Ist Deutschland musikerfeindlich ?

Alles, was mit akustischer Gitarrenmusik zu tun hat und sonst nirgends hineinpaßt

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Holger Hendel
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Beitrag von Holger Hendel »

Jau. Am Selbermachen geht kein Weg vorbei. Ist halt anstrengend. Das war schon erstaunlich da in Verl...Rainman, ihr habt da unten echt was ganz Feines am Laufen, weiter so. Da bin ich echt neidisch. Wobei, mal abwarten. Wenn das hier mit dem Verein und der 500qm Halle klappt dann wird es zwischen HH und Hannover ab nächstem Jahr ein ganz, ganz tolles freies / unabhängiges Veranstaltungszentrum geben. Daumen drücken. ;)

Aber nochmal zum Selbstverständnis der selbsternannten "Kulturelite": Ich habe es noch nie erlebt, dass z.B. ein selbstorganisiertes heavy metal-Festival irgendwo "Kultur" mit im Titel führt. Dabei wird jeder Metaldrummer bestätigen, dass er für das sichere Durchspielen einer doublebass bei 160 bpm mehrere Jahre Übung investieren musste. So wie jeder andere Musiker jeder anderen Stilistik auch für entsprechende Leistungen.

Ich kann bis heute nicht nachvollziehen, wo dieser offensichtliche Bruch in der Musikwelt herkommt. 0 Idee.
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tbrenner
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@ holger und wuchris..

Beitrag von tbrenner »

So ganz verständlich sind mir Eure Aversionen gegen "Kulturinitiativen",
"Kulturvereine" u.ä. nicht. Wenn ich mich bei uns in der unmittelbaren Umgebung so umschaue: gäbe es die Kulturinitiative "Zehntscheuer" im Nachbardorf (5000 EW) nicht, könnte ich nicht in dem prächtig restaurierten alten Fachwerkbau tolle Acts wie "Norland Wind" (mit Ian Melrose), eine Christina Lux oder das formidable Trio "Opportunity"live erleben.
Solche Acts wird kein Musikkneipenwirt, aber eben auch kein kommerzieller Großveranstalter buchen. Sondern genau diese Leute, die das aus Liebe zur Musik, einem Sinn für die Förderung von "hochwertiger Nischenkultur" und der Idee, in ihrem kleinen verschlafenen Provinzdorf was loszumachen heraus einfach tun. Es kommen da in der Regel auch mehr als die o.a. zitierten 5 Leute - zwischen 90 - 200 Leuten haben die da immer + das passt dann genau. Ich ziehe meinen Hut vor denen + sage mindestens mal danke. (Außer ein paar Freigetränken und dem Spaß an der Sache, ziehen die da persönlich überhaupt keinen Nutzen draus.) Der Wolf hier aus dem Forum ist mit seinem "Kultur im Quadrat" übrigens auch so ein Protagonist, der das mit wenigen Leuten seit Jahren ganz erfolgreich und mit viel Liebe zur Sache durchzieht.

Und was die Bemerkungen zu einzelnen Typen im Publikum angeht: es sind die ganz normalen Leute aus der Gegend ( vielleicht mit einem Funken mehr an Musikinteresse als der Rest), die da hingehen. Von elitärem Gehabe finde ich da recht wenig vor. Müsste man wohl eher bei den Bayreuther Festspielen suchen......

Nee, also diese Abneigung verstehe ich gerade bei Euch als aktiven Musikern wirklich nicht - daß man damit selten ganz junges Publikum anzieht, o.k. - aber dürfen nicht auch "wir Mittelalterlichen" nicht noch irgendwo unsere musikalischen Nischen haben, ohne für jedes nette Konzert gleich eine größere Reise antreten zu müssen ?

Grüssle,

tbrenner :wink:
Zuletzt geändert von tbrenner am So Aug 24, 2014 11:35 am, insgesamt 1-mal geändert.
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landmesser
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Beitrag von landmesser »

Holger Hendel hat geschrieben: Ich kann bis heute nicht nachvollziehen, wo dieser offensichtliche Bruch in der Musikwelt herkommt. 0 Idee.
Metall ist eine eigene Szene. Die wird auch gefördert, hier in der Gegend durch das Jugendzentrum, was sowohl Übungsräume bietet als auch Konzerte organisiert. Unser Kulturverein ist allerdings voll auf Klassisches konzentriert.

Musik findet im Übrigen auch noch im kirchlichen Raum statt. Da werden viele Möglichkeiten geboten, wenn Pastor/Kantor mitmachen.

