwingen.
Und dann... . Eventuell eine Mischung zwischen Dingen mit recht schnellen Erfolgen wie Powerchords und anderen Dingen, die eventuell nicht so attraktiv sind (wo zumindest mir aber der Horizont dabei klar sein muss, also was man damit später einmal tolles machen kann) Es ist bei mir jetzt noch so, dass ich z.b. ein recht simples Pickingmuster nicht recht erlerne, weil mich auch der Klang langweilt. Das will ich gar nicht können. Durch eines das mich begeistert beisse ich mich aber durch, obwohl es eigentlich viel schwerer ist... .
Ist aber wirklich schwer so pauschal zu sagen. Menschen sind einfach auch anders und lernen auch anders. Und wenn ich so auf meine Schulkarriere zurückblicke gehörte ich wohl eher nicht zu den ´normalen´ Lernern, insofern bin ich wohl der Falsche für allgemeine Ideen zum Thema... .
Verfasst: Do Dez 03, 2009 1:46 pm
von jafko
@Thorsten. Da rennst du bei mir offene Türen ein.
Ich versuche ja auch,soweit es seriös möglich ist, auf die Wünsche der Schüler einzugehen und ihnen dennoch Technik und Ton beizubringen.
Aber ich kann z.B. vorbereitete Tyrando-Anschläge auch mit "Nothing Else Matters" behandeln.
Damit halte ich doch die Motivation aufrecht und habe die Chance die Wahrnehmung des Schülers zu sensibilisieren, damit er überhaupt erkennt was geht!
Es ist nun mal Fakt, daß viele Jugendliche die Klassik erst mal abstößt, weil die ja sowas von völlig uncool ist.
Wieviele der Stars von Viva und MTV sieht man denn mit einer "Nylonsaiten-Gitarre" auf der Bühne?
Was machst du mit einem 11 jährigen Mädchen, daß sich strikt weigert eine Nylon überhaupt in die Hand zu nehmen, aber unbedingt E-Gitarre lernen will??
Ich hatte mal den Fall. Wir haben uns dann auf eine Westerngitarre geeinigt und mit Akkorden und Liedbegleitung angefangen.
Heute (Vier Jahre später) unterhalten wir uns über die optimale Fingernagelform.
Verfasst: Do Dez 03, 2009 1:52 pm
von notenwart
[quote="jafko"]Was machst du mit einem 11 jährigen Mädchen, ....
Wie machen es denn die Blasinstrumentenlehrer? Also man fängt ja auch nicht mit Saxophon an, meistens mit Blockflöte