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Veröffentlichungen 1.

Unter Beteiligung von Vertretern des Thüringer Schützenbundes, des Wartburg-Schützenkreises, Mitgliedern des Deutschen Bundestages, des Thüringer Landtages und des Thüringer Innenministers fand am 19.01.2001 ein Fachgespräch zum Thema "Waffenrechtsnovelle", statt.

Das Treffen wurde mit dem folgenden Eingangsreferat von Rechtsanwalt Reinhard Becker eröffnet.

 

Referat zur Novelle des Waffenrechts
zur Eröffnung des Fachgesprächs Waffenrecht
am 19.01.2001
(c) Becker & Becker 2001

 

Vorbemerkung

Sehr geehrter Herr Innenminister,

sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete,

Vertreter des Schießsports und des Forum Waffenrecht,

ich möchte zunächst allen Anwesenden für die Bereitschaft danken, gemeinsam ein Fachgespräch über das Thema Waffenrecht zu führen und ich möchte dafür danken, daß mir in diesem Rahmen die Gelegenheit eingeräumt wird, in die nicht einfache Materie einzuführen und insbesondere die in der politischen Diskussion angeführten Argumente für eine Novellierung des Waffengesetzes von 1974 zu hinterfragen.

Das heutige Gespräch steht in einem aktuellen Kontext: Das Waffenrecht soll novelliert werden. Es gibt den Referentenentwurf eines neuen Waffengesetzes, der zwischen zeitlich den Bundesländern - dort maßgeblich den Innenministerien - zugeleitet worden sein soll, um diesen Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben. Insofern betrachte ich den heutigen Gedankenaustausch als Anlaß, einige Informationen und Anregungen mitzugeben, die in der nicht ganz einfachen Materie eine Entscheidungshilfe sein können.

Im vorvergangenen Jahr hatte es bereits einen Referentenentwurf gegeben, den die schwarz-gelbe Bonner und Berliner Koalition noch vorbereitet hatte. Der Freistaat Thüringen hatte seinerzeit dem Bundesinnenminister das volle Einverständnis mit dem Entwurf mitgeteilt. Ich würde mir wünschen, daß das Innenministerium des Freistaates anläßlich des aktuellen Anlasses den Bundesinnenminister deutlich machen würde, daß mit ihm unsinnige Verschärfungen des Waffenrechts, die am Ziel der Schaffung innerer Sicherheit wirkungslos vorbeigehen, nicht zu machen sind.

Schon zu Beginn der neunziger Jahre hieß es immer wieder gerüchteweise, eine Verschärfung des Waffenrechts sei erforderlich. In der Tat ist die Idee nicht neu, sie ist nur von der vorangegangenen Koalition schleppend verfolgt worden und erst auf Betreiben von Bündnis 90/die Grünen, die das Thema mit Verve verfolgten, auf die Agenda und als politisches Ziel in den Koalitionsvertrag gelangt. Im Rahmen von Diskussionen und Gesprächen die mich mit der Thematik konfrontierten, kristallisierten sich allmählich zwei zentrale Thesen heraus, die von denjenigen benutzt wurden und werden, die möglichst rigorosen Verschärfungen des Waffenrechts das Wort reden.

Da wäre einmal die angeblich steigende Gewalt zu nennen: In der veröffentlichten Meinung und auch von Seiten der Innenministerkonferenz ist zu vernehmen, die Gewaltbereitschaft nehme stetig zu, die Gewaltdelikte nähmen stetig zu und - dies ist im Zusammenhang mit einer Regelung des Waffengesetzes von besonderer Bedeutung - der Waffeneinsatz bei Straftaten nehme ständig zu. So äußerte sich die Innenministerkonferenz in einem Beschluß vom 06.06.1997, sie beobachte "mit größter Sorge .... das Ansteigen des Waffeneinsatzes bei Straftaten". Die Schlagworte von der "steigenden Gewaltbereitschaft" und dem "immer schnelleren Griff zur Schußwaffe" sind inzwischen häufig kolportiert worden:

- von der Landesregierung Nordrhein-Westfalen

- von der Bundesjustizministerin

- von der Redaktion des "Spiegel"

- von den Nachrichtenredaktionen derjenigen Fernsehanstalten, die besonders gerne vor Gewalt strotzende Spielfilme bringen, um nur einige zu nennen.

