Die Sache mit der ehrlichen Musik -
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Re: Die Sache mit der ehrlichen Musik -
Ich bin ja Sprachwissenschaftler und habe das Wort Kommunikation im Sinne der Kommunikation von Menschen gemeint. Dass man das anders sehen kann, ist okay, solange wir uns darüber verständigen, was wir meinen. Wir sind also gar nicht so weit voneinander entfernt.
Re Werke, die zu Lebzeiten nicht aufgeführt werden: das bringt die Diskussion auf ein anderes Niveau. Ich war bisher bei Musik, die live oder als Aufnahme aufgeführt wird. Ohne darüber streiten zu wollen, ob das Manuskript einer Symphonie schon Musik ist, mache ich geltend, was Osip Mandelstam schrieb. Er vergleicht seine Poesie mit einer Flaschenpost, vor der er nicht weiß, ob und wann sie jemand erreicht. Gerade die Offenheit ist für ihn spannend - sein Leser legt in 100 Jahren was ganz anderes in den Text als er auch nur erahnen konnte. Insofern ist auch eine nicht aufgeführte Symphonie eine (potentielle) Mitteilung. Und erzähle mir keiner, Bruckner habe keine Aufführung gewollt. Aber wir kommen vom Thema ab.
Ehrlichkeit ist nicht an technischen Merkmalen festzumachen, so weit dürften wir sein. Sie kann auch nicht völlig in der Mitteilung begründet liegen. "Heute ist Samstag." Hätte ich den Satz gestern geschrieben, wäre er falsch gewesen. Nun beschränkt sich eine Mitteilung nicht auf den reinen Informationsgehalt, der (s. Strawinsky) bei Musik eh nicht zu fassen ist, sondern umfasst auch, was der Urheber beabsichtigt hat und wie es beim Adressaten ankommt. Nur in dieser Hinsicht kann Ehrlichkeit überhaupt ein sinnvolles Konzept sein. Mache ich dem anderen etwas vor? Als Musiker in der Aufführung ist das sicher ein anderes Problem als als Komponist. Ich bin als aufführender Musiker sicherlich nicht immer in der Stimmung, die meine Musik beim Hörer auslöst. Kann ich auch gar nicht sein, weil ich das gar nicht so genau weiß. Als Minimum will ich Musik spiele, die mir gefällt und die hoffentlich auch dem Hörer gefällt, also ein gemeinsames Erlebnis auslösen, das wir beide hinterher ähnlich bewerten. Konkret will ich, dass wir beide die Musik schön finden, ich also nicht zum Beispiel im Altenheim etwas spiele, "was für die alten Omas reicht", und auch nicht etwas spiele, von dem ich weiß, dass es dem Hörer nicht gefallen wird (Black Metal). Wobei ich auch schon Volksmusik in Altenheim gespielt habe, weil ich weiß sie werden es lieben, und mich selbst an der Reaktion gefreut habe, auch wenn es sicherlich nicht meine Musik war. Nazilieder hätte nie gespielt, egal wie viel Spaß die alten dran gehabt hätten.
Reicht das schon für Ehrlichkeit?
Viele Grüße Stephan
Re Werke, die zu Lebzeiten nicht aufgeführt werden: das bringt die Diskussion auf ein anderes Niveau. Ich war bisher bei Musik, die live oder als Aufnahme aufgeführt wird. Ohne darüber streiten zu wollen, ob das Manuskript einer Symphonie schon Musik ist, mache ich geltend, was Osip Mandelstam schrieb. Er vergleicht seine Poesie mit einer Flaschenpost, vor der er nicht weiß, ob und wann sie jemand erreicht. Gerade die Offenheit ist für ihn spannend - sein Leser legt in 100 Jahren was ganz anderes in den Text als er auch nur erahnen konnte. Insofern ist auch eine nicht aufgeführte Symphonie eine (potentielle) Mitteilung. Und erzähle mir keiner, Bruckner habe keine Aufführung gewollt. Aber wir kommen vom Thema ab.
