Klassik und Fingerstyle

Alles, was mit akustischer Gitarrenmusik zu tun hat und sonst nirgends hineinpaßt

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Manati
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Beitrag von Manati »

tired-joe hat geschrieben: Inovative Stahlsaitengitarristen hatten keine klassische Ausbildung, behaupte ich mal einfach. Es waren Audididakten. Mit inovativ meine ich Leute wie John Fahey oder Robert Johnson.

Fuer mich sind das zwei Welten, zwei Mentalitaeten, die nicht zusammenpassen.
Da möchte ich aber vehement widersprechen und ein Gegenbeispiel nennen: Michael Chapdelaine steht mit beiden Füßen (und Händen) fest in beiden Welten. Natürlich kann das zusammenpassen!
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tired-joe
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Beitrag von tired-joe »

Ich wusste, das mein posting auf Widerspruch stoesst, und das ist auch gut.
jafko hat geschrieben: Hüstel... Wenn ich also klassisch ausgebildet bin, bin ich nicht mehr in Lage was anderes außer Albeniz oder Carulli zu spielen???
Bist du erkaeltet? Dann gute Besserung. Das ist deine Interpretation meines postings. Dies habe ich allerdings an keiner Stelle so gesagt.

Das Spielen ist erstmal das Erzeugen von Toenen und das kann man auf alle moeglichen Weisen machen. Da gibt es a priori weder falsch noch richtig, solange man das gewuenschte erreicht und man mit dem Ergebniss zufrieden ist. Aber gerade im klassischen Bereich wird sehr viel Wert auf Formalitaeten gelegt, und das liegt in der Natur eines im weiten Sinne akademischen Zugangs zu einem Musikinstrument.

Ein klassisch ausgebildeter Gitarrist kann natuerlich auch Robert Johnson spielen, zumindest kann er die gleichen Toene wie Robert Johnson erzeugen. Nicht mehr und nicht weniger. Aber dazu ist keine klassische Ausbildung noetig.
jafko hat geschrieben: Und einer der Innovativsten auf der Steelstring ist sicher Claus-Bösser Ferrari und der hat ne Klassische Ausbildung...
Den kenn ich nicht. Ich kenne aber Ralph Towner, der mit klassischer Technik sehr schoen auf einer 12-saitigen spielt.

Joe
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woody
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Beitrag von woody »

Oh, grade gesehen, dass Antoine Dufour auch erst klassische Gitarre studiert hat und dann auf Fingerstyle umgestiegen ist.

Er sagt, dass er auf der Klassischen viel über en guten Ton und kräftiges Spielen gelernt hat.

Das klingt doch schon mal ganz gut für mein Vorhaben :D

Hier der Link

http://www.youtube.com/watch?v=-o2XKFfTMH0
Spong
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Beitrag von Spong »

Klassische Gitarre ist doch eine supste Vorraussetzung ... und den wenigen innovativen Autodidakten diesen Welt steht eine ARMEE von "gescheiterten" Autodidakten gegenüber, die sich Fehler oder falsche Haltungen antrainiert haben ...
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jafko
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Beitrag von jafko »

tired-joe hat geschrieben: Das Spielen ist erstmal das Erzeugen von Toenen und das kann man auf alle moeglichen Weisen machen. Da gibt es a priori weder falsch noch richtig, solange man das gewuenschte erreicht und man mit dem Ergebniss zufrieden ist. Aber gerade im klassischen Bereich wird sehr viel Wert auf Formalitaeten gelegt, und das liegt in der Natur eines im weiten Sinne akademischen Zugangs zu einem Musikinstrument.
Ich will ja gar nicht abstreiten, daß es so etwas wie einen "Akademischen Zugang" zum Instrument gibt. Ich bestreite auch nicht, daß viele gute Musiker Autodidakten waren/sind.
Aber der Unterschied ist doch nicht darin begründet, ob ich jetzt ne Steelstring oder ne Nylonstring spiele. Und mehr oder weniger Innovativ bin ich deswegen auch nicht.
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TorstenW
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Beitrag von TorstenW »

tired-joe hat geschrieben: Aber gerade im klassischen Bereich wird sehr viel Wert auf Formalitaeten gelegt, und das liegt in der Natur eines im weiten Sinne akademischen Zugangs zu einem Musikinstrument.
Was sind denn Formalitäten auf der klassischen Gitarre?
Das ist mir nicht wirklich geläufig..


Ansonsten möchte ich noch anmerken, dass man eine "klassische Ausbildung" wie es hier alle so schön nennen, doch nicht nur auf rein technische Aspekte reduzieren sollte. Wer auf ner klassischen Gitarre nen schönen Ton erzeugt, kann das auch auf ner Westerngitarre, aber umgekehrt genauso. Das ist ja im wesentliche keine Spieltechnik die sich groß abgrenzt.

Aber viel wichtiger als technische Aspekte sind das Verständnis der Musik.
Warum sind manche Töne wichtiger als andere, welche Harmonien entstehen und was könnte der Komponist damit bezweckt haben die Musik gerade so zu gestalten wie er es getan hat?

Innovativität steht aber auf nem völlig andern Blatt und ist eine sehr individuelle Sache. Der eine hat es, der andere nicht. Das hängt aber nicht zwangsläufig mit der Art der Ausbildung zusammen.
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tired-joe
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Beitrag von tired-joe »

Nachdem ich wohl mit meinem posting etwas provoziert habe, moechte ich doch nochmal eine Erklaerung versuchen.

