Natürlich schöpft Dylan aus der Tradition - wer, wenn nicht er? Das Argument läuft auch eher darauf hinaus, dass er, wie du ganz richtig sagst, der große Popularisator einer bestehenden, verhältnismäßig marginalen Traditionslinie war. Wie bekannt war Woody Guthrie zu Lebzeiten? Würden wir ihn ohne Dylan heute noch zur Kenntnis nehmen?Michael S hat geschrieben: Dylan ist auch keinesfalls vom Himmel gefallen, um uns vorzuführen, dass Songtext ein literarisches Niveau haben können, wie uns ein Herr Niedecken einreden will:
Nicht umsonst hat Dylan auf seinem ersten Album einen Song über Woody Guthrie veröffentlicht und hat Woody an seinem Krankenbett besucht."Sein Einfluss auf die Entwicklung der Rock’n’Roll-Lyric ist immens. Ohne ihn hätten vermutlich sogar die Beatles und und die Rolling Stones weiterhin Boy meets Girl-Texte gesungen." – Quelle: http://www.express.de/24917672" onclick="window.open(this.href);return false;" onclick="window.open(this.href);return false;" onclick="window.open(this.href);return false;" onclick="window.open(this.href);return false;" ©2016
Dylan hatte natürlich sehr großes Talent, das will ich ihm bestimmt nicht abschreiben. Aber er war nicht der einzige Singer/Songwriter
zu Beginn der 60ziger Jahre, der anspruchsvolle Lyrics und großartige Songs geschrieben hat. Dylan hatte im Unterschied zu anderen ausgezeichneten
Songwritern auch das nötige Glück, so bekannt zu werden.
Niedecken hat insofern Recht, als dass belegt ist, dass die Beatles unter Dylans Einfluss anfingen, auf die Texte zu achten.
Das Argument zielt auf die Darreichungsform, nicht auf den Inhalt. Tristram Shandy ist bei allem formalen Experiment ein Buch. Auch Svetlana Alexiewitsch schreibt Bücher (bei dem Beispiel bitte berücksichtigen, dass eine russische Publikation, auch eine liberale, eine regimekritische Autorin wie Alexiewitsch nochmal ganz anders einordnet - aber das führt nun wirklich zu weit).Michael S hat geschrieben:Den ersten radikal experimentellen Roman hat es vor über 250 Jahren gegeben (Laurence Sterne - The life and opinions of Tristram Shandy). Literaturwissenschaftler und - Kritiker waren immer gezwungen, sich mit literarischen Experimenten jeglicher Art auseinanderzusetzen. Über2. ist Literatur mehr als nur Worte auf gedrucktem Papier, während die Literaturkritik teils immer noch mit einem Literaturbegriff hantiert, an dem schon ganz andere Nobelpreisträger locker vorbeigezogen sind. Die Genre-Einordnung in Lyrik, Prosa, Dramatik ist auch schon 200 Jahre alt und trägt z.B. auch der Nobelpreisträgerin des letzten Jahres, Svetlana Alexiewitsch, keine Rechnung, die in ihren Büchern im Wesentlichen Berichte und Erzählungen anderer dokumentiert.
die Reportage als literarische Form gibt es Regale voll Bücher. Was willst du uns also mit deinem 2. sagen?
Dylan schreibt aber hauptsächlich Songs, eben gerade keine Bücher. Für Tarantula würde ihm niemand den Preis verleihen wollen, obwohl gerade das Buch ganz klassisch unter "experimentelle Literatur" fiele. Ausschlaggebend ist in dieser Argumentation gerade eben nicht das literarische Experiment, sondern das Medium (das ja wiederum die Message ist, wie Marshall McLuhan sagt).
Das also wolle die diese Zeilen sagen

Viele Grüße, Stephan
(PS nicht weil ich mich in irgendeiner Form angegriffen fühle, sondern um mit offenen Karten zu spielen: der Doc kommt aus der Literaturwissenschaft. Eine gewisse Kenntnis der Materie als Grundlage für die weitere Diskussion ist also vorhanden.)