Dies scheint dazu geführt zu haben daß "steigende Gewaltbereitschaft" und "der immer schnellere Griff zur Waffe" anscheinend von niemandem mehr hinterfragt werden. Die These von der "steigenden Waffengewalt" ist, wie es scheint, durch Kolportage zum Dogma geronnen und das scheint manchen Innenministerien bereits als Entscheidungsgrundlage zu genügen. Dabei wäre die Überprüfung ganz einfach: Man schaue sich nur die Polizeiliche Kriminalstatistik der letzten Jahre an und vergleiche die jährlichen Zahlen, die für Straftaten mit irgendeiner Form der Schußwaffenverwendung gemeldet werden. Diese Zahlen sind nämlich in den letzten fünf Jahren rückläufig. Ich will einmal einige Zahlen der polizeilichen Kriminalstatistik des BKA nennen:

Zählte man im Jahre 1996 bei 6.647.598 angezeigten Straftaten noch 21.950, bei denen in irgendeiner Form Schußwaffen verwendet worden sein sollen sind die Zahlen in den anschließenden Jahren mit

21.729 (1997),

19.858 (1998)

und

19.292 (1999)

immer weiter zurückgegangen. Dies bedeutet im genannten Zeitraum einen Rückgang von ungefähr 10 Prozent.

Bedenken Sie, daß man in der alten Bundesrepublik mir damals etwas über 60 Millionen Einwohnern bereits im Jahre 1971 schon beinahe 19.000 solcher Delikte zählte. Wenn wir heute, mit einer um 20 % größeren Bevölkerung und einem um 1/3 größeren gemeinsamen Staatsgebiet und einer zwischenzeitlich gestiegenen Anzahl an Schußwaffen immer noch in diesem Bereich liegen, so kann ich nur feststellen, daß der angeblich "besorgniserregend steigende Waffeneinsatz bei Straftaten" und der angeblich "immer schnellere Griff zur Schußwaffe" sich als bloße Schimären herausstellen.

Ursache hierfür können entweder nur Unkenntnis oder - was schlimmer wäre - bewußte Irreführung der Öffentlichkeit sein. Auf Seiten der Medien ist man inzwischen Schlimmes gewöhnt und ich treffe sicher auf Zustimmung, wenn ich anmerke, daß man dort gelegentlich recht verantwortungslos mit allen möglichen Informationen oder Schein-Informationen umgeht.

Einräumen muß man sicherlich, daß es auf dem Gebiet der Körperverletzungsdelikte Zunahmen gegeben hat. Es scheint aber fraglich, ob man der sogenannten "Gewalt auf den Schulhöfen" mit einer strengen Behandlung der Sportschützen beikommen kann.

Die Sportverbände insgesamt und darunter mit seinen 1.6 Millionen Mitgliedern der Schießsport tragen eher umgekehrt durch ihre Jugendarbeit dazu bei, daß Junge Leute Gemeinschaft, fairen Wettbewerb und nicht zuletzt Demokratie am praktischen Beispiel erleben und mitgestalten können.

Mit den oben erwähnten Zahlen des Bundeskriminalamtes könnte man schon so kühn werden und einmal die provokante Frage stellen: Wo ist denn eigentlich der politische Handlungsbedarf für eine Novellierung des Waffengesetzes ? Aber gehen wir einmal noch einen kleinen Schritt weiter und Fragen uns: Einmal angenommen, wir machten es wie die Briten, entwaffneten die legalen Besitzer von Schußwaffen und beobachteten, was danach geschieht. Die Frage läßt sich am praktischen Beispiel von England jetzt schon beantworten und die Antwort fällt nicht schmeichelhaft für Tony Blairs Bemühen aus, Großbritannien einen "a safe place", einen "sicheren Platz" zu machen. Wir haben jetzt ein Großbritannien vor uns, in dem die Gewalt auf den Straßen, auch diejenige mit Schußwaffen, einen traurigen Höchststand erreicht hat. Ich weiß dies nicht aus irgendwelchen obskuren Quellen, sondern vom britischen Horne Office und den amtlichen britischen Statistiken. Es gibt Steigerungen bei den Gewaltdelikten auf der ganzen Linie. Und wir haben ein England, das in seinem schon beinahe panischen Streben nach absoluter Sicherheit allmählich beginnt, seine alten verwurzelten freiheitlichen Traditionen über Bord zu werfen. Die Vision von Orwells "Großem Bruder": In England wird sie zur Wirklichkeit, seit buchstäblich hunderttausende von Videokameras jedem Bürger auf Schritt und Tritt über die Schulter schauen. Und was nützt die Aufgabe dieses Stücks Intimität und Freiheit ? Glaubt man den britischen Kriminalstatistiken, hat es nichts eingebracht und die alte Erkenntnis der frühen Demokraten, die Aufgabe von Freiheiten zugunsten der Sicherheit führe dazu, daß man beides verliere, hat sich einmal mehr bewahrheitet.

