Arglistiges
Verschweigen eines Mangels
- sofortige Minderung des Kaufpreises
Bundesgerichtshof
Az: VIII
ZR 210/06
Urteil
vom 09.01.2008
Leitsatz:
Der Käufer ist im Regelfall
berechtigt, den Kaufpreis sofort - ohne vorherige Fristsetzung zur Nacherfüllung
- zu mindern, wenn der Verkäufer ihm einen Mangel bei Abschluss des
Kaufvertrages arglistig verschwiegen hat (Bestätigung von BGH, Beschluss
vom 8. Dezember 2006 - V ZR 249/05, NJW 2007, 835). In einem solchen Fall
ist die für die Beseitigung eines Mangels erforderliche Vertrauensgrundlage
in der Regel auch dann beschädigt, wenn die Mangelbeseitigung durch einen
vom Verkäufer zu beauftragenden Dritten vorzunehmen ist.
Der VIII. Zivilsenat des
Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung vom 9. Januar 2008 für
Recht erkannt:
Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des 11. Zivilsenats des
Oberlandesgerichts Hamm vom 14. Juni 2006 aufgehoben.
Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten
des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand:
Die Klägerin kaufte von den Beklagten am 20. November 2002 den 1999
geborenen Wallach "Diokletian" als Dressurpferd zum Preis von
45.000 EUR. Mit Schreiben ihres erstinstanzlichen Prozessbevollmächtigten
vom 2. November 2004 begehrte sie Minderung in Höhe von 50% des Kaufpreises
mit der Begründung, das Pferd sei mangelhaft, weil es sich um einen
"(residualen) Kryptorchiden" handele, das heißt um ein Pferd, dem
bei der Kastration das Hodengewebe nicht vollständig entfernt worden ist.
Die Klägerin hat Klage auf Rückzahlung von 22.500 EUR nebst Zinsen sowie
Erstattung vorgerichtlicher Anwaltskosten in Höhe von 445,90 EUR nebst
Zinsen erhoben. Sie hat vorgetragen, das Pferd zeige aufgrund der unvollständigen
Kastration hengstisches Verhalten und sei deshalb als Dressurpferd weniger
geeignet als ein Wallach. Den Beklagten sei die hengstische Eigenart des
Pferdes bereits vor dem Kauf bekannt gewesen; sie hätten die Klägerin darüber
arglistig getäuscht.
Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Die Berufung der Klägerin hat
keinen Erfolg gehabt. Dagegen wendet sich die Klägerin mit ihrer vom Senat
zugelassenen Revision.
Entscheidungsgründe:
Die Revision hat Erfolg und führt zur Zurückverweisung der Sache an das
Berufungsgericht.
I.
Das Berufungsgericht hat ausgeführt:
Es könne offen bleiben, ob der von der Klägerin geltend gemachte Mangel
bereits im Vorhandensein noch aktiven Hodengewebes gesehen werden müsse
oder ob er in der Kombination der nicht komplett gelungenen Kastration und
der darauf beruhenden Folgen ("hengstisches Verhalten") bestehe.
Denn Gewährleistungsansprüche scheiterten bereits daran, dass die Klägerin
die Beklagten nicht unter Fristsetzung zur Nacherfüllung aufgefordert habe.
Eine Fristsetzung sei hier nicht entbehrlich gewesen (§ 440 BGB). Die
Beklagten hätten die durch eine Operation des Pferdes mögliche Nacherfüllung
nicht ernsthaft und endgültig verweigert. Auch sei eine Nacherfüllung für
die Klägerin nicht wegen der mit der Operation verbundenen Risiken
unzumutbar gewesen.
Eine Unzumutbarkeit der Nacherfüllung ergebe sich auch nicht aus der
Behauptung der Klägerin, von den Beklagten arglistig getäuscht worden zu
sein. Insoweit könne offen bleiben, ob die hierzu erforderlichen Umstände
ausreichend vorgetragen und unter Beweis gestellt worden seien. Jedenfalls führe
nicht jede arglistige Täuschung zu einem vollständigen Vertrauensverlust
auf Käuferseite. Insbesondere dann, wenn die eigentliche Nacherfüllung
nicht vom Vertragspartner selbst, sondern auf dessen Kosten von einem
Dritten vorgenommen werden solle, sei kein Grund erkennbar, warum aufgrund
einer arglistigen Täuschung des Verkäufers der Käufer auch das Vertrauen
in die Ordnungsmäßigkeit der Leistung des mit der Nachbesserung betrauten
Dritten verloren haben könnte. Für den Streitfall bedeute dies, dass keine
Gründe ersichtlich seien, warum die Klägerin, die trotz des von ihr als
arglistig bewerteten Verhaltens der Beklagten am Kauf des Pferdes festhalten
wolle, auch das Vertrauen in den Tierarzt, der die Nachkastration vornehmen
würde, verloren haben könnte.