Viele Grüße
landmesser
Frei Cörper Kultur auch für Dicke
wuchris
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Beitrag von wuchris »

Musizieren in Landessprache ist z.B. in Bayern schon nicht mehr so einfach. In München, so werde und wurde ich belehrt, ist man sich eh sicher, dass Bairisch nur noch vom Proletariat, vom dreckigsten Bauer und im hintersten, tiefen Wald gesprochen wird. Die Landessprache hört man sich auf Kulturveranstaltungen an oder wenn man einmal im Jahr "auf d'Wiesen" geht und einen auf Bayer macht. Mit der Sprache geht auch die Kultur den Bach runter. Kluge Leute meinen, das sei richtig so, weil dieses Kauderwelsch eh keiner versteht, aber speziell in anderen Ländern, die ihr Kauderwelsch sogar durch Behörden pflegen lassen, schaut die Sachlage komischerweise anders aus.
Ich erkenne hier eine Verbindung hinsichtlich der Volksmusik, die früher sicherlich in famliären Kreisen noch öfter oder überhaupt gesungen wurde. Was soll man denn zu solchen Anlässen singen, wenn nicht die Volksweisen, die es nicht mehr gibt, weil sie angeblich keiner mehr braucht oder versteht?
Meine Meinung.

Die selbsternannte Kulturelite geht nicht der Musik wegen hin, sondern weil es sich schickt.

Nochmal: ich finde nicht, dass Deutschland generell ein musikerfeindliches Land ist. Die einzelnen Bundesländer kenn ich nicht alle, aber zumindest hier in Bayern hab ich noch nicht erlebt, dass in einem Wirtshaus oder in einer Kneipe (wo es halt passt) Musiker nicht gut empfangen und behandelt worden wären. Wenn natürlich Geld in's Spiel kommt und die Brotzeit und das Freibier bei spontanen, nicht gebuchten Einlagen nicht mehr reichen, schaut die Welt wieder anders aus.
Auch so, stelle ich schon fest, dass viele Wirte den Wert guter Musik erkannt haben und das auch gut entlohnen. Wie hier schon jemand geschrieben hat: Qualität hilft hier unwahrscheinlich weiter.
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Holger Hendel
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Beitrag von Holger Hendel »

Nee, also diese Abneigung verstehe ich gerade bei Euch als aktiven Musikern wirklich nicht [...]

aber dürfen nicht auch "wir Mittelalterlichen" nicht noch irgendwo unsere musikalischen Nischen haben, ohne für jedes nette Konzert gleich eine größere Reise antreten zu müssen ?
Haja, Du - das ist bei mir ja nicht über Nacht so gekommen. Das ist ein Prozess der einige Jahre gedauert hat und ich möchte doch auch niemandem sein Hobby madig machen oder ganz allgemein etwas in Frage stellen. Ein lieber Kollege hier aus der Gegend hat es mal so gesagt (zu seiner Freundin, im Beisein von Mitmusikern; eine sehr lustige Situation, wenn man dabei war): "Ich bin jetzt Anfang 50! Da weiß man halt irgendwann, was man spielen will und was nicht. Ich will nun mal keinen Blues spielen! Wenn die Jungs das wollen sollen sie nur machen, ich bin dann halt mal kurz weg, schließlich muss ja auch neuer Kaffee gekocht werden...". ;)

Ich bin zwar etwas jünger und es ist auch gewiss ein anderes Thema, doch meine persönliche Bereitschaft mich in diese pseudoelitären Kreise mischen zu wollen ist halt bei 0. Da fühle ich mich fremd. Dennoch freue ich mich natürlich über jede geglückte Veranstaltung mit "Kultur..." im Titel, wenn es den Leuten halt gefällt soll es so sein. Die von mir durchgeführten Veranstaltungen kommen jedenfalls ohne aus und das wird auch weiterhin so sein. "Kultur" sollte man erkennen wie man einen guten Witz versteht. Wer mag diesen peinlichen Moment, wenn jemand einen Witz erklären muss. Spannend fände ich wirklich, Besucher entsprechender Veranstaltungen einmal definieren zu lassen, was "Kultur" für sie bedeutet. Und analog die Besucher einer wilden Rockparty in irgendeiner Scheune definieren lassen, was "Rock´n Roll" für sie meint.
Die selbsternannte Kulturelite geht nicht der Musik wegen hin, sondern weil es sich schickt.
Ich glaube, dass fasst es für mich ganz gut zusammen. Ja - so war das irgendwann bei mir. Ich hatte schlichtweg keinen Schub mehr auf solche Gesellschaft. Das muss so mit Anfang 20 gewesen sein. Viel besser: Mit nette Kollegen im Keller hocken und Bluegrass spielen. 8)
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wuchris
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Beitrag von wuchris »

Ich hab keine Abneigung gegen die Kulturvereine /-initiativen etc. sondern finde es nur schade, dass dem Konsumenten alles auf "Kultur" aufbereitet und dargeboten werden muss.
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Holger Hendel
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Beitrag von Holger Hendel »

meanwhile in einem Wildpark in meiner Nähe, heute Nachmittag gegen 1630 Uhr. Während für die einen der Wildparkbesuch daselbst schon "Kultur" ist wollen offenbar andere erst die Lust darauf wecken. Sehr seltsam, das alles. Ich würde jeder Redaktion, jedem Lektor ans Herz legen, die Verwendung des Begriffs "Kultur" mehrfach zu prüfen und ggf. davon abzusehen, ihn überhaupt zu verwenden - auch in propagandataktischer Hinsicht (oder kann jemand von euch das Kleingedruckte lesen? ;) )...egal, Hauptsache, es geht dabei um Kultur! ;)

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Davanlo
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Beitrag von Davanlo »

Was man hört ist nix neues ... hab vor kurzem ein Video gesehen über Kanada, und die Leute erzählten das selbe Lied, Kneipen Gigs, mal gut mal schlecht ... Eigenarbeit und Eigenproduktion ...