Ich komme nach diesem Exkurs aber wieder auf unser Land zurück. Es ist erst einmal festzustellen, daß wir mit dem öffentlichen Waffenrecht nur etwa ein Drittel der in Deutschland in Privathand vorhandenen Schußwaffen erreichen würden. Zwei Drittel der scharfen Privatwaffen sind nämlich in Händen von Leuten, welche die Behörden

gar nicht erst um eine Erlaubnis angegangen haben, sondern sich gleich illegal mit einer Waffe versorgten. Es sollen in Deutschland 20 Millionen Stück sein. Diese Zahl klingt beinahe unglaublich, aber sie ist immerhin einmal von der GdP geäußert worden. Die Zahl der illegalen Schußwaffen - ich will sie einmal so nennen - ist aber auch gar nicht so sehr ausschlaggebend. Ausschlaggebend ist vielmehr ihre Beteiligung an den mit Schußwaffen begangenen Straftaten. Dank der unermüdlichen statistischen Auswertungsarbeit des Bundeskriminalamtes können wir heute mit Fug und Recht sagen, daß die legalen und erlaubnispflichtigen Schußwaffen an den Schußwaffendelikten so gut wie nicht beteiligt sind. Die Beteiligungsquote liegt bei den mit Schußwaffen begangenen Delikten bei etwa vier Prozent. Sie ist zudem seit mehreren Jahren im Absinken begriffen. Nachdem ich die amtlichen Statistiken unseres Bundeskriminalamtes mit den erwähnten Ergebnissen durchgesehen hatte, bin ich heute bei der ernüchternden Erkenntnis angelangt, daß die gesamten gesetzgeberischen Bemühungen um ein neues Waffengesetz letzten Endes für das Bestreben nach mehr innerer Sicherheit nutzlos sein werden. Wir könnten mit dem bestehenden Recht gut weiterleben, ohne daß unser Land dem Untergang entgegen ginge.

Demgegenüber bleiben die Straftaten der Täter mit illegalen Waffen, die jährlich Menschen das Leben kosten, bei den derzeitigen gesetzgeberischen Bemühungen völlig unbeachtet. Der Gesetzgeber geht gegen die kleinere Gruppierung von Waffenbesitzern vor, die er im Lande hat            und er            geht noch    dazu gegen diejenigen vor,      die strafrechtlich nicht in Erscheinung            treten.            Mir wäre   bei dem Gedanken wohler,            der Gesetzgeber machte sich einmal Gedanken über die Fälle - und da spreche ich als Praktiker, denn ich bin auch Strafverteidiger, in denen beispielsweise ein jugendlicher Täter, der einen Mitschüler zusammengeschlagen hat, den am Boden Liegenden noch mit eurem stumpfen Schlagwerkzeug gezielt Verletzungen im Gesicht beibringt. Wenn bei einer solchen Tat die Antwort in einer Verwarnung und 20 Stunden gemeinnütziger Arbeit besteht, um den Täter anschließend wieder ohne weitere Hilfestellung in das Umfeld zu entlassen, das ihn zu dem gemacht hat, was er ist, muß man sich nicht wundern, wenn dabei nichts herauskommt. So, meine Damen und Herren, brauchen Sie sich über steigende Gewalt auf den Schulhöfen nicht zu wundern. Entweder, man fährt die harte Linie und sperrt den Ubeltäter eine Zeitlang ein, um ihm deutlich zu machen, daß er eine Grenze überschritten hat, oder die Gesellschaft ist bereit, dasjenige an Kapital und Arbeit zu investieren um in diesem konkreten Fall dem Fehlgeleiteten auf einen anderen Weg zu helfen.