II.
Diese Beurteilung hält der rechtlichen Nachprüfung nicht stand. Der Klägerin
kann das von ihr geltend gemachte Recht auf Minderung des Kaufpreises für
das Pferd "Diokletian" (§ 434 Abs. 1, § 437 Nr. 2, §§ 440,
441, 90a BGB) nicht mit der vom Berufungsgericht gegebenen Begründung
versagt werden. Dem Minderungsrecht steht nicht, wie das Berufungsgericht
angenommen hat, entgegen, dass es die Klägerin versäumt hat, den Beklagten
eine angemessene Frist zur Nacherfüllung (§ 439 BGB) zu setzen.
1. Es kann offenbleiben, ob dem Berufungsurteil, wie die Revision meint, die
Tatsachenfeststellung zu entnehmen ist, dass das Pferd mit einem bei Gefahrübergang
bereits vorhandenen Mangel behaftet ist (§ 434 Abs. 1 Satz 1 BGB).
Jedenfalls ist nach dem revisionsrechtlich zugrunde zu legenden Sachvortrag
der Klägerin davon auszugehen, dass das als Wallach verkaufte Pferd nicht
der vereinbarten Beschaffenheit entspricht, weil die vor Gefahrübergang
durchgeführte Kastration nicht zu einer vollständigen Entfernung des
Hodengewebes geführt hat und das Pferd infolgedessen hengstisches Verhalten
zeigt.
2. Das Recht des Käufers, wegen eines behebbaren Mangels vom Vertrag zurückzutreten
oder den Kaufpreis zu mindern (§ 437 Nr. 2, §§ 323, 441 BGB), setzt -
wenn nicht einer der gesetzlich geregelten Ausnahmetatbestände eingreift -
ebenso wie der Anspruch auf Schadensersatz statt der Leistung (§ 437 Nr. 3,
§§ 280, 281 BGB) voraus, dass der Käufer dem Verkäufer erfolglos eine
angemessene Frist zur Nacherfüllung bestimmt hat; dies gilt auch beim
Tierkauf (vgl. zum Schadensersatzanspruch: Senatsurteil vom 22. Juni 2005 -
VIII ZR 1/05, ZGS 2005, 433, unter II; Senatsurteil vom 7. Dezember 2005 -
VIII ZR 126/05, NJW 2006, 988, unter II 2). Zur Nacherfüllung hat die Klägerin
die Beklagten nicht aufgefordert. Dies steht dem Minderungsrecht der Klägerin
jedoch nicht entgegen, weil hier nach dem revisionsrechtlich zugrunde zu
legenden Vorbringen der Klägerin entgegen der Auffassung des
Berufungsgerichts einer der in § 440 BGB genannten Ausnahmefälle vorliegt,
in denen eine erfolglose Fristsetzung zur Nacherfüllung entbehrlich ist.
a) Vergeblich wendet sich die Revision allerdings dagegen, dass das
Berufungsgericht die Entbehrlichkeit der Fristsetzung unter dem
Gesichtspunkt einer ernsthaften und endgültigen Verweigerung der Nacherfüllung
(§ 323 Abs. 2 Nr. 1 BGB) verneint hat.