Ich selbst habe 4 Jahre lang klassischen Gitarrenuntericht gehabt. Das war Ende der 60er/Anfang der 70er Jahre. Den ersten Untericht hatte ich mit 14. Mein Niveau nach vier Jahren war so, dass ich alle Villa Lobos Preludios spielen konnte. Nun waren das andere Zeiten, es gab kein Internet mit seiner Informationsflut, die Spieltechnik lernte man entweder durch ausprobieren, von einem Lehrer, durch Ausfragen von Musiker, und durch Zuschauen bei Konzerten. 1974 erlebte ich ein Konzert von Marcel Dadi (der damals noch ziemlich unbekannt war). Der machte nun alles anders, als ich es gelernt hatte. Der benutzte den Daumen zum Greifen, hatte irgendwas aus Plastik zum Zupfen an den Fingern, legte den kleinen Finger der Zupfhand auf die Gitarrendecke, hatte die Gitarre auf dem rechten Oberschenkel...kein Fusshocker. Aber er bekam den Sound und spielte so, wie ich es eigentlich immer wollte. Alles klang unheimlich leicht (war es aber nicht). Ich habe dann quasi nochmal neu angefangen, mit Fingerpicks, habe mir den zwanghaften Wechselschlag abgewoehnt und das Apoyando. Habe gelernt, den Daumen der linken Hand zum Greifen zu benutzen....nur den rechten kleinen Finger, den lege ich bis heute nicht auf :wink:

Fuer mich persoenlich ist das die bessere Technik, eine Technik, die so sicher nicht am Konservatorium gelehrt wird. Das manche das hier anders sehen, liegt in der Natur der Gitarre. Sie ist wohl eins der vielseitigsten Instrumente und genauso vielseitig ist die Art, sie zu spielen. Natuerlich kann man mit klassischer Gitarrentechnik Merle Travis spielen, genauso kann man mit Fingerpicks ein Fernando Sor Andante zupfen. Die Frage ist, ob das der Musik dann gerecht wird - und das ist dann wohl dem individuellen Geschmack ueberlassen.

Joe
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RB
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Beitrag von RB »

Die Diskussion gleitet ins Spekulative ab, das gilt sowohl für die angebliche Begrenzung der Fähigkeiten durch die eine oder andere Spielweise, als auch für das "Heer der gescheiterten Autodidakten". Es gibt nach meiner Kenntnis keine verläßliche Grundlage für eine Behauptung, aus der sich ergäbe, ob es mehr gescheiterte Autodidakten oder mehr gescheiterte Klassikschüler gibt. Alles Kokolores, würde meine Oma sagen und sie hätte recht.

Niemand sollte aus der einen oder anderen Herangehensweise eine Ideologie machen, die mit Alleingeltungsanspruch zu vertreten ist. Jede Herangehensweise hat ihre Beschränkungen und Begrenzungen und ich halte es für sehr gut möglich, in beiden angesprochenen Welten zuhause zu sein.

Den Klassikern wird gelegentlich vorgeworfen, sie erhöben bestimmte allgemeine Lehren zum Dogma und nach meinem Empfinden ist dieser Vorhalt gelegentlich auch berechtigt. Einmal erklärte mir einer, ich würde meine Gitarre "falsch halten" und die Haltung meiner rechten Hand sei "falsch". Ein anderer, der bei zwei Bekannten saß und dem man von meinen Künsten berichtet hatte, forderte mich auf, etwas zu spielen und ich spielte ein paar technisch eher schwere Sachen, damit er nicht auch auf die Idee kommt, mir erklären zu wollen, wie man die Gitarre "richtig" hält. Nein, er meinte "he, wir könnten ja mal was zusammen machen". Meine Bekannten berichteten mir, wie er zuvor auf die Schilderungen meiner Spielkunst reagiert hatte: "Fingerpicking ? Was ist das ?" "Stücke, bei denen man, ähnlich der klassischen Literatur eine Melodie vor einer Begleitung oder auch mehrere Stimmen führt" "Das sind doch sicher nur simple Akkordbrechungen" "nein, hörs Dir halt nachher an".

Besonders bemerkenswert erschien meinen Bekannten die recht selbstverständliche Annahme, so ein selbstgebildeter Picker könne bestenfalls "simple Akkordbrechungen" spielen.

Andererseits: Wenn dann behauptet wird, daß was Fahey und die anderen tun, sei mit der klassischen Herangehensweise gewissermaßen unerreichbar, beschreitet man einen ähnlichen Weg: Abgrenzung, Lagerbildung.

Ich glaube, daß jeder alles spielen kann, wenn er will und sich dahinter klemmt. Mir ist klar, daß ich mit meiner Haltung auf der klassischen Gitarre und mit dem entsprechenden Repertoire keinen vernünftigen Klang hinbekäme, also würde ich es anders machen. Der Klassiker, der Fahey oder ähnliches spielen will, wo mit der rechten Hand geknetet, gedrückt, gedämpft und mit ternärer Betonung gespielt wird, wird sich mit der Spielweise auseinandersetzen und sie anwenden.
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chrisb
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Beitrag von chrisb »

Niemand sollte aus der einen oder anderen Herangehensweise eine Ideologie machen, die mit Alleingeltungsanspruch zu vertreten ist. Jede Herangehensweise hat ihre Beschränkungen und Begrenzungen und ich halte es für sehr gut möglich, in beiden angesprochenen Welten zuhause zu sein.
joo, seh ich auch so. und ich bin immer noch dankbar das ich ein paar jahre unterricht bei einem klassiklehrer haben durfte der mir u.a. auch blues auf der klassikgitarre gezeigt hat. ansonsten halte ich meine eigene beschränkungen für die größten :lol:
chrisb
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