Ein weiteres Argument, das mir begegnet, ist die Unleserlichkeit des Waffenrechts, das sich ja dadurch auszeichnet, daß es in ein zentrales Gesetz und mehrere darauf beruhende Verordnungen zerfällt. Es mag sein, daß man die Materie übersichtlicher regeln könnte. Wenn aber das, was ich an bisherigen Entwürfen lesen konnte, tatsächlich auf uns zukommt, darf ich Ihnen versichern, daß den Behörden und den Betroffenen ein Bärendienst erwiesen würde. Die zwei Entwürfe, die ich bisher lesen durfte - oder eher mußte - sind nicht minder unlesbar. Es wird eher schlimmer, wenn die Unterteilung in einen Gesetzestext und Anhänge tatsächlich so seinen Weg in ein neues Waffengesetz finden würden. Das bisherige Waffenrecht ist den Behörden und Adressaten seit Jahrzehnten bekannt. Die Rechtsprechung hat Zweifelsfragen geklärt, die Kommentarliteratur ist gereift. All diese handhabungstechnischen Vorteile über Bord zu werfen, um ein um keinen Deut lesbareres Waffenrecht auf den Weg zu bringen, ist unangebracht. Die Behauptung, dies diene besserer Klarheit, klingt in meinen Ohren wie Hohn.

Lassen Sie mich zum Abschluß noch eine kleine Anmerkung machen: Bei der Vorbereitung von Gesetzgebungsvorhaben ist es üblich, Sachverständige einzuschalten, wenn es sich um Spezialmaterie handelt. Das gilt umso mehr, wenn es um Gesetzgeberische Vorhaben geht, die Grundrechte, Freiheitsrechte betreffen können. Im vorliegenden Gesetzgebungsvorhaben sehe ich die in Artikel 2 des Grundgesetzes versicherte allgemeine Handlungsfreiheit ebenso betroffen, wie das Grundrecht auf Eigentum (Art. 14 GG). Was läge also näher, die Frage nach Möglichkeiten, einen Gewinn an innerer Sicherheit zu erzielen, einmal von sachverständig untersuchen zu lassen. Wenn ich bedenke, daß es der Bundesrepublik Deutschland viel Geld wert war, eine Anzahl von Spezialisten mit der meines Erachtens überflüssigen Aufgabe zu beschäftigen, die Schriftsprache zu reformieren, so fällt es schwer, sich vor Augen führen zu müssen, daß die hier anstehenden Fragen aus der Perspektive Laien beurteilt werden, von deren Mehrzahl ich annehmen muß, daß sie sich noch nicht einmal aus den allgemein zugänglichen Quellen informiert haben. Wenn die Sicht des Gesetzgebers die Sicht der Sensationsmedien wird, muß man sich nicht mehr darüber wundern, wenn unsere Freiheiten zwar weiter auf dem Papier - nämlich im Grundgesetz - stehen, aber von einem immer weiter wachsenden, feinen Geflecht von Geboten und Verboten umrankt sind, die von der Freiheit des Grundgesetzes nicht mehr viel ahnen lassen.

Mit ist klar - damit mache ich einen allgemein politischen Exkurs - daß wir heute nicht mehr in der bundesrepublikanischen Demokratie von 1975 mit ihrem Potential an Stammwählern leben. Wähler sind heute in viel ausgeprägterem Maße bereit, einmal der einen, einmal der anderen Partei ihre Stimme zu geben. "Was soll daran schlecht sein ? Ist das nicht ein Mehr an Freiheit, ein Mehr an Demokratie ?" könnte man fragen und würde damit nicht einmal meinen Widerspruch herausfordern. Die größere Bereitschaft der Wähler, sich anders zu entscheiden, sich von der Stimmungslage leiten zu lassen, scheint mir aber einer Verflachung der politischer Konzepte und allgemein populistischen Tendenzen Vorschub zu leisten, muß man doch am Wahltag sehen, die Stimmung des Augenblicks gerade auf seiner Seite zu haben.

Sehen Sie mir die offenen Worte nach und auch noch die abschließende Bemerkung, daß ich mich des Eindrucks nicht erwehren kann, als spielte genau dies auch in die gesetzgeberischen Bestrebungen hinein, um deretwillen wir heute hier versammelt sind.

Ich nehme alle hier Anwesenden von meiner Kritik selbstverständlich aus. Herr Innenminister, sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete, ich baue vielmehr darauf, daß Sie überzogener Verbotsgesetzgebung und nutzlosem Aktionismus eine Absage erteilen werden. Ich danke Ihnen für die Geduld, die Sie mit mir hatten.

Reinhard Becker, Rechtsanwalt
Becker & Becker Rechtsanwälte

 

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