Der erstinstanzliche Prozessbevollmächtigte der Beklagten hat in seinem
Antwortschreiben vom 4. November 2004 auf das Schreiben des
erstinstanzlichen Prozessbevollmächtigten der Klägerin vom 2. November
2004, in dem die Klägerin sogleich Minderung verlangte, ohne die Beklagten
zur Mangelbeseitigung aufzufordern, ausdrücklich darauf hingewiesen, dass
die Klägerin zunächst verpflichtet sei, den Beklagten Gelegenheit zur
Nachbesserung zu geben. Darin liegt keine Verweigerung der Mangelbeseitigung
seitens der Beklagten. Eine solche kann auch nicht darin gesehen werden,
dass der Prozessbevollmächtigte der Beklagten im Anschluss an seinen
Hinweis zusätzlich beanstandete, dass die von der Klägerin vorgelegten
Befundberichte aus medizinischer Sicht nicht ausreichend seien, um rechtlich
einen Sachmangel anzunehmen. Dem steht bereits entgegen, dass der
Prozessbevollmächtigte der Beklagten in seinem Schreiben abschließend
nochmals ausdrücklich um einen Nachweis bat, welchen Mangel die Beklagten
im Wege der Nachbesserung beseitigen sollten.
Die Klägerin ist der vorprozessualen Aufforderung der Beklagten, ihnen
Gelegenheit zur Mangelbeseitigung einzuräumen, nicht nachgekommen, sondern
hat sogleich Klage auf Minderung des Kaufpreises erhoben. Auch im
Rechtsstreit haben die Beklagten eine Mangelbeseitigung nicht verweigert.
Sie haben wiederum beanstandet, dass ihnen die Möglichkeit der Nacherfüllung
nicht eingeräumt wurde. Unter diesen Umständen kann allein darin, dass die
Beklagten (daneben) auch das Vorliegen eines Mangels bestritten haben, keine
ernsthafte und endgültige Verweigerung der Nacherfüllung gesehen werden.
b) Ebenfalls ohne Erfolg macht die Revision geltend, dass eine
Mangelbeseitigung wegen der mit einer erneuten Operation des Pferdes
verbundenen Risiken für die Klägerin unzumutbar sei (§ 440 Satz 1 BGB).
Die Beurteilung, ob die Nacherfüllung dem Käufer aufgrund besonderer Umstände
des Einzelfalles unzumutbar ist (§ 440 Satz 1 BGB), obliegt dem Tatrichter.
Das Berufungsgericht ist aufgrund des schriftlichen Gutachtens des Sachverständigen
Dr. S. und dessen mündlicher Erläuterung davon ausgegangen, dass mit einer
erneuten Operation des Pferdes eine vollständige Beseitigung des Mangels möglich
ist. Es hat die damit verbundenen - gegenüber dem ersten Eingriff erhöhten
- Operationsrisiken insbesondere unter dem Gesichtspunkt für zumutbar
gehalten, dass nach den Ausführungen des Sachverständigen eine Entfernung
des noch vorhandenen Hodengewebes ohnehin medizinisch indiziert sei, um der
Gefahr einer Entartung des Gewebes vorzubeugen. Rechtsfehler dieser
tatrichterlichen Würdigung zeigt die Revision nicht auf und sind auch nicht
ersichtlich. Für die Annahme, dass das Berufungsgericht die Ausführungen
des Sachverständigen hinsichtlich einer medizinischen Indikation der
Entfernung des Hodengewebes, wie die Revision meint, missverstanden habe,
besteht kein Anhaltspunkt.
c) Die Revision beanstandet jedoch zu Recht, dass das Berufungsgericht eine
Unzumutbarkeit der Nacherfüllung für die Klägerin auch unter dem
Gesichtspunkt verneint hat, dass die Klägerin - nach ihrer Behauptung - von
den Beklagten über die Hengstigkeit des Pferdes arglistig getäuscht worden
ist.
Das Berufungsgericht hat offen gelassen, ob die von der Klägerin
vorgetragenen und unter Beweis gestellten Tatsachen ausreichten, um eine
arglistige Täuschung durch die Beklagten anzunehmen. Revisionsrechtlich ist
damit davon auszugehen, dass die Klägerin von den Beklagten über den
behaupteten Mangel des Pferdes arglistig getäuscht worden ist.
Das Berufungsgericht hat zutreffend angenommen, dass nicht jede arglistige Täuschung
zu einem vollständigen Vertrauensverlust auf Käuferseite führt, der eine
Nacherfüllung für den Käufer unzumutbar macht. Ihm kann jedoch nicht
darin gefolgt werden, dass insbesondere dann, wenn die Mangelbeseitigung
nicht vom Vertragspartner selbst, sondern auf dessen Kosten von einem
Dritten vorgenommen werden soll, kein Grund erkennbar sei, warum aufgrund
einer arglistigen Täuschung des Verkäufers der Käufer auch das Vertrauen
in die Ordnungsmäßigkeit der Leistungen des mit der Nachbesserung
betrauten Dritten verloren haben könnte.