Ehrlichkeit ist nicht an technischen Merkmalen festzumachen, so weit dürften wir sein. Sie kann auch nicht völlig in der Mitteilung begründet liegen. "Heute ist Samstag." Hätte ich den Satz gestern geschrieben, wäre er falsch gewesen. Nun beschränkt sich eine Mitteilung nicht auf den reinen Informationsgehalt, der (s. Strawinsky) bei Musik eh nicht zu fassen ist, sondern umfasst auch, was der Urheber beabsichtigt hat und wie es beim Adressaten ankommt. Nur in dieser Hinsicht kann Ehrlichkeit überhaupt ein sinnvolles Konzept sein. Mache ich dem anderen etwas vor? Als Musiker in der Aufführung ist das sicher ein anderes Problem als als Komponist. Ich bin als aufführender Musiker sicherlich nicht immer in der Stimmung, die meine Musik beim Hörer auslöst. Kann ich auch gar nicht sein, weil ich das gar nicht so genau weiß. Als Minimum will ich Musik spiele, die mir gefällt und die hoffentlich auch dem Hörer gefällt, also ein gemeinsames Erlebnis auslösen, das wir beide hinterher ähnlich bewerten. Konkret will ich, dass wir beide die Musik schön finden, ich also nicht zum Beispiel im Altenheim etwas spiele, "was für die alten Omas reicht", und auch nicht etwas spiele, von dem ich weiß, dass es dem Hörer nicht gefallen wird (Black Metal). Wobei ich auch schon Volksmusik in Altenheim gespielt habe, weil ich weiß sie werden es lieben, und mich selbst an der Reaktion gefreut habe, auch wenn es sicherlich nicht meine Musik war. Nazilieder hätte nie gespielt, egal wie viel Spaß die alten dran gehabt hätten.
Reicht das schon für Ehrlichkeit?
Viele Grüße Stephan
Re: Die Sache mit der ehrlichen Musik -
das stimmt so nur, wenn man die "ganze Sache" rein ergebnisorientiert betrachtet und den Entstehungsprozess als wesentlichen Bestandteil des Gesamtwerks ignorierttired-joe hat geschrieben:Paradise, Fehler als Kennzeichen "ehrlicher" Musik zu sehen ist nicht plausibel. So wie es die Digitalisierung gestattet, Fehler von Musikern zu korregieren, z. B. Timingfehler (die Funtion nennt sich Quantisierung und ist in jeder DAW eingebaut), so gibt es auch eine Funktion, die Fehler in Musik, sei es von Menschen eingespielte oder elektronische, einfuehrt. Nennt sich Humanization und ist Bestandteil jeder besseren DAW. Beide Funtionen gehoehren zur Routine im Studiobetrieb. Ob eine Maschine oder ein Mensch den Fehler macht, das Resultat ist nicht zu unterscheiden.
Joe

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Loef Tera
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"Lieber politisch korrekt als moralisch infantil" (Carolin Emcke)
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Re: Die Sache mit der ehrlichen Musik -
Ja, meiner Meinung nach reicht das. Ich habe auch schon im Altenheim Musik gemacht die mir eigentlich nichtdocsteve hat geschrieben:
Wobei ich auch schon Volksmusik in Altenheim gespielt habe, weil ich weiß sie werden es lieben, und mich selbst an der Reaktion gefreut habe, auch wenn es sicherlich nicht meine Musik war. Nazilieder hätte nie gespielt, egal wie viel Spaß die alten dran gehabt hätten.
Reicht das schon für Ehrlichkeit?
Viele Grüße Stephan
liegt, aber in diesem Moment hat es mir wirklich Freude gemacht, weil ich gespürt und gesehen habe dass es den
Menschen dort sehr gefällt.
Ich singe z.B. keine religiösen Texte, weil ich mich damit nicht identifizieren kann.
Zum Thema Tonstudio sehe ich jetzt ein, dass der Mensch der das was der Musiker vorher abgeliefert
hat bearbeitet, ja eigentlich auch ein Künstler ist.
Wenn er mit Freude und Kreativität abmischt, dann ist das ehrlich.
L.G. Simone
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Denken ist allen erlaubt, vielen bleibt es erspart.
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Re: Die Sache mit der ehrlichen Musik -
Ich habe leider die Zeitschrift nicht mehr, aber ich las mal, dass Musikwissenschaftler untersucht haben, dass gewisse Melodie- bzw Harmoniefolgen bei allen Zuhörern egal ob sie aus Asien, Afrika oder Europa kommen, die gleichen Gefühle hervorrufen. Da würde ich dann schon von echt und auch vom Ausdruck von Gefühl sprechen.tele hat geschrieben:Also Musik kann keine Gefühle ausdrücken, ob echt oder unecht.
Ansonsten würde ich vielen Vorrederinnen und Vorredner zustimmen - die Musik, hinter der man selbst steht (oder stand) ist als ehrlich anzusehen.
Und (@jayminor) ein guter Schauspieler spielt ja Trauer oder Wut nicht nur vor, indem er im Augenblick die Gesten der Trauer und Wut einfach abspult. Ein guter Schauspieler versetzt sich ja in die Person die er darstellt hinein; er nimmt eine flapsige, melancholische, egoistische.. Haltung an, um gut spielen zu können. So wird der gute Musiker doch im Augenblick der Präsentation eines Stückes über den Frühling bspw sich in seinem Kopf auch ein Bild von Frühling vorstellen und nicht einfach nur (roboterähnlich) die Noten in manuelle Aktivität umsetzen.