Feindlich oder eher Gleichgültig ... "sei froh das du Musik machst, ist doch ein tolles Hobby" ... und "warum soll ich für dein Hobby bezahlen" hab ich schon gehört ...
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Holger Hendel
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Beitrag von Holger Hendel »

@Principal: Da hat sicher jeder eine andere Grenze, ab wann etwas als störend (oder befremdlich...) empfunden wird. Ich fände es z.B. hochgradig seltsam, wenn jedes Buch meiner kleinen Bibliothek oben über dem Titel das Wort "Buch" stehen hätte.
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maxpo
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Beitrag von maxpo »

Die Zeiten ändern sich einfach wie auch die Arten der Freizeitgestaltung

Mehrmals die Woche der regelmäßig in der gleichen Musikkneipe seine Freizeit verbringen als Teil einer örtlichen Szene ist aus der Mode gekommen wie auch der dortige Alkoholverzehr von leicht bis heftig. Was in traditionellen Studienorten noch vorhanden ist an Kneipenszene ist andernorts abhanden gekommen.

Weit irgendwo hin fahren, dann ist die Stimmung dort nicht so richtig überzeugend wie auch möglicherweise das Lifemusikprogramm, ein paar Bierchen geht auch nicht wegen der Rückfahrt, tja

Der Nachwuchs bevorzugt Events und Großveranstaltungen im Rudel und mit Giga-XXL-Programm und dann darf es auch was kosten.
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scifi
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Beitrag von scifi »

Holger Hendel hat geschrieben:@Principal: Da hat sicher jeder eine andere Grenze, ab wann etwas als störend (oder befremdlich...) empfunden wird. Ich fände es z.B. hochgradig seltsam, wenn jedes Buch meiner kleinen Bibliothek oben über dem Titel das Wort "Buch" stehen hätte.
Vielleicht geht es dir auch eher um die Reibung zwischen E- und U-Kultur?
Die stehen sich ja immer noch oft wie die judäische Volksfront und die Volksfront von Judäa gegenüber.
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Holger Hendel
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Beitrag von Holger Hendel »

@scifi: Guter Vergleich! ;)
Vielleicht geht es dir auch eher um die Reibung zwischen E- und U-Kultur?
Ich ziehe noch mal das "alte" Beispiel mit dem Wilkie-Konzert heran: Für mich war das U-Kultur. Schon durch die flotten Sprüche von Colin, die endlosen Ansagen, das hatte z.T. Schneider´sche Züge. Für...meinen Nachbarn und vll. noch vier, fünf andere auch. Der Rest wähnte sich mit hoher Wahrscheinlichkeit auf einer Veranstaltung aus dem anderen Lager.

Tja...was tun? ;)
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Holger Hendel
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Beitrag von Holger Hendel »

Ohje. Gerade auf der Thomann-Facebookseite gesehen:

"Wenn ich das Wort "Kultur" höre, entsichere ich meine Browning." Lemmy Kilmister

Das kann ja nicht stimmen, das Zitat ist schließlich von Johst. Dennoch habe ich etwas weitergesucht und das gefunden:
[...] Lemmy: Nein. Der gehört dazu. Und je älter wir werden, desto größer wird die Wahrscheinlichkeit, daß er eintritt. Das ist alles Empirie. Ich bin nicht mehr 21 Jahre jung. Und ehrlich gesagt, bin ich lieber 61 und weise als 21 und hohl. Für wen schreiben Sie eigentlich?

Für den Stil-Teil oder die Kultur der ...

Lemmy: ... Kultur? Wenn ich das Wort "Kultur" höre, entsichere ich meine Browning!

Stammt der Satz von Ihnen?

Lemmy: Nein, der wird Hermann Göring zugeschrieben. Berühmtes Zitat. Aber keine Sorge: Ich bin nicht Göring.
(Interview in "Die Welt" von 2005)

Das Wort "Kultur" beschäftigte auch schon andere. ;)
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Davanlo
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Beitrag von Davanlo »

Stammt aus einem Theater-Stück ... also Kultur, also irgendwie ironisch oder "Inception" :)
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Holger Hendel
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Beitrag von Holger Hendel »

Achtung, Achtung! Am Ende dieses Links wurde eine erhöhte Konzentration von "Kultur" festgestellt:

http://schulkonzert.ard.de/ardschulkonzert/

(Keine Sorge, Linkbenutzung kostet nichts; wurde schon durch unseren Rundfunkbeitrag bezahlt - im Voraus, quasi. Wie das immer hinkriegen...Wahnsinn!).

Ich komme unterhaltsamen Fragen zuvor: Ich mag Dvořák, der ist nämlich Sohn eines Schlachters, genau wie ich.
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