Der Bundesgerichtshof hat - nach Erlass des Berufungsurteils - entschieden,
dass ein die sofortige Rückabwicklung des Kaufvertrages rechtfertigendes
Interesse des Käufers (§ 323 Abs. 2 Nr. 3 BGB) im Regelfall anzunehmen
ist, wenn der Verkäufer dem Käufer einen Mangel arglistig verschwiegen
hat. Bei einer vom Verkäufer beim Abschluss eines Kaufvertrags begangenen Täuschungshandlung
ist in der Regel die für eine Nacherfüllung erforderliche
Vertrauensgrundlage beschädigt; dies gilt insbesondere, aber nicht nur,
wenn die Nacherfüllung durch den Verkäufer selbst oder unter dessen
Anleitung im Wege der Mängelbeseitigung erfolgen soll. In solchen Fällen
hat der Käufer ein berechtigtes Interesse daran, von einer weiteren
Zusammenarbeit mit dem Verkäufer Abstand zu nehmen. Dem stehen regelmäßig
keine maßgebenden Interessen des Verkäufers gegenüber. Denn die Chance
zur nachträglichen Fehlerbeseitigung, die dem Verkäufer mit dem Vorrang
der Nacherfüllung gegeben werden soll, verdient dieser nur dann, wenn ihm
der Mangel bei Abschluss des Kaufvertrags nicht bekannt war. Kannte er ihn
dagegen, so kann er ihn vor Abschluss des Vertrages beseitigen und die Sache
in einem vertragsgemäßen Zustand leisten. Entschließt sich der Verkäufer,
den ihm bekannten Mangel nicht zu beseitigen und die Sache in einem
vertragswidrigen Zustand zu veräußern, so besteht keine Veranlassung, ihm
nach Entdeckung des Mangels durch den Käufer eine zweite Chance zu gewähren.
Der so handelnde Verkäufer verdient keinen Schutz vor den mit der Rückabwicklung
des Vertrages verbundenen wirtschaftlichen Nachteilen (BGH, Beschluss vom 8.
Dezember 2006 - V ZR 249/05, NJW 2007, 835, unter II 3 b bb).
Dieser Rechtsprechung, mit der sich der V. Zivilsenat die in der Literatur
überwiegend vertretene Auffassung zu eigen gemacht hat (BGH, aaO m.N.),
schließt sich der erkennende Senat an. Für das Recht des Käufers, den
Kaufpreis sofort - ohne vorherige Fristsetzung zur Nacherfüllung - zu
mindern, gelten die dargelegten Grundsätze gleichermaßen (§ 323 Abs. 3
Nr. 2, § 441 Abs. 1 Satz 1 BGB). Besondere Umstände, aufgrund derer im
vorliegenden Fall die für die Beseitigung des Mangels erforderliche
Vertrauensgrundlage durch die den Beklagten vorgeworfene arglistige Täuschung
nicht beschädigt worden wäre, sind vom Berufungsgericht nicht festgestellt
und auch nicht ersichtlich. Insbesondere liegen solche besonderen Umstände
entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts nicht schon dann vor, wenn der
Mangel durch einen Dritten - hier: durch einen Tierarzt - zu beseitigen ist.
Vielmehr ist, wie ausgeführt, auch bei einer Mangelbeseitigung, die durch
einen vom Verkäufer zu beauftragenden Dritten vorzunehmen ist, in der Regel
die für die Nacherfüllung erforderliche Vertrauensgrundlage beschädigt
(BGH, aaO).
III.
Das angefochtene Urteil kann danach keinen Bestand haben und ist aufzuheben
(§ 562 Abs. 1 ZPO). Der Rechtsstreit ist nicht zur Endentscheidung reif,
weil das Berufungsgericht - von seinem Standpunkt aus folgerichtig - keine
Feststellungen zu einer arglistigen Täuschung der Klägerin durch die
Beklagte getroffen hat. Die Sache ist daher zur neuen Verhandlung und
Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 563 Abs. 1 Satz
1 ZPO).